Keine ernsthafte Bedrohung durch willkürliche Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes gem. § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG für alle Rückkehrer in den Irak; Friseuren ist es zuzumuten, der Gefahr von Übergriffen durch Islamisten durch Vermeidung einer als "unislamisch" angesehenen Tätigkeit (z.B. Bartschneiden oder Entfernen von Gesichtshaaren) auszuweichen; keine extreme allgemeine Gefahrenlage i.S.d. verfassungskonformen Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG wegen schlechter Sicherheits- und Versorgungslage im Irak.
[...]
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Dem Kläger steht nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG bzw. eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Iraks zu. [...]
Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG (sog. europarechtliches Abschiebungsverbot) lässt sich nicht feststellen. Nach dieser Vorschrift ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Die Vorschrift setzt die sich aus Art. 18 i. V. m. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie) ergebenden Verpflichtungen auf Gewährung eines "subsidiären Schutzstatus" bzw. "subsidiären Schutzes" in nationales Recht um.
Der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist dabei unter Berücksichtigung der Bedeutung dieser Begriffe im humanitären Völkerrecht, insbesondere unter Heranziehung von Art. 3 der Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht von 1949 und des zur Präzisierung erlassenen Zusatzprotokolls II von 1977 auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u.a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts i.S.v. Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind (vgl. ausführlich BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 a.a.O.).
Ob die derzeitige Situation im Irak bereits die Annahme eines Bürgerkriegs und damit eines landesweit oder auch nur regional (etwa im Großraum Bagdad) bestehenden bewaffneten Konflikts i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu rechtfertigen vermag, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung (vgl. aber OVG des Saarlandes, Urteil vom 29.09.2006 - 3 R 6/06 - und Beschluss vom 30.07.2007 - 3 Q 130/06 -, wonach im Irak zwar ein Untergrundkrieg mit täglichen
Anschlägen und furchtbaren menschlichen Folgen stattfinde, sich das Land allerdings
nicht in einem Bürgerkrieg befinde).
Ein bewaffneter Konflikt begründete ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nämlich nur dann, wenn der Schutzsuchende von ihm ernsthaft individuell bedroht ist und keine innerstaatliche Schutzalternative besteht. Eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib und Leben droht dem Kläger als Angehörigen der Zivilbevölkerung vorliegend allerdings nicht.
Die von der angespannten Sicherheitslage im Irak ausgehende Gefährdung betrifft eine Vielzahl von Zivilpersonen und stellt damit eine Gefahr dar, der letztlich die gesamte Bevölkerung im Irak allgemein ausgesetzt ist. Die für den Schutzanspruch erforderliche erhebliche individuelle Gefahr kann erst dann bejaht werden, wenn sich allgemeine Gefahren mit der Folge einer ernsthaften persönlichen Betroffenheit aller Bewohner des Konfliktes verdichten oder sich durch individuelle gefahrerhöhende Umstände zuspitzen. Solche individuellen gefahrerhöhenden Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit ergeben. Im Übrigen können für die Feststellung der Gefahrendichte ähnliche Kriterien gelten wie im Bereich des Flüchtlingsrechts für den dort maßgeblichen Begriff der Verfolgungsdichte bei einer Gruppenverfolgung. Die Gefahr muss zusätzlich infolge "willkürlicher Gewalt" i.S.d. Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie drohen. Der Begriff "willkürliche Gewalt" als solcher dürfte insbesondere Anschläge erfassen, die nicht auf die bekämpfte Konfliktpartei gerichtet sind, sondern die Zivilbevölkerung treffen sollen. Er dürfte sich ferner auf Gewaltakte erstrecken, bei denen die Mittel und Methoden in unverhältnismäßiger Weise die Zivilbevölkerung betreffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.06.2008 a.a.O.).
Zu dieser Auslegung steht die zwischenzeitlich ergangene Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 17.02.2009 - C-465/07 - nicht in Widerspruch. Danach ist eine ernsthafte und individuelle Bedrohung i.S. von Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie dann zu bejahen, wenn der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht hat, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Gebiet allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Gemeint ist der Fall einer außergewöhnlichen Situation, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, der Schutzsuchende werde dieser Gefahr individuell ausgesetzt sein. Dabei kann der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit ein Anspruch auf subsidiären Schutz besteht, umso geringer sein, je mehr der Schutzsuchende möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. auch VG Stuttgart, Urteil vom 03.03.2009 - A 13 K 2869/08 - juris).
