VG Bremen

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Zitieren als:
VG Bremen, Urteil vom 23.03.2009 - 4 K 3157/06 - asyl.net: M15631
https://www.asyl.net/rsdb/M15631
Leitsatz:

Die Rücknahme des Aufenthaltstitels der Eltern kann gem. § 17 StAG zum rückwirkenden Verlust der nach § 4 Abs. 3 StAG durch Geburt im Inland erworbenen deutschen Staatsangehörigkeit des Kindes führen, wenn es das fünfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat; die Regelung des § 17 StAG n.F. ist mit Art. 16 Abs. 1 GG vereinbar.

Schlagwörter: D (A), Staatsangehörigkeitsrecht, Kinder, Staatsangehörigkeitserwerb durch Geburt im Inland, Rückwirkung, Rücknahme, Aufenthaltstitel, Aufenthaltsbefugnis, Aufenthaltserlaubnis, Eltern, Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit, Verfassungsmäßigkeit, Falschangaben, Zurechnung
Normen: StAG § 4 Abs. 3; StAG § 17 Abs. 1 Nr. 7; StAG § 17 Abs. 2; StAG § 17 Abs. 3; GG Art. 16 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Für das Begehren der Kläger ist die Feststellungsklage die statthafte Klageart. Dem steht nicht entgegen, dass die Kläger auch die Ausstellung von Staatsangehörigkeitsausweisen von der Beklagten verlangen und nach erfolglosem Durchlaufen eines entsprechenden Verwaltungs- und Widerspruchsverfahrens ihr Begehren mit einer Verpflichtungsklage verfolgen könnten (vgl. dazu VGH Baden- Württemberg, U. v. 25.07.2008 - 13 S 1683/07 -; zitiert nach JURIS). Jedenfalls für den – hier vorliegenden – Fall, dass die Beteiligten zunächst übereinstimmend von der deutschen Staatsangehörigkeit des jeweiligen Klägers ausgegangen sind, wird die Zulässigkeit einer Feststellungsklage in Rechtsprechung und Literatur bejaht (vgl. VG Würzburg, U. v. 25.04.2002 - W 6 K 02.330 -; VG Göttingen, B. v. 27.04.2005 - 4 A 71/05 -; GK-StAR/Marx, § 4 StAG Rn. 314, 336 m.w.N.; verwaltungsgerichtliche Feststellungsurteile lagen auch dem Beschluss des BVerfG v. 24.10.2006 - 2 BvR 696/04 - und dem Beschluss des OVG Nordrhein-Westfalen v. 28.05.2008 - 18 B 425/08 - zugrunde; alle zitiert nach JURIS). Dem schließt sich die Kammer an.

Die Klage ist unbegründet. Die Kläger können die Feststellung, dass sie die deutsche Staatsangehörigkeit innehaben, nicht verlangen, weil sie keine deutschen Staatsangehörigen sind. [...]

1. Die Klägerin zu 1. erwarb die deutsche Staatsangehörigkeit mit ihrer Geburt am 16.02.2002 gem. § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG in der damaligen Fassung. Nach dieser Vorschrift erwarb ein Kind ausländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt im Inland, wenn ein Elternteil 1. seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte und 2. eine Aufenthaltsberechtigung oder seit drei Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besaß. [...]

Die Klägerin zu 1. verlor die deutsche Staatsangehörigkeit wieder mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt ihrer Geburt aufgrund der mit Bescheid der Ausländerbehörde Essen vom 26.03.2002 erfolgten Rücknahme der Aufenthaltsbefugnisse und der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ihres Vaters. Dieser Bescheid wurde mit dem rechtskräftigen Urteil des VG Gelsenkirchen vom 27.07.2005 bestandskräftig.

Gegen den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit der Klägerin zu 1. sprechen nicht die Neuregelungen des StAG in der Fassung des Gesetzes vom 05.02.2009 zur Änderung des Staatsangehörigkeitgesetzes, in Kraft getreten am 06.02.2009 (BGBl. I S. 158).

