VG Darmstadt

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Zitieren als:
VG Darmstadt, Urteil vom 11.12.2008 - 7 K 60/08.DA - asyl.net: M15713
https://www.asyl.net/rsdb/M15713
Leitsatz:

Die Vorschrift des § 102 Abs. 2 AufenthG steht der Anrechnung von Aufenthaltszeiten eines vorangegangenen Asylverfahrens nicht entgegen. Bei der Berechnung der Aufenthaltszeiten kann nur ein Asylverfahren berücksichtigt werden. Dieses muss der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorangegangen sein.

 

Schlagwörter: D (A), Niederlassungserlaubnis, Aufenthaltsdauer, Unterbrechung, Asylverfahren, Folgeverfahren
Normen: AufenthG § 26 Abs. 4; AufenthG § 102 Abs. 2
Auszüge:

Die Vorschrift des § 102 Abs. 2 AufenthG steht der Anrechnung von Aufenthaltszeiten eines vorangegangenen Asylverfahrens nicht entgegen. Bei der Berechnung der Aufenthaltszeiten kann nur ein Asylverfahren berücksichtigt werden. Dieses muss der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorangegangen sein.

(Amtlicher Leitsatz)

 

[...]

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet. [...]

Der Landrat des Beklagten hat zu Recht die beantragte Niederlassungserlaubnis versagt, weil der Kläger nicht die erforderlichen Bestandszeiten gem. § 26 Abs. 4 AufenthG erfüllt. [...]

Allerdings kann der Ansicht des Beklagten, eine Berücksichtigung der Aufenthaltszeiten des Asylverfahrens des Klägers könne deshalb nicht erfolgen, weil der Kläger erst seit dem 19.02.2007 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sei und die Zeiten vor dem 01.01.2005 wegen einer Unterbrechung von über zwei Jahren nicht angerechnet werden könnten, da er seit sieben Jahren ununterbrochen im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen sein muss, nicht gefolgt werden. Denn die Zeiten eines vorangegangenen Asylverfahrens sind bei der Berechnung der Aufenthaltszeiten gem. § 26 Abs. 4 Satz 3 AufenthG anzurechnen, ohne dass es auf die Frage einer Unterbrechung ankäme (VG Darmstadt, Urt. vom 11.12.2008 - 7 E 1457/07).

Zwar wird in der Rechtsprechung die Auffassung (VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 19.05.2008 - 11 S 942/08, a.a.O; Hess VGH, Beschl. v. 16.07.2007 - 11TP 1155/07, a.a.O. ; VG Wiesbaden, Urt. v. 19.12.2007 - 4 E 1199/07, a.a.O.) vertreten, dass unter Berücksichtigung der Vorschrift des § 102 Abs. 2 AufenthG eine Anrechnung von Duldungszeiten nur bei einem ununterbrochen Aufenthalt möglich ist. Jedoch geht es vorliegend weder um die Anrechnung von Duldungszeiten, noch kann die als Übergangsvorschrift konzipierte Norm des § 102 Abs. 2 AufenthG entsprechend auf die Aufenthaltszeiten des Asylverfahrens angewandt werden.

Nach § 102 Abs. 2 AufenthG wird auf die Frist des § 26 Abs. 4 AufenthG die Zeit des Besitzes einer Aufenthaltsbefugnis oder einer Duldung vor dem 1. Januar 2005 angerechnet. Duldungszeiten bis zum 01. Januar 2005 sollen danach nur dann angerechnet werden, wenn sich ihnen nahtlos eine Aufenthaltserlaubnis angeschlossen hat oder wenn eine Aufenthaltserlaubnis nach dem 1. Januar 2005 nach nur unbedeutender Unterbrechung von weniger als einem Jahr, also noch im Jahr 2006, erteilt wurde. Daher erlangt die Regelung des § 102 Abs. 2 AufenthG nur für eine Übergangszeit von weniger als einem Jahr ab dem 01. Januar 2005 Bedeutung (VG Wiesbaden, Urt. v. 19.12.2007 - 4 E 1199/07, a.a.O.). Diese Auslegung ist nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung auch gerechtfertigt. Mit ihr soll nämlich sichergestellt werden, dass diejenigen Ausländer, die durch die Neuregelungen des Aufenthaltsgesetzes erstmals einen Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis erlangten, während sie bei unverändertem Sachverhalt zuvor nach den Regelungen des Ausländergesetzes lediglich geduldet werden durften, diesen einheitlich zu beurteilenden zusammenhängenden Zeitraum bei der Berechnung der 7-Jahres-Frist angerechnet bekommen. Dieser Rechtsgedanke ist aber auf die Vorschrift des § 26 Abs. 4 Satz 3 AufenthG nicht übertragbar. Für die im Rahmen des § 26 Abs. 4 Satz 3 AufenthG vorzunehmende Berücksichtigung der Asylverfahrenszeiten findet sich gerade keine Regelung, aus der ein Ausschluss der Anrechnung von Voraufenthaltszeiten abgeleitet werden könnte.