Vor diesem Hintergrund mögen die für die Situation im Irak typischen Selbstmordattentate und Bombenanschläge zwar Akte willkürlicher Gewalt darstellen; allerdings lässt sich weder die für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib und Leben i. S. d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erforderliche Gefahrendichte bzw. der erforderliche hohe Gefahrengrad feststellen (a), noch sind besondere in der Person des Klägers liegende, seine persönliche Situation betreffende Umstände gegeben, die auf eine erhöhte Gefährdung im Verhältnis zu sonstigen Angehörigen der Zivilbevölkerung schließen ließen (b).
a)Wie sich aus der ausführlichen Darstellung in den – in der mündlichen Verhandlung angesprochenen – Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes ergibt (vgl. Urteil vom 29.09.2006 a.a.O. sowie Beschlüsse vom 12.03.2007 - 1 Q 111/06 und vom 12.12.2007 - 3 Q 89/06 -), lag die landesweite Anschlagsdichte nach dem Stand von 2007 ausgehend von einer maximalen Opferzahl von etwa 100.000 Menschen bezogen auf die Gesamtbevölkerung des Irak bei lediglich 0,37 %. Danach blieben also 99,63 % der irakischen Zivilbevölkerung vor terroristischen Anschlägen und sonstigen Übergriffen verschont. Unter Zugrundelegung neuerer unabhängiger Schätzungen des irakischen Gesundheitsministeriums und der WHO, die von einer Opferzahl von rund 151.000 Menschen ausgehen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 06.10.2008 in Dok. Irak), folgt zwar ausgehend von einer Gesamtbevölkerung des Irak von 27,5 Millionen Menschen eine im Vergleich zum Stand von 2007 höhere Anschlagsdichte. Die danach mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,54 % gegebene Gefahr, Opfer eines Anschlags zu werden, ist gleichwohl zu gering, als dass von einer nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG geforderten individuellen Gefahr i.S. einer ernsthaften Bedrohung gesprochen werden könnte. Damit ist i.S. der Terminologie des EUGH zugleich gesagt, dass der den Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt noch kein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson werde bei Rückkehr allein durch ihre Anwesenheit tatsächlich Gefahr laufen, einer ernsthaften Bedrohung i.S. des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie ausgesetzt zu sein.
Dies gilt umso mehr angesichts des Umstandes, dass die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Irak seit Beginn der US-amerikanischen Truppenaufstockung im Frühsommer 2007 deutlich abgenommen und sich insbesondere im Süden des Landes die Sicherheitslage nach den erfolgreichen Operationen der Regierung im Frühjahr 2008 wesentlich verbessert hat vgl. dazu Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 06.10.2008 a.a.O.; ferner Informationszentrum Asyl und Migration Irak: Entwicklung der Sicherheitslage und Lage der Rückkehrer vom Februar 2008; EZKS, Auskunft an VG Düsseldorf vom 30.09.2008 und Uwe Brocks, Auskunft an VG Düsseldorf vom 14.07.2008, jeweils in Dok. Irak.
b) Individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Klägers liegen nicht darin, dass er der Berufsgruppe der Friseure angehört.
Die Kammer geht nach dem insoweit widerspruchsfreien Vorbringen des Klägers davon aus, dass er den Beruf des Friseurs erlernt hat, vor seiner Ausreise in diesem Beruf sechs Jahre gearbeitet hat und dies auch für den Fall einer Rückkehr in den Irak grundsätzlich wieder zu tun beabsichtigt.
Das Auswärtige Amt führt in dem vorzitierten Lagebericht vom 06.10.2008 unter dem Stichwort "Besonders gefährdete gesellschaftliche Gruppen" (Ziffer 2.2.1) aus, u.a. Friseure (das Stutzen von Bärten verstoße gegen das religiöse Empfinden von Radikalen) gerieten in das Visier der Aufständischen. Dabei seien die Attentäter in der Lage, ihre Opfer sehr präzise auszuwählen und zu treffen. In der von der Kammer zur Gefährdungssituation von Friseuren im Irak eingeholten gutachtlichen Stellungnahme des Europäischen Zentrums für kurdische Studien vom 31.12.2008 heißt es u.a., verlässliche Zahlen bzw. Statistiken zur Zahl der im Irak tätigen Friseure gebe es ebenso wenig wie zur Anzahl der Übergriffe. Zu Beginn der Übergriffe gegenüber Friseuren, das heißt in den Jahren 2005 und 2006, sei über dieses Phänomen allerdings breit berichtet worden. Es lägen diverse Berichte darüber vor, dass Friseure von islamistischen Extremisten mit gewalttätigen Sanktionen bedroht worden seien, sollten sie bestimmte Dienstleistungen weiter anbieten, die als "unislamisch" angesehen würden. Außerdem seien Friseure tätlich angegriffen, entführt oder gar getötet worden, weil sie solche Dienstleistungen angeboten hätten. Die als "unislamisch" charakterisierten Handlungen umfassten eine weite Bandbreite: Für Männer seien nicht nur Vollrasuren untersagt, sondern auch das Schneiden/Kürzen von Bärten im Allgemeinen, Spitzbärte und Koteletten im Besonderen, westliche bzw. moderne Haarschnitte, Gel in den Haaren, Gesichtsmassagen, das Färben von Haaren, die Entfernung von Gesichtshaaren mit Hilfe einer Art Kordel sowie Schönheitsbehandlungen generell. Derartige Übergriffe beschränkten sich nicht auf den Großraum Bagdad, sondern seien vielmehr in all denjenigen Gebieten üblich, in denen sunnitische bzw. schiitische Extremisten über erhebliche Macht verfügten. Nach den vorliegenden Berichten sei davon auszugehen, dass insbesondere in Bagdad zahlreiche Friseursalons geschlossen hätten. Die Mehrheit der in der Hauptstadt verbliebenen Salons platziere Hinweisschilder in ihren Schaufenstern, auf denen beispielsweise zu lesen sei, dass sie keine Bärte schnitten bzw. keine Gesichtshaare entfernten. Hierdurch seien Übergriffe zumindest verringert worden, allerdings mit dem Effekt, dass auch die Einnahmen in nennenswertem Umfang gesunken seien. Die Mehrheit der Friseure sei nicht mehr in der Lage, ihren Lebensunterhalt allein als Friseur zu bestreiten. Aufgrund der Gefahr für die Kunden würden als "unislamisch" beschriebene Dienstleistungen kaum noch nachgefragt.
