VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Beschluss vom 26.02.2009 - AN 19 E 09.30051 - asyl.net: M15609
https://www.asyl.net/rsdb/M15609
Leitsatz:

Die Situation von Asylsuchenden in Griechenland rechtfertigt nicht den Stopp der Überstellung im Dublin-Verfahren aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht zur Drittstaatenregelung.

Schlagwörter: Griechenland, unzulässiger Asylantrag, Verordnung Dublin II, Drittstaatenregelung, Abschiebungsanordnung, normative Vergewisserung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), einstweilige Anordnung
Normen: AsylVfG § 34a Abs. 2; VwGO § 123 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Der Antragsteller, ein im Jahr ... geborener Staatsangehöriger des Irak, begehrt eine einstweilige Anordnung dahingehend, die Antragsgegnerin zu verpflichten, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Antragstellers nach Griechenland vorläufig für die Dauer von sechs Monaten auszusetzen und für den Fall des Erlasses einer Rückschiebungsandrohung und deren Übergabe an die Ausländerbehörde, der Antragsgegnerin aufzugeben, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Rückschiebung nach Griechenland vorläufig für die Dauer von sechs Monaten nicht durchgeführt werden darf.

Der Antrag bzw. diese Anträge bleiben ohne Erfolg, weil sie als Begehren auf Aussetzung der Abschiebung durch das Gericht im Sinn des § 34a Abs. 2 AsylVfG zu erkennen sind und derartigen Anträgen nicht stattgegeben werden darf. [...]