Nach § 17 Abs. 1 Nr. 7 StAG n.F. geht die Staatsangehörigkeit verloren "durch Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes (§ 35)“. Nach § 17 Abs. 2 StAG in dieser Fassung berührt der Verlust nach § 17 Abs. 1 Nr. 7 StAG nicht die kraft Gesetzes erworbene deutsche Staatsangehörigkeit Dritter, sofern diese das fünfte Lebensjahr vollendet haben. Nach § 17 Abs. 3 Satz 1 StAG in dieser Fassung gilt § 17 Abs. 2 StAG entsprechend bei Entscheidungen nach anderen Gesetzen, die den rückwirkenden Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit Dritter zur Folge hätten. § 35 StAG in dieser Fassung behandelt die Möglichkeit der Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung und einer rechtswidrigen Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit. § 17 Abs. 1 Nr. 7 StAG in der heutigen Fassung betrifft den vorliegenden Fall der Klägerin zu 1. nicht. Durch den Verweis im Gesetz auf § 35 StAG ist klargestellt, dass diese Regelung lediglich die Fälle der Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerung und einer rechtswidrigen Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit betrifft. Darum geht es im Fall der Klägerin zu 1. nicht, weil weder ihr Vater noch sie selbst eingebürgert wurden. Vielmehr erwarb sie die deutsche Staatsangehörigkeit qua Geburt. Infolgedessen kommt auch eine direkte Anwendung des § 17 Abs. 2 StAG in der heutigen Fassung hier nicht in Betracht, weil er auf § 17 Abs. 1 Nr. 7 StAG verweist. Jedoch folgt aus der Regelung des § 17 Abs. 3 Satz 1 StAG in der heutigen Fassung zum einen, dass der Gesetzgeber den rückwirkenden Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit Dritter infolge einer Entscheidung nach einem anderen Gesetz für möglich und rechtmäßig hält. Exemplarisch nennt er den Fall der Rücknahme der Niederlassungserlaubnis nach § 51 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG. Zum anderen regelt § 17 Abs. 3 StAG in der heutigen Fassung, dass eine solche Entscheidung nach einem anderen Gesetz nicht die kraft Gesetzes erworbene deutsche Staatsangehörigkeit Dritter berührt, sofern diese das fünfte Lebensjahr vollendet haben. Im Gegenschluss lässt sich feststellen, dass der Gesetzgeber es für rechtmäßig hält, dass die Rücknahme eines Aufenthaltsrechts nach einem anderen Gesetz, etwa nach § 48 VwVfG des jeweiligen Landes, zum rückwirkenden Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit eines Dritten, insbesondere eines Kindes, das qua Geburt gem. § 4 Abs. 3 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit erwarb, führt, wenn dieses noch nicht das fünfte Lebensjahr vollendet hat.

Unter Zugrundelegung dieser Gesetzeslage verlor die Klägerin zu 1. ihre deutsche Staatsangehörigkeit aufgrund des gegen ihren Vater ergangenen ausländerrechtlichen Bescheides vom 26.03.2002. Nach Auffassung der Kammer kommt es im Hinblick auf den Verlustzeitpunkt auf den Zeitpunkt des Bescheiderlasses an. Zu diesem Zeitpunkt war die am 16.02.2002 geborene Klägerin etwa sechs Wochen alt.

Der Verlust der Staatsangehörigkeit der Klägerin zu 1. stellt keinen Verstoß gegen Art. 16 Abs. 1 GG dar.

