VG Mainz

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Zitieren als:
VG Mainz, Urteil vom 13.02.2009 - 4 K 841/07.MZ - asyl.net: M15588
https://www.asyl.net/rsdb/M15588
Leitsatz:

Eine Änderung der Weisungslage für das Bundesamt stellt keine Änderung der Rechtslage gem. § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG dar (hier: Christen aus dem Irak).

Schlagwörter: Irak, Folgeantrag, Änderung der Rechtslage, Erlasslage, Bundesinnenministerium, Christen, Gruppenverfolgung, Verfolgung durch Dritte, interne Fluchtalternative, Glaubwürdigkeit, Nordirak, Zentralirak, Südirak, Fälschung, Sprachgutachten, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, ernsthafter Schaden, bewaffneter Konflikt
Normen: AsylVfG § 71 Abs. 1; VwVfG § 51 Abs. 1 Nr. 1; AufenthG § 60 Abs. 1; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

[...]

Stellt ein Asylsuchender nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags einen Folgeantrag, so ist gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG ein Asylfolgeverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Absätze 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) gegeben sind. [...]

Vorliegend haben die Kläger ihren Folgeantrag damit begründet, dass sie von der geänderten Entscheidungspraxis des BAMF, wonach religiöse Minderheiten - insbesondere Christen - aus dem Zentral- und Südirak als Flüchtlinge anerkannt würden, Kenntnis erlangt hätten. Die Auffassung, damit läge eine Änderung der Rechtslage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG vor, teilt das Gericht allerdings nicht. Zwar existiert ein die Beklagte bindender Erlass des Bundesministeriums des Innern vom 15. Mai 2007 (Az.: MI 4/125 421 IRQ/O), in dem es heißt, dass es bei der Gruppe der religiösen Minderheiten wie Christen angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Rechtsprechung gerechtfertigt sei, jedenfalls bei Herkunft aus dem Zentralirak oder dem Süden des Landes grundsätzlich von einer Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure auszugehen, sofern im Einzelfall keine innerstaatliche Fluchtalternative, etwa im Nordirak, bestehe. Allerdings handelt es sich bei der daraufhin geänderten Verwaltungspraxis des BAMF nicht um eine Änderung der Rechtslage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 13. November 2008, Az.: A 2 K 1447/07). Offen bleiben kann im Ergebnis, ob ein Wiederaufnahmegrund statt dessen in der Änderung der Sachlage zu erblicken ist, und zwar dergestalt, dass sich die Verfolgungssituation der Christen aus dem Zentral- bzw. Südirak schrittweise immer weiter verschlechtert hat, so dass - worauf der zitierte Erlass des BMI Bezug nimmt - die Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung ab Frühjahr 2007 vorliegen könnten.

Eine daraus folgende Verpflichtung des Bundesamtes zur Flüchtlingsanerkennung der Kläger - sei es aus § 60 Abs. 1 AufenthG direkt oder aus dem zitierten Erlass des BMI in Verbindung mit Art. 3 Grundgesetz (vgl. dazu VG Arnsberg vom 28.11.2008, 13 K 1365/08.A) würde jedoch voraussetzen, dass diese ihre Herkunft aus dem Zentral- bzw. Südirak sowie ihre christliche Religionszugehörigkeit nachgewiesen hätten. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Der Klägerin wurde bereits in ihrem Asylerstverfahren nicht abgenommen, dass sie wie behauptet aus Bagdad stammt. [...]

Zum Beweis ihrer behaupteten Herkunft aus Bagdad kann sich die Klägerin schließlich auch nicht auf das Sprachanalysegutachten des Gutachters "Arab 103" vom 18. November 2008 berufen. Ausweislich dieses Gutachtens, das das Gericht für schlüssig und überzeugend hält und dem es deshalb folgt, lässt sich eine Herkunft der Klägerin aus Bagdad nicht bestätigen. Die Klägerin spricht demnach ein Aramäisch, dass den Dialekten aus der Umgebung von Zakho im Nordirak zuzuordnen ist, sowie ein Arabisch, dass den nordirakisch-arabischen Dialekten zuzuordnen ist. Bestimmte in Bagdad vorkommende Sprachmerkmale kommen bei ihr nicht vor, stattdessen gibt es Indizien für die Herkunft z.B. aus der Mossuler Gegend. Gegen eine Herkunft aus Bagdad sprechen schließlich die fehlenden Informationen zum dortigen Leben, so kann die Klägerin beispielsweise nicht einmal angeben, wie der durch Bagdad fließende Fluss heißt.

Das Gericht folgt diesem Gutachten. Substantiierte Einwände gegen die formelle Verwertbarkeit des Gutachtens hat die Klägerin nicht erhoben, ihre inhaltlichen Einwände greifen im Ergebnis nicht durch. Obwohl die Personalien des Gutachters der Übung des Bundesamtes folgend nicht mitgeteilt wurden, hat das Gericht keine Bedenken hinsichtlich seiner Qualifikation. Nach Angaben des Bundesamtes, die die Kläger nicht in Zweifel gezogen haben, hat der Gutachter u.a. in arabischer Dialektologie promoviert und in aramäischer Dialektologie habilitiert. [...]

Dies zugrunde gelegt scheidet eine Flüchtlingsanerkennung der Klägerin nach § 60 Abs. 1 AufenthG aus. [...]

Ebenso wenig hat sie einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens mit dem Ziel der Zuerkennung von Abschiebeverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG, und zwar weder als gebundener Anspruch noch ermessensweise. Ihr drohen im Irak zumindest im KRG-Gebiet weder die Gefahr der Folter, der Todesstrafe, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung noch sonstige im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG tatbestandsmäßige Gefahren. Eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts liegt jedenfalls im KRG-Gebiet nicht vor (siehe die Ausführungen oben zur Sicherheitslage). [...]