Von einer Zuständigkeit der Republik Griechenland für die Durchführung eines Asylverfahrens im Fall des Antragstellers ist auf Grund seiner Angaben und seines dortigen mehrjährigen Aufenthalts auszugehen und eine anderweitige Zuständigkeit wurde dementsprechend auch in keiner Weise thematisiert. [...] Die Lage von Deutschland nach Griechenland zurücküberstellter Asylbewerber unterliegt nicht der Würdigung durch das Gericht, da Griechenland kraft Verfassung als Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften ein so genannter "sicherer Drittstaat" ist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG). In Abweichung von dem strikten gesetzlichen Verbot des § 34a Abs. 2 AsylVfG könnte Schutz vor einer Abschiebung nur dann gewährt werden, wenn Abschiebungshindernisse durch Umstände begründet würden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des "Konzepts normativer Vergewisserung" von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden könnten und damit von vornherein außerhalb der Grenzen der Durchführung eines solchen Konzepts lägen. Eine derartige Konstellation liegt aber nicht vor. Die vorgetragenen Umstände liegen gerade nicht außerhalb des Konzepts der normativen Vergewisserung. Soweit es sich um die Würdigung der allgemeinen Verhältnisse für Asylbewerber in einem Land handelt, hat das Bundesverfassungsgericht den "Fall in Betracht (gezogen), dass sich die für die Qualifizierung als sicher maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung nach § 26 a Abs. 3 AsylVfG hierauf noch aussteht". Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht die Konstellation angesprochen, dass ein durch die Anlage I zum Asylverfahrensgesetz (§ 26a Abs. 2 AsylVfG) zum sicheren Drittstaat bestimmter Staat auf Grund schlagartiger Änderung der Verhältnisse nicht mehr als sicher im genannten Sinn angesehen werden kann, hierauf die Bundesregierung durch eine Rechtsverordnung nach § 26a Abs. 3 AsylVfG reagieren müsste und aber (noch) nicht reagiert hat, wobei aber eine entsprechende Rechtsverordnung nur für längstens sechs Monate gilt (§ 26a Abs. 3 Satz 2 AsylVfG). Mithin ist dem Gesetzgeber letztlich eine Frist von sechs Monaten dafür eingeräumt, bei weiter bestehender Änderung der maßgeblichen rechtlichen und politischen Verhältnisse die Anlage I zum Asylverfahrensgesetz in der erforderlichen Weise anzupassen. Einer entsprechenden Rechtsverordnung vorgreifend kann es für das Gericht im Verfahren zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes geboten sein, Rechtsschutz vor Vollstreckung zu gewähren. Etwas anders verhält es sich im Fall der Republik Griechenland, die als Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften kraft Verfassung sicherer Drittstaat ist bzw. nicht einmal der Disposition des (einfachen) Gesetzgebers zur Einstufung als sicherer Drittstaat untersteht, bezüglich dessen Abschiebungen durch das Gericht nicht ausgesetzt werden dürfen. Von daher stellt sich schon die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht überhaupt im Fall einer Änderung der maßgeblichen Verhältnisse in einem EU-Staat einen Ausnahmefall dahingehend als möglich erachtet hätte, dass die Gerichte trotz § 34a Abs. 2 AsylVfG Schutz vor Abschiebung gewähren können. Selbst wenn man aber den Gerichten zubilligen wollte, nicht nur bei Änderung der Verhältnisse in sicheren Drittstaaten gemäß der Anlage I zu § 26a AsylVfG die jeweilige Lage eigenständig zu würdigen, sondern auch bei EU-Staaten, die unmittelbar kraft Verfassung sichere Drittstaaten sind, so kommt eine Gewährung von Abschiebungsschutz im Eilverfahren im hier vorliegenden Fall nicht in Betracht. Die Verhältnisse in Griechenland haben sich nicht derart entwickelt, dass es dem Gericht erlaubt bzw. für das Gericht geboten wäre, eigenständig über die Fragen der Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu befinden und danach seine Entscheidung auszurichten. Es liegt nicht annähernd eine Konstellation derart vor, die den vom Bundesverfassungsgericht angeführten Fällen unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten gleich steht, also gleichfalls eine Entscheidung gegen § 34a Abs. 2 AsylVfG gebietet. Insoweit ist maßgebend, dass über die Behandlung von Asylbewerbern durch die griechischen Behörden nun im Grunde schon seit Jahren – und durchaus kontrovers – diskutiert wird, nachdem sich in tatsächlicher Hinsicht durch einen drastischen Anstieg der Asylbewerberzahlen mindestens erhebliche praktische Schwierigkeiten ergeben haben, Asylverfahren in angemessener Weise durchzuführen. In diese Richtung läuft auch der Vortrag des Antragstellers. Die einschlägigen Fakten sind bekannt und nach Kenntnis des Gerichts hat die EU-Kommission auch im Januar 2008 – und damit nun vor gut einem Jahr – ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland eingeleitet. Damit ist in den Raum gestellt, dass sich die für die Qualifizierung aller Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften – damit auch Griechenlands – als sicher maßgeblichen Verhältnisse in Griechenland in einer Weise geändert haben, dass Griechenland nicht sicher im Sinn des Grundgesetzes ist. Es kann dahinstehen, ob von einer Sicherheit in Griechenland in diesem Sinn vorliegend in tatsächlicher Hinsicht noch ausgegangen werden kann, da jedenfalls keine Veränderung derart vorliegt, dass hierauf nicht vom (verfassungsändernden) Gesetzgeber reagiert werden könnte. Mit anderen Worten liegt die weitere Einstufung (auch) Griechenlands als sicherer Drittstaat durch die Verfassung innerhalb des Rahmens des Konzepts normativer Vergewisserung, weil es aus Sicht des erkennenden Gerichts und in Fortführung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 14.5.1996 a.a.O., Rd-Nr. 189 in Juris) ausschließlich eine Aufgabe der Legislative ist, die Einstufung eines Staats als sicherer Drittstaat aufzuheben. Anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn eine schlagartige Änderung der Verhältnisse festzustellen wäre, wie z.B. bei einem Militärputsch. Zu konstatieren ist vorliegend aber (allenfalls) eine schleichende Veränderung der Verhältnisse über einen langen Zeitraum, deren Beurteilung dem Gericht wegen § 34a Abs. 2 AsylVfG i. V. m. Art. 16a Abs. 2 Satz 3 GG verwehrt ist (vgl. insgesamt VG Düsseldorf vom 24.10.2008 - 16 L 1657/08.A -, VG Regensburg vom 15.9.2008 - RO 3 E 08.30124 - und VG Frankfurt vom 18.6.2008 - 2 L 1532/08.F.A (V)). [...]