Nach Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG darf die deutsche Staatsangehörigkeit nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird. Der Staatsangehörigkeitsstatus ist für den Einzelnen von grundlegender Bedeutung. Er bestimmt seine staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Die Staatsangehörigkeit als Rechtsinstitut hat zudem rechtsstaatliche und demokratische Bedeutung, denn der bürgerschaftliche Status betrifft die konstituierenden Grundlagen der Rechtsordnung und des Gemeinwesens. Über ihn wird die Staatsgewalt, vermittelt über das Wahlrecht, legitimiert. Daher fordert Art. 16 Abs. 1 GG eine dieser Bedeutung angemessene gesetzliche Ausgestaltung auch für den Verlust der Staatsangehörigkeit. Nach dem Zweck des Entziehungsverbots ist Entziehung jede Verlustzufügung, die die – für den Einzelnen und für die Gesellschaft gleichermaßen bedeutsame – Funktion der Staatsangehörigkeit als verlässliche Grundlage gleichberechtigter Zugehörigkeit beeinträchtigt, insbesondere eine Verlustzufügung, die der Betroffene nicht oder nicht auf zumutbare Weise beeinflussen kann. Auch Regelungen, die eine Nichtigkeit oder Unwirksamkeit des Staatsangehörigkeitserwerbs ex tunc vorsehen, können gegen das Entziehungsverbot verstoßen. Zur Verlässlichkeit des Staatsangehörigkeitsstatus gehört auch die Vorhersehbarkeit eines Verlusts und damit ein ausreichendes Maß an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Bereich der staatsangehörigkeitsrechtlichen Verlustregelungen (BVerfG, U. v. 24.05.2006 - 2 BvR 669/04 -, zitiert nach JURIS).

Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings im genannten Urteil vom 24.05.2006 auch entschieden, dass Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG die Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung nicht ausschließt. Für den Fall der zeitnahen Rücknahme einer Einbürgerung, über deren Voraussetzungen der Eingebürgerte selbst getäuscht hat, biete § 48 VwVfG eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage. Wegen der Regelung des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG setze das GG selbst voraus, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch ein gegen den Willen des Betroffenen eintretender Verlust der Staatsangehörigkeit rechtmäßig sein könne. Bei Täuschung beeinträchtige das Nichtbelassen der erworbenen Rechtsposition weder ein berechtigtes Vertrauen des Betroffenen noch könne das Vertrauen Anderer, die sich in ihrem Einbürgerungsverfahren nichts hätten zuschulden kommen lassen, beeinträchtigt werden. Eine Rechtsordnung, die sich ernst nehme, dürfe nicht Prämien auf die Missachtung ihrer selbst setzen. Art. 16 Abs. 1 GG fordere eine angemessene gesetzliche Ausgestaltung auch für den Verlust der Staatsangehörigkeit. § 48 VwVfG genüge dem im Verhältnis zum Täuschenden. Die Frage, welche Auswirkungen ein Fehlverhalten im Einbürgerungsverfahren auf den Bestand der Staatsangehörigkeit Dritter haben könne, die an diesem Fehlverhalten nicht beteiligt waren, bedürfe einer Antwort durch den Gesetzgeber. Er könnte z.B. Altersgrenzen einführen.

Das Bundesverfassungsgericht hat ferner in seinem Beschluss vom 24.10.2006 - 2 BvR 696/04 -, zitiert nach JURIS, zum Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit infolge Anfechtung der Vaterschaft derjenigen Person, von der das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GG ableitete, ausgeführt, die rechtskräftige Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft beseitige eine zuvor bestehende deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes und nicht etwa nur den Schein einer solchen. Habe ein Kind die deutsche Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 1 S. 1 StAG erworben, so sei es gegen den Verlust derselben nach Maßgabe des Art. 16 Abs. 1 GG geschützt. Ein solcher Staatsangehörigkeitsverlust aufgrund Vaterschaftsanfechtung stelle jedoch keine Entziehung iSd. Art. 16 Abs. 1 GG dar. § 4 Abs. 1 S. 1 StAG stelle den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit unter den Vorbehalt, dass die Vaterschaft nicht erfolgreich angefochten werde. Der Vorbehalt führe aber nicht dazu, dass der anfechtungsbedingte Verlust aus dem Anwendungsbereich des Verbots der Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit herausfiele. Das Entziehungsverbot bestimme die Grenzen der Zulässigkeit einfachgesetzlicher Regelungen. Die Grenzen der Zulässigkeit der Entziehung würden bei der Vaterschaftsanfechtung nicht überschritten. Der Wegfall der Staatsangehörigkeit stelle eine verfassungswidrige Beeinträchtigung des Kindes jedenfalls dann nicht dar, wenn es sich in einem Alter befinde, in dem Kinder üblicherweise ein eigenes Vertrauen auf den Bestand der Staatsangehörigkeit noch nicht entwickelt hätten. Das Bundesverfassungsgericht hielt in dieser Entscheidung den Zeitpunkt der gerichtlichen Feststellung des Nichtbestehens der Vaterschaft insoweit für maßgeblich.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 05.09.2006 - 1 C 20/05 -, zitiert nach JURIS, offen gelassen, ob und ggf. welche verfassungsrechtlichen Grenzen für die Rückgängigmachung des gesetzlichen Erwerbs der Staatsangehörigkeit eines Kindes durch rückwirkende Aufhebung des Aufenthaltstitels des Elternteils bestehen. Das Gericht hat die Rücknahmeentscheidung gegenüber der Kindesmutter für ermessensfehlerhaft gehalten wegen Fehlens der notwendigen Abwägung mit privaten Belangen im Hinblick auf den deutschen Sohn, der die Staatsangehörigkeit nach § 4 Abs. 3 StAG erworben hatte. Das Gericht empfahl dem Gesetzgeber, diese Fallkonstellation bei der bevorstehenden Befassung mit staatsangehörigkeitsrechtlichen Fragen mit zu bedenken.

