VG Stade

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Zitieren als:
VG Stade, Urteil vom 12.02.2009 - 2 A 838/08 - asyl.net: M15547
https://www.asyl.net/rsdb/M15547
Leitsatz:

Die Ausreisefrist beträgt im Falle des Verzichts auf die Durchführung des Asylverfahrens gem. § 14 a Abs. 3 AsylVfG zwei Wochen (§ 38 Abs. 1 AsylVfG); eine Analoge Anwendung des § 38 Abs. 2 AsylVfG kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn der Verzicht nach Erlass des Bundesamtsbescheids erklärt worden ist.

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Abschiebungsandrohung, Ausreisefrist, Antragsfiktion, Verzicht, Asylverfahrens, Anwendbarkeit
Normen: AsylVfG § 36 Abs. 1; AsylVfG § 38 Abs. 2; AsylVfG § 14a Abs. 3; AsylVfG § 38 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Klage hat Erfolg.

Die der Klägerin gesetzte Frist zur Ausreise binnen 1 Woche nach Bekanntgabe des Einstellungsbescheides ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Für die Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche in Fällen wie dem vorliegenden findet sich im Gesetz keine Ermächtigungsgrundlage; sie ist vom verfassungsrechtlichen Vorbehalt des Gesetzes nicht gedeckt.

Auf § 36 Abs. 1 AsylVfG kann die Fristsetzung nicht gestützt werden Nach dieser Vorschrift beträgt in den Fällen der Unbeachtlichkeit und der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrages die dem Ausländer zu setzende Frist eine Woche. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Zwar hatte das Bundesamt den Asylantrag der Antragstellerin mit Bescheid vom 06. Juni 2008 als offensichtlich unbegründet abgelehnt; dieser Bescheid ist jedoch durch den angefochtenen Bescheid vom 12. Juni 2008 (vgl. Ziff. 1. der Entscheidung) aufgehoben worden.

Auch § 38 Abs. 2 AsylVfG ist nicht anwendbar. Diese Vorschrift betrifft die Fälle der Rücknahme des Asylantrages vor der Entscheidung des Bundesamtes. Ein solcher Fall liegt hier bereits in zweifacher Hinsicht nicht vor. Zum einen hat die Antragstellerin hier keine Rücknahme des Asylantrages erklärt, sondern einen Verzicht i.S. des § 14 a Abs. 3 AsylVfG. Und zum anderen ist dieser Verzicht nicht vor der Entscheidung des Bundesamtes, sondern erst danach - nämlich mit anwaltlichem Schriftsatz vom 10. Juni 2008 - erklärt worden.

Soweit das Bundesamt im vorliegenden Fall eine Analogie zu § 38 Abs. 2 AsylVfG bildet und diese Auffassung u.a. auf die Entscheidung des VG Wiesbaden vom 30. Juni 2005 (1 E 714/05.A) stützt, vermag das Gericht dem nicht zu folgen. Das VG Wiesbaden stellt den Verzicht i.S. von 14a Abs. 3 AsylVfG mit der Antragsrücknahme gleich und hält 38 Abs. 2 AsylVfG auch in diesem Fall für anwendbar (aaO, zit. n. juris). In dem Fall, der dieser Entscheidung zugrunde lag, hatte der betreffende Ausländer aber bereits vor Bescheiderlass des Bundesamtes den Verzicht nach § 14 a Abs. 3 AsylVfG erklärt; der vorliegende Fall - Verzicht nach Bescheiderlass - betrifft somit eine andere Fallgestaltung. Wenn das Bundesamt hier die Vorschrift des § 38 Abs. 2 AsylVfG analog anwenden will, so bildet es eine doppelte Analogie: zum einen stellt es den Verzicht mit der Antragsrücknahme gleich und zum anderen sieht es auch den Fall der Verzichtserklärung nach Bescheiderlass von § 38 Abs. 2 AsylVfG erfasst. Eine Analogie wird auch von der 6. Kammer des VG Stade nur dann für zulässig gehalten, wenn der Verzicht vor der Entscheidung des Bundesamtes erfolgt (B. v. 08. Oktober 2007 - 6 B 1261/07 -; vgl. auch Funke-Kaiser, in: GK AsylVfG Rdn. 8 zu § 38 AsylVfG).

Bereits an der Zulässigkeit der einfachen Analogie - Gleichstellung des Verzichts nach § 14a Abs. 3 AsylVfG mit der Antragsrücknahme - bestehen jedoch erhebliche Zweifel. Der Umstand, dass das AsylVfG die unterschiedlichen Begriffe "Verzicht" (§14a Abs. 3 AsylVfG) und "Rücknahme" (§§ 33, 38 AsylVfG) verwendet, spricht dafür, dass es hier auch um unterschiedliche Verfahrenshandlungen geht. Ferner ist in § 32 AsylVfG niedergelegt, wie die Entscheidung des Bundesamtes nach Rücknahme oder Verzicht zu erfolgen hat, während die in § 38 Abs. 2 AsylVfG vorgesehene Ausreisefrist von einer Woche ausdrücklich und ausschließlich als Folge der Rücknahme eines Asylantrages geregelt ist. Insofern spricht auch die Gesetzessystematik dafür, dass § 38 Abs. 2 AsylVfG lediglich die Verfahrenshandlung der Rücknahme betreffen soll. Dass es sich bei der Regelung des § 38 Abs. 2 AsylVfG nicht um ein "bewusstes Unterlassen" des Gesetzgebers, sondern um ein sog. "Redaktionsversehen" handelt, das im Wege der Analogie ausgeräumt werden könnte (so VG Wiesbaden aaO), ist nicht ohne weiteres erkennbar (so auch VG Arnsberg, Beschluss v. 29.06.2006 - 9 L 569/06.A, VG Stade, B. v. 29. Mai 2007 - 2 B 569/07 -).

Letztendlich kann diese Frage jedoch dahinstehen, denn selbst wenn man die Verfahrenshandlung des Verzichts als "Antragsrücknahme im verfahrensrechtlichen Sinne" (Marx, AsylVfG, 6. Auflage, München 2005, § 14 a Rdnr. 30) ansähe, so wäre die Vorschrift des § 38 Abs. 2 AsylVfG vorliegend gleichwohl nicht anwendbar, weil sie ausdrücklich für die Rücknahme vor Erlass des Bundesamtsbescheides gilt. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auch auf Rücknahmen (oder ggf. Verzichte), die nach Bescheiderlass erfolgen, scheitert bereits am Vorhandensein einer Regelungslücke. Für die Fälle, in denen nach Erlass eines Bundesamtsbescheides der Antrag zurückgenommen wird, gilt nämlich die "Auffangvorschrift" des § 38 Abs. 1 AsylVfG (so auch Hailbronner, AuslR, Loseblatt, Stand: Dezember 2006, Bd. 3, § 38 AsylVfG Rdnr. 10; Kloesel/Christ/Häußler, Dt. Aufenthalts- u. AuslR, Loseblatt, Stand: Juli 2006, Bd. 2, § 38 AsylVfG Rdnr. 8). [...]