Der Kläger, der sich in der mündlichen Verhandlung über die Situation seines Berufsstandes im Irak informiert zeigte, hat auf entsprechende Frage erklärt, sollte ein Kunde von ihm im Irak eine als "unislamisch" zu bezeichnende Dienstleistung verlangen, werde er versuchen, es dem Kunden auszureden. Die fragliche Dienstleistung werde er jedenfalls nicht erbringen. Dabei nähme er auch in Kauf, dass der Kunde seinen Salon ggf. verlasse und er insoweit einen Einnahmeverlust erleide.
Bei dieser Sachlage geht die Kammer davon aus, dass der Kläger, dem die Risiken einer "unislamischen" Friseurtätigkeit im Irak bewusst sind, seine berufliche Tätigkeit in einer Weise steuern kann, dass jedenfalls eine besondere Gefährdung durch die Ausübung des Friseurberufs im Vergleich zu der sonstigen Zivilbevölkerung nicht anzunehmen ist. Dem Kläger ist es dabei unter dem Aspekt europarechtlichen subsidiären Schutzes sowohl zumutbar, das Angebot seiner handwerklichen Dienstleistungen in dem vorbezeichneten Sinne einzuschränken, als auch die in Bagdad von der Mehrheit der dort tätigen Friseure praktizierten Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, nämlich entsprechende Hinweisschilder in seinen Schaufenstern zu platzieren. Dass Friseure, die derart vorgehen, gleichwohl einem besonderen Gefährdungsrisiko ausgesetzt wären, lässt sich weder der Stellungnahme des EZKS, noch dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes noch den sonstigen Erkenntnismitteln der Kammer entnehmen. [...]
Letztlich steht der Abschiebung des Klägers in den Irak auch kein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegen. [...]
Es entspricht vielmehr der Rechtsprechung der saarländischen Verwaltungsgerichte (vgl. zuletzt Urteil der Kammer vom 04.07.2008 - 2 K 1708/07 - und OVG Saarlouis, Urteil vom 29.09.2006 a.a.O.), dass irakische Staatsangehörige allein wegen der allgemein im Irak bestehenden Gefahren aufgrund der unzureichenden Sicherheitslage die Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht beanspruchen könne. Denn ungeachtet der aufgrund der Anschläge im Irak bestehenden Gefährdung für die dort lebenden Menschen rechtfertigt die Anzahl der durch Terrorakte sowie Kampfhandlungen zu beklagenden zivilen Opfer in Relation zu der Gesamtbevölkerungszahl des Iraks nicht die Annahme, jeder Iraker werde im Fall seiner Rückkehr unmittelbar landesweit Gefahr laufen, Opfer entsprechender Anschläge oder Kampfhandlungen zu werden. Daran, dass es an einer extremen Gefährdungslage für in den Irak zurückkehrende Asylbewerber fehlt, ist auch und gerade in Ansehung der rückläufigen Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle im Irak festzuhalten.
Im Ergebnis nichts anderes gilt auch im Hinblick auf die allgemeine Versorgungslage im Irak. Konkrete Anhaltspunkte für eine drohende Nahrungsmittelknappheit oder gar eine Hungerkatastrophe bestehen gegenwärtig nicht, zumal ein Großteil der Bevölkerung weiterhin Lebensmittelrationen aus einem Programm der Vereinten Nationen erhält
vgl. hierzu fortlaufend Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 06.10.2008, 19.12.2007 und 11.01.2007 jeweils in Dok. Irak. [...]