Einer grundsätzlichen Berücksichtigung der Aufenthaltszeiten des Asylverfahrens steht auch nicht entgegen, dass der Kläger zwischen dem Asylverfahren und der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach diesem Abschnitt lediglich im Besitz einer Duldung war. Da das Asylverfahren der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorangegangen sein muss, lässt der Wortlaut die Auslegung zu, dass zwischen dem anrechenbaren Asylverfahren und der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis eine nicht in Form der Aufenthaltserlaubnis geregelte Zeitspanne liegen kann. Der Wortlaut verlangt nicht eine unmittelbare zeitliche Aufeinanderfolge des Asylverfahrens und der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis (so auch für den wortgleichen § 35 AuslG: VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 13.10.1995 - 13 S 628/95 - InfAuslR 1996, 205).

Auch der Sinn und Zweck der Regelung gebietet keinen unmittelbaren Anschluss der Erteilung eines Titels an das anzurechnende Asylverfahren. Der Zweck des § 26 Abs. 4 AufenthG besteht darin, nach langjährigem legalem Aufenthalt die Möglichkeit einer Aufenthaltsverfestigung zu eröffnen (s.a. HessVGH, Beschl. v. 16.07.2007 - 11 TP 1155/07 - juris -; für den wortgleichen § 35 Abs. 1 AuslG: BT-Drucks. 11/6321 [68]) und berücksichtigt, dass der Ausländer die Verfahrensdauer des Asylverfahrens mangels begrenztem Einfluss nicht zu vertreten hat (Burr in GK, § 26 AufenthG Rdnr. 28). Dieser Zweck entfällt nicht dadurch, dass die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis sich nicht unmittelbar an das Asylverfahren anschließt.

Jedoch erfüllt der Kläger auch unter Berücksichtigung der Aufenthaltszeiten des vorangegangenen Asylverfahrens die erforderlichen Bestandszeiten nicht. [...]

Gemäß § 26 Abs. 4 Satz 3 AufenthG ist lediglich die Aufenthaltszeit des Asylverfahrens anzurechnen, das der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorangegangen ist.

Im Hinblick auf den Wortlaut der Bestimmung, nämlich der Verwendung des Singulars - "des Asylverfahrens" - können die Zeiten mehrerer Asylverfahren nicht zusammengerechnet werden (BVerwG, Urt. v. 15.07.1997 - 1 C 15/96, Kanein/Renner, AuslR, 8. Aufl., § 26 AsylVfG Rdnr. 11). Der insoweit eindeutige Wortlaut lässt keine andere erweiternde Auslegung zu, insbesondere nicht dahingehend, dass mehrere Asylverfahren angerechnet werden können (für die insoweit wortgleiche Vorschrift des § 35 AuslG: BVerwG, Urt. v. 15.07.1997 - a.a.O.; Hailbronner, Ausländerecht, § 35 AuslG Rdnr. 7; Kanein/Renner, AuslR, § 35 AuslG Rdnr. 4). Der Grund der Anrechenbarkeit der Zeit des vorangegangenen Asylverfahrens liegt darin, dass die vom Asylbewerber nicht zu vertretende lange Dauer des Asylverfahrens berücksichtigt werden soll, nicht aber eine Mehrzahl von Verfahren (BVerwG, Urt. v. 15.07.1997 - 1 C 15/96 -, a.a.O.). Die Beschränkung der Anrechenbarkeit auf ein einziges Asylverfahren soll verhindern, dass ein zusätzlicher Anreiz geschaffen wird, unbegründete Asylanträge zu stellen, die lediglich der vorübergehenden Aufenthaltssicherung dienen. Nur die vom Asylbewerber nicht zu vertretende lange Dauer des vorangegangenen Asylverfahrens soll bei der Beurteilung der Verfestigung des Aufenthalts, die Voraussetzung für ein rechtlich gesicherten Aufenthalt ist, mit berücksichtigt werden. Zwar kann daher auch grundsätzlich ein durch einen Folgeantrag eingeleitetes Asylverfahren anrechenbar sein, denn was unter "Asylverfahren" zu verstehen ist, ist nach dem Sinn der Vorschrift in ihrem Kontext zu ermitteln. Ein Folgeantragsverfahren ist daher dann mit dem Erstverfahren als "ein Asylverfahren" anzusehen, wenn es gemäß § 71 Abs. 1 AsylVfG zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat. In diesem Fall ist auch die Dauer eines durch einen Folgeantrag ausgelösten Asylverfahrens, etwa bei einer Veränderung der Verhältnisse im Heimatland, ein Umstand, der vom Antragsteller nicht zu vertreten ist.

Nach diesen Grundsätzen kann entgegen der Ansicht des Klägers jedoch nicht die Aufenthaltszeit seit Stellung des Asylantrages berücksichtigt werden, sondern nur die Aufenthaltszeit während seines Asylfolgeverfahrens. Der am 09.08.2004 gestellte Asylfolgeantrag führte nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens, sondern wurde mit Bescheid des Bundesamtes am 20.08.2004 abgelehnt. Mithin ist dieses Asylverfahren als das der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis vorangegangene anzusehen, ohne dass das erste Asylverfahren noch von den Aufenthaltszeiten zu berücksichtigen wäre. [...]