Unter Berücksichtigung dieser höchstrichterlichen Vorgaben hält die erkennende Kammer auch die Gesetzeslage vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 05.02.2009 für ausreichend, um von einem rechtmäßigen rückwirkenden Erlöschen der Staatsangehörigkeit der Klägerin zu 1. auszugehen.

Der Staatsangehörigkeitserwerb nach § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG wurde und wird an veränderliche Voraussetzungen geknüpft, nämlich an die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Elternteils und das Vorliegen einer bestimmten Aufenthaltsgenehmigung (nach dem AuslG) bzw. eines bestimmten Aufenthaltstitels (nach dem AufenthG). Da die Zuerkennung des Aufenthaltsrechts als Verwaltungsakt grundsätzlich auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden kann, ist der Staatsangehörigkeitserwerb von Anfang an mit der Möglichkeit des späteren Wegfalls belastet, es besteht ein Vorbehalt und damit ein Unsicherheitsmoment. Aus § 72 Abs. 2 Satz 1 AuslG, jetzt § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, folgt, dass die Rechtswirkung des Rücknahmebescheides auf die Staatsangehörigkeit des Kindes unmittelbar mit der Zustellung des Bescheides eintritt. Die ausländerrechtliche Entscheidung gegenüber dem Elternteil verstößt nicht gegen Art. 16 GG im Hinblick auf das dadurch betroffene Kind. Es liegt kein unzulässiger Entzug iSd. Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG vor. Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit aufgrund von falschen Angaben oder vorsätzlicher Täuschung genießt keinen grundgesetzlichen Schutz. So wie im Fall der Vaterschaftsanfechtung nach §§ 1600 ff. BGB Art. 16 Abs. 1 GG dem Staatsangehörigkeitsverlust eines noch nicht fünfjährigen Kindes nicht entgegensteht (vgl. den oben dargestellten Beschluss des BVerfG vom 24.10.2006 - 2 BvR 696/04 -, den dem zugrunde liegenden Beschluss des OVG Hamburg vom 10.02.2004 - 3 Bf 238/03 - und Dörig, Anmerkung vom 29.01.2007 zum Urteil des BVerwG vom 05.09.2006 - 1 C 20/05 -; alle zitiert nach JURIS), gilt dies nach Auffassung der Kammer auch für den Fall der Rücknahme der Aufenthaltsgenehmigung des Elternteils eines gerade sechs Wochen alten Kindes mit Wirkung für die Vergangenheit dann, wenn die Rücknahme aufgrund einer Täuschung erfolgte (vgl. zu allem OVG Nordrhein-Westfalen, B. v. 28.05.2008 - 18 B 425/08 -; VG Berlin, U. v. 27.02.2003 - 29 A 237.02 -, Dörig, a.a.O.; alle zitiert nach JURIS; VG Gelsenkirchen, U. v. 11.10.2007 - 8 K 1033/07 - und U. v. 12.09.2008 - 8 K 2698/08 -; kritisch: Kiefer, ZAR 2007, 93 ff.; offen gelassen vom OVG Bremen im die Kläger betreffenden Beschluss vom 30.10.2007 - 1 B 138/07 -).

