VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 11.02.2009 - 2 A 49.08 - asyl.net: M15616
https://www.asyl.net/rsdb/M15616
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, Einbürgerung, Einbürgerungszusicherung, Antrag, Auslegung, Klage, Verpflichtungsklage, Aufenthaltsdauer, gewöhnlicher Aufenthalt, Erlaubnisfiktion, Verlängerungsantrag, Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltsgenehmigung, Lebensunterhalt, Kinder, Unterhalt, Unterhaltsansprüche, Zukunftsprognose
Normen: StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 4; AuslG § 69 Abs. 3; StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 3
Auszüge:

D (A); Staatsangehörigkeitsrecht; Einbürgerung; Einbürgerungszusicherung; Antrag; Auslegung; Klage; Verpflichtungsklage; Aufenthaltsdauer; gewöhnlicher Aufenthalt; Erlaubnisfiktion; Verlängerungsantrag; Aufenthaltserlaubnis; Aufenthaltsgenehmigung; Lebensunterhalt; Kinder; Unterhalt; Unterhaltsansprüche; Zukunftsprognose

 

Auszüge aus dem Volltext:

[...]

Der Antrag des Klägers ist bei objektiviertem Verständnis (§§ 133, 157 BGB) dahin auszulegen, dass der Kläger (von Anfang an) nicht seine Einbürgerung, sondern die Erteilung einer Einbürgerungszusicherung begehrt. Dieses dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht (vgl. § 38 VwVfG) entlehnte Institut wird in Einbürgerungsverfahren nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz in ständiger Praxis auf Fälle drohender Mehrstaatigkeit angewandt. So liegt der Fall aber auch hier, da der Kläger seine mazedonische Staatsangehörigkeit erst durch die Erteilung einer entsprechenden Zusicherung erreichen kann. Nach Art. 19, 20 des Gesetzes über die Staatsangehörigkeit der Republik Mazedonien vom 27. Oktober 1992 in der Fassung vom 25. Juni 2006 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil Mazedonien [178. Lieferung]) endet die Staatsangehörigkeit der Republik Mazedonien (u.a.) durch Entlassung; dies setzt u.a. voraus, dass der mazedonische Staatsangehörige eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt oder nachgewiesen hat, dass er in eine fremde Staatsangehörigkeit aufgenommen werden wird. [...]

Die Ablehnung der Erteilung einer Einbürgerungszusicherung an den Kläger ist rechtswidrig und verletzt diesen in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Denn der Kläger hat einen Anspruch auf die begehrte Einbürgerungszusicherung. [...]

1. Der Kläger hat seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt. Ein Ausländer hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, wenn er nicht nur vorübergehend, sondern auf unabsehbare Zeit hier lebt, so dass eine Beendigung des Aufenthalts ungewiss ist. Die Rechtmäßigkeit des Daueraufenthalts setzt voraus, dass sie sich auf den dauernden Aufenthalt bezieht, ihn abdeckt. Nicht die bloße Anwesenheit, sondern ein etwaiger Daueraufenthalt muss rechtmäßig sein. In Fällen eines genehmigungsbedürftigen Aufenthalts wird daher vorausgesetzt, dass die Aufenthaltsgenehmigung für einen dauernden, nicht bloß für einen vorübergehenden Zweck erteilt worden ist (vgl. OVG Berlin, Urteil vom 19. Juni 2007 - OVG 5 B 12.06 - juris; Urteil der Kammer vom 26. November 2008 - VG 2 A 81.06 -; Hailbronner, in: Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. Aufl. 2005, § 10 Rn. 16 ff., jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier auch hinsichtlich des allein streitigen Zeitraumes vom 7. September 2001 bis zum 18. Dezember 2001 erfüllt. In dieser Zeit war der Aufenthalt des Klägers, der zuvor die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis beantragt hatte, rechtmäßig. Denn nach § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 3. Juni 1997 - 1 C 7/96 - NVwZ 1998, 185) galt der Aufenthalt eines Ausländers, der die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung beantragt hatte, bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt, wenn er sich seit mehr als sechs Monaten rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt. Diese Voraussetzungen erfüllte der Kläger als er die Erteilung vor Ablauf seiner befristeten Aufenthaltserlaubnis beantragte. [...]

Der Kläger hatte in dem fraglichen Zeitraum auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts setzt eine in die Zukunft gerichtete Prognose unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Verhältnisse voraus (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 17. Juni 2004 - 13 S 2516/02 - juris, Rn. 26). Danach war hier eine Beendigung des Aufenthalts des Klägers ungewiss. Der Kläger selbst wollte auf unabsehbare Zeit in Deutschland bleiben. Es war – wie die nachfolgende Entwicklung auch zeigte – mindestens offen, ob der Kläger die beantragte (unbefristete) Aufenthaltserlaubnis erhalten würde. Denn schon im ausländerrechtlichen Verfahren hatte der Kläger unter Antritt von Zeugenbeweis vorgetragen, dass zwischen ihm und seiner damaligen Ehefrau noch bis Mitte August 2001 eine eheliche Lebensgemeinschaft bestanden habe. In dem Fall hätte ihm ein vom Fortbestand der ehelichen Lebensgemeinschaft unabhängiges Aufenthaltsrecht zustehen können (vgl. § 19 AuslG), wie es dann ja auch letztlich von der Ausländerbehörde anerkannt wurde. Der demnach gewöhnliche Aufenthalt des Klägers wurde auch von der Erlaubnisfiktion des § 69 Abs. 3 AuslG gedeckt (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 17. Juni 2004, a.a.O., Rn. 27)

2. Der Kläger erfüllt die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG, wonach der Ausländer seinen Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten (SGB II) oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bestreiten kann.

