VG München

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Zitieren als:
VG München, Beschluss vom 18.02.2009 - M 17 E 09.60008 - asyl.net: M15613
https://www.asyl.net/rsdb/M15613
Leitsatz:

Die andauernde Verletzung von europäischen Mindeststandards für das Asylverfahren (hier: Griechenland) rechtfertigt nicht den vorläufigen Stopp der Dublin-Überstellung entgegen § 34 a Abs. 2 AsylVfG.

Schlagwörter: Griechenland, Verfahrensrecht, unzulässiger Asylantrag, einstweilige Anordnung, vorbeugender Rechtsschutz, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Abschiebungsanordnung, Drittstaatenregelung, Verordnung Dublin II, normative Vergewisserung, Verfahrensrichtlinie, Aufnahmebedingungen
Normen: VwGO § 123 Abs. 1; AsylVfG § 34a Abs. 1; AsylVfG § 34a Abs. 2; EG VO Nr. 343/2003 Art. 19 Abs. 2 S. 3; AsylVfG § 26a; GG Art. 16a Abs. 2; AsylVfG § 27a
Auszüge:

[...]

Der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist unzulässig.

1. Es ist zweifelhaft, ob der Antragsteller ein Rechtsschutzbedürfnis für seinen Antrag hat. Die Abschiebung des Antragstellers nach Griechenland ist noch nicht angeordnet. Ob dem Antragsteller zuzumuten ist, mit der Antragstellung zuzuwarten, bis eine Abschiebungsanordnung ergangen ist, weil bei der dann unmittelbar stattfindenden Abschiebung die Inanspruchnahme effektiven Rechtsschutzes unzumutbar erschwert sein könnte, kann offen bleiben, denn der Antrag ist nicht statthaft.

2. Der Zulässigkeit des Antrages steht die Vorschrift des § 34 a Abs. 2 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) entgegen. Danach darf die Abschiebung eines Asylbewerbers nach § 34 a Abs. 1 AsylVfG nicht nach § 80 oder § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ausgesetzt werden, auch wenn er gegen die Aufenthaltsbeendigung Rechtsbehelfe einlegt. Es wird dem Betroffenen zugemutet, die Rechtsverfolgung vom Ausland aus zu betreiben. In diesem Sinne regelt auch Art. 19 Abs. 2 Satz 3 der Dublin II-Verordnung einen Vorbehalt dahingehend, dass ein vorläufiger Rechtsbehelf nur nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechtes zulässig ist, den das deutsche Recht jedoch nicht vorsieht. Das so normierte Verbot der Aussetzung ("darf nicht" in § 34 a Abs. 2 AsylVfG) ist dahingehend zu verstehen, dass ein Antrag auf Eilrechtsschutz bereits unstatthaft ist.

2.1 Die Voraussetzungen für das Verbot der Aussetzung gemäß § 34 a Abs. 1 AsylVfG liegen vor, da Griechenland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig und die Durchführung der Abschiebung möglich ist.

Ein Asylantrag bleibt ohne Erfolg, und die Abschiebung ist anzuordnen (§§ 26 a, 34 a AsylVfG), weil der Antragsteller aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland eingereist ist. Griechenland – wo sich der Antragsteller nach seinen Angaben vor seiner Einreise nach Deutschland befand – ist als Mitglied der Europäischen Union bereits kraft Verfassung sicherer Drittstaat (Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG). Griechenland ist auch nach der Zuständigkeitsregelung der Dublin II-Verordnung für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, sodass der Asylantrag als unzulässig abzulehnen ist (§ 27 a AsylVfG). [...]

