VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.04.2009 - 13 S 3086/08 - asyl.net: M15651
https://www.asyl.net/rsdb/M15651
Leitsatz:

1. Die Bescheinigung der "begrenzten" Fortgeltungs- oder Fortbestandsfunktion gemäß § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist - wie die sog. Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG - kein Verwaltungsakt i.S.v. § 35 Satz 1 LVwVfG.

2. Die Befristung der Geltungsdauer dieser Bescheinigung auf drei Monate ist verhältnismäßig.

 

Schlagwörter: D (A), Verfahrensrecht, Fortgeltungsfiktion, Bescheinigung, Verwaltungsakt, allgemeine Leistungsklage, Verpflichtungsklage, Befristung, Geltungsdauer, Verhältnismäßigkeit
Normen: AufenthG § 84 Abs. 2 S. 2; VwVfG § 35
Auszüge:

1. Die Bescheinigung der "begrenzten" Fortgeltungs- oder Fortbestandsfunktion gemäß § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist - wie die sog. Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG - kein Verwaltungsakt i.S.v. § 35 Satz 1 LVwVfG.

2. Die Befristung der Geltungsdauer dieser Bescheinigung auf drei Monate ist verhältnismäßig.

(Amtliche Leitsätze)

 

[...]

Die zulässige Berufung der Kläger hat keinen Erfolg. Sie ist nicht begründet.

1. Die Klage ist zulässig.

a) Es handelt sich um eine allgemeine Leistungsklage und nicht - wie die Kläger meinen - um eine Verpflichtungsklage i.S.v. § 42 Abs. 1, 2. Alt. VwGO.

Die hier streitgegenständliche Bescheinigung der "begrenzten" Fortgeltungs- oder Fortbestandsfunktion gemäß § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist kein Verwaltungsakt i.S.v. § 35 Satz 1 LVwVfG, denn ihr fehlt der Regelungsgehalt. Folglich weisen auch ihre einzelnen Bestandteile wie die hier umstrittene Befristung der Geltungsdauer keinen Regelungscharakter i.S.v. § 35 Satz 1 LVwVfG auf. Eine solche Bescheinigung hat keine konstitutive Wirkung. Es handelt sich bei ihr nicht um einen feststellenden oder rechtsgestaltenden Verwaltungsakt, der mit einem Aufenthaltstitel vergleichbar wäre, sondern lediglich um eine deklaratorische Bescheinigung, die nicht hindert, auf die wahre Rechtslage zurückzugreifen. Dies war und ist für die vergleichbaren Bescheinigungen nach § 81 Abs. 5 AufenthG oder - nach "altem" Recht - § 69 Abs. 3 AuslG einhellige Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 3.6.1997 - 1 C 7.96 - NVwZ 1998, 185; VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 6.5.2008 - 13 S 499/08 - juris und vom 21.7.2004 - 13 S 1532/04 - VBlBW 2004, 480 sowie Urteil vom 23.11.1995 - 11 S 2986/94 - InfAuslR 1996, 174; Funke-Kaiser in GK-AufenthG § 81 Rn. 55 jeweils m. w. Nachw). Auch in Bezug auf die - hier streitgegenständliche - Bescheinigung der Wirkungen des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG geht die obergerichtliche Rechtsprechung soweit ersichtlich daher zu Recht ohne weiteres davon aus, dass es sich um eine formlose Bescheinigung ohne konstitutiven Charakter handelt, die allein dazu dient, dem Ausländer den Nachweis gegenüber Dritten zu ermöglichen (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 21.10.2005 - 4 Bs 222/05 - InfAuslR 2006, 60 und OVG Nordr.-Westf., Beschluss vom 30.3.2007 - 19 B 2309/06 - InfAuslR 2007, 279). [...]

2. Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Die Befristung der Geltungsdauer der Bescheinigung der "begrenzten" Fortgeltungs- oder Fortbestandsfunktion gemäß § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auf jeweils drei Monate ist nicht zu Lasten der Kläger rechtswidrig.

Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung über die Bescheinigung der "begrenzten" Fortgeltungs- oder Fortbestandsfunktion des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG existiert nicht. Anders als im Falle der Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG ist die Ausstellung der hier streitgegenständlichen Bescheinigungen gesetzlich nicht geregelt. Dies führt indes nicht schon "per se" zu ihrer Rechtswidrigkeit. Da es sich bei diesen Bescheinigungen - wie bereits unter 1. a) dargelegt - um keine Verwaltungsakte i.S.v. § 35 Satz 1 LVwVfG handelt und auch die darin enthaltene Befristung der Geltungsdauer keine Nebenbestimmung i.S.v. § 36 Abs. 2 Nr. 1 LVwVfG darstellt, bedarf es nicht schon von vornherein einer entsprechenden ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung. [...]

Die vorgenommenen Befristungen der Geltungsdauer sind aber auch inhaltlich zutreffend und sachlich gehalten. Anders wäre dies allerdings dann zu beurteilen, wenn sie den Eindruck erwecken würden, mit Ablauf der Befristung würde jeweils automatisch die "begrenzte" Fortgeltungs- oder Fortbestandsfunktion des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG erlöschen, denn wie im Falle des § 81 Abs. 5 AufenthG - oder nach alter Rechtslage des § 69 Abs. 3 AuslG - führt der Ablauf einer solchen Frist in einer deklaratorischen Bescheinigung nicht zur Beendigung der gesetzlichen Fiktionswirkung (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 23.11.1995, a.a.O.). Eine derart irreführende Formulierung findet sich in den den Klägern erteilten Bescheinigungen indes nicht. Darin wird hinreichend deutlich ausgeführt, dass sich die Befristungen nur auf die Geltungsdauer der Bescheinungen, nicht aber auf die jeweils bescheinigte "begrenzte" Fortgeltungs- oder Fortbestandsfunktion selbst beziehen. In den Bescheinigungen wird dargelegt, weshalb diese Wirkung eingetreten ist und darauf hingewiesen, dass sie längstens bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit der Verfügung der Ausländerbehörde gilt. Im Übrigen weisen die Bescheinigungen auch sonst keinen unzutreffenden oder gar diskriminierenden Inhalt auf (vgl. hierzu bereits Senatsbeschluss vom 2.2.2009 bezgl. PKH-Bewilligung).

Auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist entgegen der Auffassung der Kläger gewahrt. Die hier vorgenommene Befristung auf jeweils drei Monate ist verhältnismäßig. Es besteht kein Zweifel, dass eine Befristung der Geltungsdauer der Bescheinigungen geeignet ist, die Möglichkeit des Missbrauchs durch die Verwendung nach Ende der Fiktionswirkung erheblich zeitlich einzuschränken. Die Befristung ist auch erforderlich, da insoweit eine mildere Maßnahme nicht ersichtlich ist. Schließlich ist sie auch angemessen. Zwar sind gewisse Nachteile auf dem Arbeitsmarkt durch die vorgenommene Befristung nicht ganz auszuschließen. Auf der anderen Seite ist aber zu beachten, dass eine Bescheinigung, die höchstens für die Dauer der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gilt, ohnehin erkennbar nur eine mit Unsicherheiten behaftete Position bescheinigt, die durch eine Befristung ihrer Geltungsdauer kaum weiter beeinträchtigt wird. Auch die mittelbaren Folgen, dass die Kläger alle drei Monate bei der Behörde vorsprechen müssen, wenn die „begrenzte“ Fortgeltungs- oder Fortbestandsfunktion des § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG noch besteht, um eine Verlängerung vornehmen zu lassen, und hierfür eine Verwaltungsgebühr erhoben wird, wiegen gegenüber dem Zweck der Befristung - der Einschränkung der Missbrauchsgefahr - nur gering. Dies gilt jedenfalls solange die Behörde - wie hier - eine ausreichend bemessene Befristung auf drei Monate vornimmt. In einer solchen angemessenen Frist kann keine unzulässige "Schikane" der Kläger gesehen werden. [...]