Allerdings ist der Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass diese Voraussetzung nicht schon deshalb erfüllt ist, weil der Kläger tatsächlich keine Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII in Anspruch nimmt. Dies ist nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer nicht entscheidend. Vielmehr ist erforderlich, dass der Ausländer eigene Mittel in einer Höhe hat, die einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII ausschließen (vgl. z.B. Urteile der Kammer vom 1. April 2008 - VG 2 A 27.05 - und vom 1. März 2005 - VG 2 A 125.02 - juris; a.A. Berlit, in: GK-StAR, § 10 [Stand Oktober 2005] Rn. 220 f.). Für die Frage, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, kommt es nicht lediglich auf den Zeitpunkt der Entscheidung an. Vielmehr ist auch die positive Prognose zu fordern, dass der Eintritt einer nach den Vorschriften des SGB II und des SGB XII relevanten Hilfebedürftigkeit auch für einen überschaubaren Zeitraum in der Zukunft nicht zu erwarten ist (vgl. Urteil der Kammer vom 1. April 2008 - VG 2 A 27.05 m.w.N.). So liegt der Fall hier. Der Kläger hat weder gegenwärtig Anspruch auf Leistungen der oben bezeichneten Art (b), noch ist dies für einen überschaubaren Zeitraum in der Zukunft zu erwarten (c).

a) Dabei geht der Einzelrichter davon aus, dass ein Bedarf im Sinne des SGB II oder SGB XII der in Mazedonien lebenden Kinder des Klägers nicht zu berücksichtigen ist. Denn der Bedarf unterhaltsberechtigter Angehöriger bleibt jedenfalls dann im Rahmen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG unberücksichtigt, wenn diese – wie die Kinder des Klägers – nicht unter den Anwendungsbereich des SGB II oder des SGB XII fallen, weil sie nicht deutsche Staatsangehörige sind bzw. ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland haben (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II, §§ 23, 24 SGB XII). Dies entspricht Sinn und Zweck der Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG, der ein Mindestmaß wirtschaftlicher Integration des Einbürgerungsbewerbers, nicht aber die Sozialsysteme anderer Staaten oder die Unterhaltsansprüche Dritter sichern will (vgl. Berlit, a.a.O., Rn. 225).

Offen bleibt deshalb, in welchem grundsätzlichen Verhältnis die Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG zu denjenigen des SGB II und SGB XII steht, ob danach einbürgerungshindernd lediglich wirkt, wenn der Einbürgerungsbewerber einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II oder XII hat oder der Einbürgerung auch entgegensteht, wenn anspruchsberechtigt nicht der Ausländer selbst, sondern nur ein unterhaltsberechtigter Familienangehöriger ist (dafür Berlit, a.a.O., Rn. 224). Diese Frage stellt sich, weil der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG allein auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen durch den Einbürgerungsbewerber ("für sich und seine ...") abzustellen scheint. Dieser aber hat im Fall der Bedürftigkeit unterhaltsberechtigter Angehöriger nicht stets selbst einen Anspruch nach dem SGB II oder SGB XII. Denn auf der Bedarfsseite können unterhaltsberechtigte Angehörige nur dann berücksichtigt werden, wenn sie der Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 3 SGB II) angehören. Es ist nicht Aufgabe des SGB II, dafür zu sorgen, dass Unterhaltsansprüche gegenüber Leistungsempfängern des SGB II befriedigt werden. Vielmehr müssen die Unterhaltsberechtigten von Leistungsempfängern nach dem SGB II, soweit sie mit diesen nicht in einer Bedarfsgemeinschaft leben, eigene Ansprüche auf staatliche Transferleistungen geltend machen, soweit dafür die Voraussetzungen gegeben sein sollten (vgl. LSG Niedersachen-Bremen, Beschluss vom 11. Dezember 2006 - L 13 AS 2/06 ER - juris, Rn 17). Auf der Einkommensseite gilt – jedenfalls hinsichtlich der hier in Frage stehenden Grundsicherung für Arbeitssuchende – gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II, dass Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen (nur) bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag vom Einkommen abzusetzen sind.

b) Das gegenwärtige Einkommen des Klägers ist ausreichend, um seinen Bedarf zu decken. [...]

c) Der Eintritt einer nach den Vorschriften des SGB II und des SGB XII relevanten Hilfebedürftigkeit des Klägers ist auch für einen überschaubaren Zeitraum in der Zukunft nicht zu erwarten. Es besteht kein hinreichender Anlass für die Annahme, das Einkommen des Klägers werde nicht ausreichen, um seinen Bedarf zu decken. [...]