VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 23.01.2009 - A 4 K 1441/08 - asyl.net: M15548
https://www.asyl.net/rsdb/M15548
Leitsatz:

Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 AufenthG nach Kosovo wegen Bedrohung eines Kindes durch Familie des geschiedenen Ehemannes der Mutter.

Schlagwörter: Kosovo, Roma, Ehrenmord, geschiedenen Frauen, Kinder, Drohungen, Verfolgungsgrund, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Schutzbereitschaft, Schutzfähigkeit, Stiefvater
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

[...]

Die zulässige Klage ist nur mit dem Hilfsantrag begründet. Nr. 1 und 2 des Bescheides vom 27.03.2008 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO), denn dieser hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter oder auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Dies ergibt sich schon daraus, dass der Kläger keinerlei politische Verfolgung wegen eines asylrelevanten Merkmals geltend macht. Er hat keine politische Verfolgung erlitten. Gefahren drohen ihm zwar seitens seines Stiefvaters und dessen Familie (dazu unten), jedoch nicht seitens des Staates im Kosovo oder seitens nichtstaatlicher Akteure. Sein Stiefvater bedroht ihn nicht aufgrund von persönlichen Merkmalen im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, sondern weil er seine Existenz als Ehrenkränkung empfindet. Damit fehlt es am notwendigen Anknüpfungspunkt. Das Gericht kann daher offen lassen, ob der Stiefvater einen nichtstaatlichen Akteur im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG darstellen kann, was zweifelhaft erscheint, denn es gibt keinerlei organisatorische Verfestigung hinsichtlich der Verfolgung beim Stiefvater und dessen Familie.

Dagegen hat der Hilfsantrag Erfolg, da die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beim Kläger vorliegen. [...]

Dies ist aufgrund der Drohungen des Stiefvaters und dessen Familie gegen den Kläger der Fall. Diese betrachten ihn als Ehrenkränkung und haben bereits angekündigt, ihn zu töten, sollten sie seiner habhaft werden. Damit ist die Lebensgefahr konkret. Dies ergibt sich aus den Ereignissen beim Begräbnis der Großmutter des Klägers, wie er es schriftsätzlich geschildert hat. Ein ausreichender Schutz seitlich der staatlichen Autoritäten im Kosovo ist nicht gewährleistet, da sich der Staat aus derartigen Auseinandersetzungen herauszuhalten pflegt. Durch das Begräbnis der Großmutter hat die Familie auch Kenntnis von der Existenz des Klägers erhalten. Es kommt hinzu, dass die Schwester der Mutter des Klägers, welche mit einem Bruder des Stiefvaters des Klägers verheiratet ist, eine Gefahr für den Kläger dadurch bilden dürfte, dass sie loyal zu ihrem Mann steht und daher Informationen über den Aufenthalt des Klägers und seiner Mutter an die Familie ihres Ehemannes weiterzugeben droht. Diese Gefahr besteht, auch wenn die Mutter des Klägers durch ihren gesicherten Aufenthalt im Bundesgebiet sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zusammen mit dem Kläger in den Kosovo begeben wird. Die Gefahr ist vielmehr im Hinblick auf die Person des Klägers zu bestimmen, zumal sich jederzeit eine Änderung in den familiären Verhältnissen ergeben könnte. [...]