VG Karlsruhe

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Zitieren als:
VG Karlsruhe, Urteil vom 06.02.2009 - A 1 K 2024/08 - asyl.net: M15559
https://www.asyl.net/rsdb/M15559
Leitsatz:

Jungen Tamilen droht in Sri Lanka Gefahr durch willkürliche Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes gem. § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG.

Schlagwörter: Sri Lanka, Glaubwürdigkeit, Tamilen, Situation bei Rückkehr, Gruppenverfolgung, Menschenrechtslage, Antiterrorismusgesetz, Bürgerkrieg, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, ernsthafter Schaden, willkürliche Gewalt, bewaffneter Konflikt, allgemeine Gefahr
Normen: GG Art. 16a Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c
Auszüge:

[...]

Die Klage ist zulässig, aber nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. [...]

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter und auf die Feststellung, dass eine Abschiebung nach Sri Lanka bei ihm wegen drohender politischer Verfolgung verboten ist. [...]

Nach diesem Maßstab ist bereits der Einzelentscheider beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nachvollziehbar davon ausgegangen, dass der Kläger ein Verfolgungsschicksal aus politischen Gründen nicht hinreichend überzeugend dargelegt hat. [...] Es ist daher davon auszugehen, dass er in Sri Lanka nicht vorverfolgt ist und auch bei einer Rückkehr nicht allein wegen seiner Volkszugehörigkeit politische Verfolgung zu befürchten hätte, zumal der Bürgerkrieg sich gegenwärtig seinem Ende zuneigt, also auch die tamilische Zivilbevölkerung in den früher umkämpften Gebieten nicht mehr unmittelbar durch Kampfhandlungen in ihrer Existenz gefährdet und Gruppenverfolgung ausgesetzt ist.

Das kommende Ende des Bürgerkriegs muss allerdings nicht bedeuten, dass staatliche Repressionen und damit verbundene politische Verfolgungsmaßnahmen auch durch Dritte ebenfalls in Sri Lanka nicht mehr wahrscheinlich sind. Bis in die jüngste Zeit ist festzustellen, dass das verschärfte Notstandsrecht den Sicherheitsbehörden weitestgehende Eingriffsrechte mit nur noch sehr eingeschränkter rechtsstaatlicher Kontrolle gibt und dass diese Eingriffsrechte insbesondere in durch das Militär oder paramilitärische Gruppen besetzten Gebieten weithin genutzt werden. Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung und werden kaum untersucht oder strafrechtlich geahndet (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes über Sri Lanka vom 06.10.2008 und Update der Schweizerischen Flüchtlingshilfe über die aktuelle Situation in Sri Lanka - Rainer Mattern - vom 11.12.2008). Dennoch verdichtet sich außerhalb der Kampfgebiete die Möglichkeit für Tamilen, Opfer politischer Verfolgung zu werden, nach den dem Gericht zugänglichen Erkenntnissen nur für Personen zur hier maßgebenden Wahrscheinlichkeit, die nach weiteren konkreten Umständen verdächtig sind, mit geschehenen oder geplanten Anschlägen der LTTE in Verbindung zu stehen oder in besonderer Weise in Tätigkeiten der LTTE oder einer ihrer Organisationen eingebunden zu sein. Dies hat der Kläger zwar vielfältig behauptet, aber durch sein unstimmiges, gesteigertes und widersprüchliches Vorbringen nicht glaubhaft gemacht.

Die Klage ist jedoch insoweit begründet, als der Kläger sich gegen die Feststellung wendet, sonstige Abschiebungsverbote lägen nicht vor.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Davon ist beim Kläger zur Zeit noch auszugehen.

Noch ist der bewaffnete innerstaatliche Konflikt zwischen einerseits den tamilischen Rebellen und Terrorgruppen im Umfeld der LTTE und andererseits den srilankischen Regierungstruppen und Sicherheitskräften nebst ihren organisierten Helfern nicht gänzlich beendet. Noch gehen die Auseinandersetzungen über vereinzelt auftretende Gewalttaten deutlich hinaus. Dies gilt insbesondere für die besetzten Gebiete ehemaliger LTTE-Territorien im Norden und Osten des Landes, in denen die Zahl der willkürlichen Festnahmen, Entführungen, Misshandlungen, Vergewaltigungen und Tötungen immer noch immens hoch ist. Es ist daher über die Gefahr politischer Verfolgung hinaus in Sri Lanka nach wie vor im Rahmen von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu prüfen, ob zurückkehrende Tamilen wegen der anhaltenden Konfliktsituation im Lande in Folge von sogenannter willkürlicher Gewalt Gefahr droht. Dieses Erfordernis ist zwar nicht ausdrücklich in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG aufgenommen worden. Die Begründung des Regierungsentwurfs verweist aber darauf, dass die Vorschrift die Tatbestandsmerkmale des Art. 15 c der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 umfasst, und nennt als Regelungsgehalt des umzusetzenden Art. 15 c der Richtlinie ausdrücklich die subsidiäre Schutzgewährung "in Fällen willkürlicher Gewalt" im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 23.04.2007 S. 187).

Solche willkürliche Gewalt ist Gewalt, die nicht zwischen zivilen und militärischen Subjekten und Objekten unterscheidet und weitgehend wahllos ausgeübt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 - 10 C 43.07 -). Im Norden und Osten Sri Lankas ist eine weitgehend hilflose Zivilbevölkerung einer zügellosen Soldateska ausgesetzt, die sich berechtigt sieht, sich in einem von ihr besetzten Gebiet an den dortigen vielfach noch als feindselig betrachteten Bewohnern schadlos zu halten. Im Hinblick auf das Merkmal der erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben ist hier jedoch zusätzlich zu fordern, dass diese von einem bewaffneten Konflikt herrührende Gefahr sich in der Person des schutzsuchenden Betroffenen verdichtet hat, also über das hinausgeht, was die jeweilige Bevölkerungsgruppe allgemein zu ertragen hat (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).

Im vorliegenden Fall ist nach der gegenwärtigen Auskunftslage noch davon auszugehen, dass junge Tamilen wie der Kläger in ihrer Heimat Jaffna besonders gefährdet sind, ins Blickfeld der dort als Besatzer auftretenden singhalesischen Soldaten zu geraten, um willkürlich auch dann aufgegriffen, verschleppt und misshandelt zu werden, wenn keine konkreten Verdachtsmomente vorliegen, dass sie in den Terror der LTTE verstrickt sind. Solche Gewalttätigkeiten sind insbesondere dann nicht ausgeschlossen, wenn der Kläger nach mehrjähriger Abwesenheit in seine Heimat zurückkehrt und nicht belegen kann, warum und wieso er plötzlich wieder auftaucht. Unter Berücksichtigung seiner Herkunft und seiner Mittellosigkeit ist dem Kläger als Rückkehrer darüber hinaus nicht zuzumuten, in einem anderen Landesteil von Sri Lanka, der vom Bürgerkrieg und militärischer Besetzung weitgehend verschont ist, einen neuen Anfang zu suchen. Ob er dort geduldet wird und Zugang zu den Sozialleistungen erhält, auf die er möglicherweise angewiesen ist, ist nach dem Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Sri Lanka nicht gesichert (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 06.10.2008, S. 18). Die Abschiebung nach Sri Lanka ist dem Kläger nach alledem zu Unrecht angedroht worden, wobei allerdings nach dem zu erwartenden Ende des Bürgerkriegs für ihn zu hoffen ist, dass sich die Situation in Sri Lanka auch für die Tamilen im Exil so weit bessert, dass ihnen eine baldige Rückkehr zugemutet werden kann. [...]