OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 05.03.2009 - 19 A 1657/06 - asyl.net: M15608
https://www.asyl.net/rsdb/M15608
Leitsatz:

Der Einbürgerungsbewerber trägt die Beweislast dafür, dass er keine fremde Staatsangehörigkeit (mehr) besitzt oder eine solche durch die Einbürgerung verliert.

Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, Einbürgerung, Anspruchseinbürgerung, Beweislast, Staatsangehörigkeit
Normen: VwGO § 124 Abs. 1 Nr. 3; StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 4
Auszüge:

[...]

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. [...]

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 1 Nr. 3 VwGO). [...]

Die vom Kläger als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Rechtsfrage, ob ein Ausländer beweisbelastet ist für das Nichtbestehen einer von der Einbürgerungsbehörde behaupteten Staatsangehörigkeit, deren Bestehen diese selbst nicht beweisen kann, lässt sich auf der Grundlage der entstandenen Rechtsprechung und durch eine Auslegung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG mit Hilfe der üblichen Auslegungsregeln ohne Weiteres dahingehend beantworten, dass der Einbürgerungsbewerber die Beweislast dafür trägt, dass er keine fremde Staatsangehörigkeit mehr besitzt oder eine solche durch den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit verliert.

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass auch im Staatsangehörigkeitsrecht die allgemeinen Grundsätze der Beweislastverteilung gelten und die Ungewissheit einer anspruchsbegründenden Tatsache zu Lasten des Antragstellers geht (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2006 - 5 C 3.05 -, BVerwGE 126, 283, juris, Rdn. 27, und Beschluss vom 8. Mai 1996 - 1 B 68.95 -, juris, Rdn. 11).

Daraus folgt, dass der Einbürgerungsbewerber die Beweislast für das Bestehen der anspruchsbegründenden Voraussetzungen für die Einbürgerung trägt. Die Voraussetzung der Einbürgerung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG ("wenn er seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert") bedeutet, dass der Einbürgerungsbewerber keine fremde Staatsangehörigkeit mehr besitzen darf oder eine solche durch den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit verlieren muss. Diese Auslegung der Vorschrift ergibt sich aus ihrem Sinn und Zweck, ihrer Entstehungsgeschichte und ihrem systematischen Zusammenhang mit § 12 StAG.

Sinn und Zweck der Vorschrift ist die Vermeidung der Entstehung von Mehrstaatigkeit durch die Einbürgerung. Sie wurde unverändert aus der Vorschrift des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AuslG 1990, und diese wiederum unverändert aus § 86 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990 in der bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Fassung übernommen. Nach der Begründung des Entwurfs für ein Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts, mit dem die Vorschrift des § 86 AuslG 1990 eingeführt wurde (BGBl. 1990 I, 1354), würde eine generelle Hinnahme von Mehrstaatigkeit dem Ziel einer Hinführung zu einer Loyalität zur Bundesrepublik Deutschland nicht dienen. Das deutsche Einbürgerungsrecht sei vom Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit geprägt. Mehrfache Staatsangehörigkeit werde immer noch innerstaatlich und international als eine Erscheinung betrachtet, die sowohl im Interesse des Staates wie im Interesse der Bürger möglichst vermieden oder beseitigt werden solle. Die Vermeidung von Mehrstaatigkeit – jedenfalls bei der Einbürgerung – sei auch ein international beachteter Grundsatz, welcher in dem Europarats-Übereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit vom 6. Mai 1963 seinen Ausdruck finde (BT-Drs. 11/6321, S. 47).

Dieses Ziel wurde auch bei der Änderung der Vorschrift mit dem Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 (BGBl. I, 1618) beibehalten. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs wurde auch bei dieser Reform des Staatsangehörigkeitsrechts der Gesichtspunkt der Vermeidung von Mehrstaatigkeit angemessen berücksichtigt. Insbesondere unter Ordnungsgesichtspunkten bestehe ein staatliches Interesse, die Fälle mehrfacher Staatsangehörigkeit einzuschränken (B-TDrs. 14/533, S. 11).

Dieser Zweck des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG ergibt sich auch aus seinem systematischen Zusammenhang mit § 12 StAG. Demnach wird nur in bestimmten Fällen von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG abgesehen. Hieraus ergibt sich, dass die vorherige Aufgabe oder der Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit durch die Einbürgerung die Regel, die Beibehaltung der bisherigen (fremden) Staatsangehörigkeit bei der Einbürgerung aber die Ausnahme sein und bleiben soll.

Angesichts dieses klaren Regelungszwecks spricht auch der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG entgegen der Auffassung des Klägers nicht durchgreifend dafür, dass die Einbürgerungsbehörde die Beweislast für das Bestehen einer aufzugebenden oder zu verlierenden fremden Staatsangehörigkeit des Einbürgerungsbewerbers trägt.

Gegen diese Beweislastverteilung vermag der Kläger schließlich nicht mit Erfolg einzuwenden, dass demnach der Einbürgerungsbewerber das Nichtbestehen jedweder fremden Staatsangehörigkeit beweisen müsste, deren Bestehen die Einbürgerungsbehörde auch nur behauptet. Die Beweislastverteilung greift nur, wenn ernsthafte Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Einbürgerungsbewerber die von der Einbürgerungsbehörde behauptete Staatsangehörigkeit besitzt. Anderenfalls bestehen keine (vernünftigen) Zweifel daran, dass der Einbürgerungsbewerber die behauptete fremde Staatsangehörigkeit nicht besitzt (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), und bedarf es folglich keiner Beweislastentscheidung. [...]