Eine Täuschung durch den maßgeblichen Elternteil muss sich das betroffene Kind zurechnen lassen (vgl. BVerwG, U. v. 09.09.2003 - 1 C 6/03 -, zitiert nach JURIS; Becker, NVwZ 2006, 304, 306; Kiefer, ZAR 2007, a.a.O., S. 95). Im vorliegenden Fall hatte die Ausländerbehörde Essen die Aufenthaltsgenehmigungen des Vaters der Klägerin zu 1. mit Bescheid vom 26.03.2002 zurückgenommen, weil für ihn gegenüber der Behörde bei Beantragung und Erhalt der Aufenthaltsgenehmigungen Aliaspersonalien angegeben und seine türkische Staatsangehörigkeit verschwiegen worden seien. Auch nachdem er selbst verfahrensfähig geworden sei, habe er nicht zur Aufklärung seiner tatsächlichen Identität beigetragen. Zwar mögen die Rücknahmevorschriften des VwVfG abstrakt betrachtet "weit" und "allgemein" erscheinen (so die Formulierung des OVG Bremen im Beschluss vom 30.10.2007), so dass die Rücknahme von Aufenthaltstiteln "nicht ohne weiteres" mit der erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung gleichsetzbar erscheinen mag. Nach Auffassung der Kammer bekommen jedoch im Fall der nur durch Täuschung erfüllten Voraussetzungen des Staatsangehörigkeitserwerbs qua Geburt der Rücknahmegrund und die Rücknahme des Aufenthaltstitels selbst eine derart konkrete Gestalt, dass dieser Fall mit dem der fälschlich angenommenen Vaterschaft und der späteren erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung gleichzusetzen ist. Für diese Gleichbehandlung spricht auch die Begründung vom 10.10.2008 zum Entwurf der Bundesregierung zum Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (BT-Drs. 16/10528, S. 2). Im Rahmen der Erörterung des „Problemkomplexes“ der Auswirkungen der Rücknahme eines Verwaltungsaktes bzw. der Anfechtung der Vaterschaft auf den Abstammungserwerb (§ 4 Abs. 1 StAG) bzw. auf einen anderen gesetzlichen Erwerb Dritter, zum Beispiel Kinder mit Ius-soli-Erwerb (§ 4 Abs. 3 StAG), wird – ohne inhaltliche Differenzierung – ausgeführt:

"Das ... Problem soll durch eine Ergänzung des Staatsangehörigkeitsgesetzes gelöst werden, die bewirkt, dass der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bei unbeteiligten Dritten in den genannten Fällen nicht mehr eintritt, wenn diese Personen fünf Jahre alt sind. Bei Kindern unter fünf Jahren kann davon ausgegangen werden, dass sie noch kein eigenes Bewusstsein von ihrer Staatsangehörigkeit haben und daher der Kernbestand des Art. 16 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes nicht tangiert wird (vgl. BVerfG vom 24. Oktober 2006, a.a.O.)"

Es wäre mithin Sache des Vaters der Klägerin zu 1. als deren gesetzlicher Vertreter gewesen, auf die aufgrund des Rücknahmebescheides der Ausländerbehörde Essen vom 26.03.2002 für seine Tochter eintretende staatsangehörigkeitsrechtliche Rechtsfolge im damaligen Widerspruchs- und Klageverfahren hinzuweisen, die rechtlichen Interessen des Kindes wahrzunehmen und eine Ermessensentscheidung einzufordern, die sich mit dieser Rechtsfolge angemessen und ausreichend befasst. Das ist versäumt worden. Dies führt nicht dazu, dass nunmehr die Beklagte des vorliegenden Verfahrens eine eigene, die Staatsangehörigkeit der Klägerin zu 1. betreffende Entscheidung zu treffen hat, weil sich die eingetretene Rechtsfolge bereits aus dem Gesetz ergibt, wie dargelegt wurde. Auch eine gerichtliche Feststellung des Bestehens der deutschen Staatsangehörigkeit der Klägerin zu 1. ist aus diesem Grund nicht möglich. [...]