2.2 Die Verfassungsmäßigkeit des § 34 a Abs. 2 AsylVfG wurde vom BVerfG bestätigt (Urteil vom 14.5.1996 BVerfGE 94, 49). Über das gesetzliche Verbot in § 34 a Abs. 2 AsylVfG dürfen sich die Verwaltungsgerichte grundsätzlich nicht hinwegsetzen. Etwas anderes gilt in verfassungskonformer Auslegung des § 34 a AsylVfG nach der Rechtsprechung des BVerfG ausnahmsweise dann, wenn in dem Drittstaat bestimmte konkrete Gefahrenlagen bestehen, d.h. die Bundesrepublik Deutschland hat z.B. Schutz zu gewähren (BVerfG a.a.O. Rn 189), wenn dem Ausländer im Drittstaat die Todesstrafe drohen sollte, wenn er eine erhebliche konkrete Gefahr dafür aufzeigt, dass er in unmittelbarem Zusammenhang mit der Rückführung in den Drittstaat dort Opfer eines Verbrechens werde, welches zu verhindern nicht in der Macht des Drittstaats stehe, wenn sich die für die Qualifizierung als sicher maßgeblichen Verhältnisse in dem Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung nach § 26a Abs. 3 AsylVfG hierauf noch aussteht, wenn eine Ausnahmesituation aufgezeigt wird, in der der Drittstaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung greift, oder wenn sich ergibt, dass der Drittstaat einem bestimmten Ausländer Schutz dadurch verweigern wird, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuches entledigen wird. An die Darlegung eines solchen ausnahmsweise anzunehmenden Hinderungsgrundes sind strenge Anforderungen zu stellen (BVerfG a.a.O. Rn 190). Eine Prüfung, ob der Abschiebung in den für das Asylverfahren zuständigen anderen Staat der Europäischen Gemeinschaft ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann nur dann erreicht werden, wenn sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass der betreffende Ausländer von einem der genannten Sonderfälle betroffen ist.

Die vom Antragsteller im vorliegenden Verfahren geltend gemachten allgemeinen Unzuträglichkeiten in der Versorgung der Asylbewerber und bei der Durchführung des Asylverfahrens in Griechenland können ein Abweichen von dieser gesetzgeberischen Wertung, dass in allen EU-Mitgliedstaaten ein ordnungsgemäßes Asylverfahren durchgeführt wird, so dass die Abschiebung in einen solchen Staat nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden darf, nicht rechtfertigen (vgl. VG Frankfurt vom 17.6.2008 Az. 12 L 615/08.F.A.; VG Düsseldorf vom 24.10.2008.; aaO; VG München v. 19.12.2008 M 22 S 08.60078). Derartige allgemeine Umstände könnten allenfalls dann zu einer Durchbrechung der das Gericht bindenden Vorschrift des § 34 a AsylVfG führen, wenn es sich um eine schlagartige Änderung der Verhältnisse handeln würde, auf die wegen ihrer Unvorhersehbarkeit noch keine Reaktion der Bundesregierung hatte erfolgen können. Die hier geltend gemachten Einwände gegen die in Griechenland bestehenden Gegebenheiten bei der Durchführung von Asylverfahren, sind jedoch seit geraumer Zeit bekannt, ohne dass Schritte nach § 26 a Abs. 3 AsylVfG eingeleitet worden wären. Es ist dem Gericht daher nicht möglich ist, sich unter Berufung auf die vom BVerfG angenommenen Fallgestaltungen über die Vorschrift des § 34 a AsylVfG hinwegzusetzen. Selbst wenn es in Griechenland bei der Registrierung von Asylanträgen zu Engpässen kommt und eine zeitnahe Registrierung nicht immer garantiert ist, kann eine solche, die Asylbewerber in dem EU-Mitgliedstaat allgemein treffende Situation nicht für die Annahme einer der vom BVerfG genannten, aufgrund dem Ausländer individuell drohender konkreter Gefahren begründeten Ausnahmesituationen genügen (vgl. die aktuelle Entscheidung des VGH Mannheim vom 17.11.2008 Az. A 2 S 2867/08).

Es wird nicht als Aufgabe der nationalen Verwaltungsgerichte betrachtet, über die Einhaltung europäischer Richtlinien, hier insbesondere der Richtlinien 2005/85/EG und 2004/83/EG eines anderen Staates zu befinden. Vielmehr liegt es in der Zuständigkeit sowohl der europäischen Organe wie auch der Mitgliedstaaten, gegebenenfalls entsprechende Rechtsbehelfe nach Art. 230 ff. des EGVertrages zu ergreifen.

Der Antragsteller hat darüber hinaus auch nicht glaubhaft gemacht, aufgrund seiner individuellen Verhältnisse in Griechenland mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einer konkreten Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt zu sein. In einem solchen Fall besonderer Schutzbedürftigkeit ist es denkbar, dass von einer Abschiebung abgesehen wird. Eine besondere Schutzbedürftigkeit hat der Antragsteller nicht vorgetragen. Vielmehr hat er sich vor seiner Ausreise seinen Angaben zufolge drei Monate lang in Griechenland aufgehalten. [...]