VG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 23.01.2009 - 1 A 24/06 - asyl.net: M15577
https://www.asyl.net/rsdb/M15577
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung wegen Unterstützung oppositioneller Studenten im Iran.

Schlagwörter: Iran, Oppositionelle, Unterstützung, Demonstration, Studenten, Studentendemonstration, Regimegegner, Mitglieder, Glaubwürdigkeit, Ausreise
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Der Kläger ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) Flüchtling im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG iVm. Art. 2 c) der zu dessen Auslegung nach § 60 Abs. 1 S. 5 AufenthG heranzuziehenden Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (sogenannte Qualifikationsrichtlinie - QRL). [...]

Die von dem Kläger geschilderten Handlungen, insbesondere das aktive Unterstützen einer kleinen organisierten oppositionellen Gruppe, deren Kritik sich gegen das System der Islamischen Republik Iran als solches richtet und die sich durch das Verteilen von Flugblättern oder die Teilnahme an Demonstrationen betätigt, können im Iran grundsätzlich zu politischer Verfolgung führen. Die innenpolitische Situation ist sowohl im Zeitpunkt der Flucht des Klägers - zunächst innerhalb des Iran - als auch heute noch geprägt von anhaltender Unterdrückung der Meinungs- und Pressefreiheit. Oppositionelle Aktivitäten in diesem Sinne im Inland werden gezielt beobachtet, eingeschränkt oder mit gewaltsamen Maßnahmen bekämpft. Mitglieder von oppositionellen Gruppierungen müssen mit Verfolgung und extralegaler Tötung rechnen. Das iranische Regime nutzt bei vermeintlichen Regimegegnern jeden für geeignet gehaltenen Anlass, um eine gewünschte Festnahme zu rechtfertigen. Verhaftungen wiederum sind im Iran regelmäßig mit Folter und Misshandlung und möglicherweise auch Tod verbunden (Lageberichte des Auswärtigen Amtes Iran vom 29. August 2005, 21. September 2006, 04. Juli 2007 und 18. März 2008).

Die von dem Kläger geschilderten Demonstrationen fügen sich in die Protestaktionen zahlreicher Studenten auch in anderen Teilen des Landes in dem betreffenden Jahr (2003) ein. Nach den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln führte nicht schon grundsätzlich die Teilnahme an einer dieser Studentendemonstrationen zu einer unmittelbaren Gefährdung der Freiheit (vgl. Gutachten des Deutschen Orient-Instituts vom 01. Dezember 2003 an das Verwaltungsgericht Oldenburg). Dem Kläger würde wegen der bloßen Teilnahme an einer solchen unauffällig verlaufenden Demonstration nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung drohen. Nach dem genannten Gutachten konnte es bei nicht herausgehobener Tätigkeit und friedlichem Verlauf der Demonstrationen zwar vereinzelt zu Festnahmen kommen, die Betroffenen wurden aber meistens wieder nach kurzer Zeit entlassen. Anders stellt sich die Sachlage allerdings nach diesem Gutachten dar, wenn jemand im Rahmen überbordender Demonstrationsaktivitäten verhaftet wurde, weil er entweder treibend oder unglücklicherweise als Zufallsbeteiligter an Ereignissen beteiligt war oder in deren Umkreis gelangte, wo etwa Demonstrationen in Gewalttätigkeiten ausarteten.

Nach den glaubhaften Schilderungen des Klägers ist im Rahmen der auch gewalttätig verlaufenden Demonstrationen ein Mitglied der Gruppe, die der Kläger unter anderem durch das Vermieten der Wohnung und dem Bereitstellen eines Fotokopiergerätes für die Herstellung von Flugblättern in maßgebender Rolle unterstützt hat, festgenommen worden. Das Gericht ist davon überzeugt, dass diese wesentlichen Unterstützungshandlungen den iranischen Sicherheitsbehörden nach der Festnahme des Mitglieds der Gruppe bekannt geworden sind und dem Kläger deshalb, nicht allein wegen der Teilnahme an Demonstrationen, unmittelbar Verfolgungshandlungen, insbesondere seine Festnahme, drohten. Der Kläger müsste auch heute noch wegen der insoweit unveränderten Verhältnisse erneut mit einer Inhaftierung aus diesem Grunde rechnen; es sprechen jedenfalls keine stichhaltigen Gründe im Sinne von Art. 4 Abs. 4 QRL dagegen, dass er erneut von solcher Verfolgung bedroht werden wird.

Das Vorbringen des Klägers ist glaubhaft. [...]

Vor dem Hintergrund der glaubhaften Angaben des Klägers spricht auch der Umstand, dass seine Ehefrau mit den Kindern aus dem Iran legal mit einem bereits früher ausgestellten Reisepass ausreisen konnte, nicht gegen eine Verfolgungsabsicht der iranischen Sicherheitsbehörden gegenüber dem Kläger. Die Ehefrau des Klägers hatte nach eigenen Angaben vor der Hausdurchsuchung niemals Schwierigkeiten mit den iranischen Behörden. Sie hat nach dem Vorfall nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung noch für kurze Zeit bei dem Vater gelebt und sich dann bis zur Ausreise bei ihrer Schwester in Teheran aufgehalten. Sie ist nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung bei der Hausdurchsuchung auch nach dem Aufenthalt ihres Ehemannes gefragt worden. Es bestand aber offenbar bei den iranischen Behörden keine gesteigertes Interesse daran, die Ehefrau noch eingehender nach dem Aufenthalt des Klägers zu befragen, zumindest ist die Ehefrau deshalb nicht mit einem Ausreiseverbot belegt worden. [...]