Ein Asylantrag in einem anderen Dublin-Staat lässt keine Aufenthaltsgestattung gem. § 55 Abs. 1 AsylVfG entstehen; die Bundespolizei ist auch dann für die Zurückschiebung zuständig, wenn sich der Ausländer zwischenzeitlich im Landesinneren aufgehalten hat und anschließend im grenznahen Raum gem. § 2 Abs. 2 Nr. 3 BPolG aufgegriffen wird.
Ein Asylantrag in einem anderen Dublin-Staat lässt keine Aufenthaltsgestattung gem. § 55 Abs. 1 AsylVfG entstehen; die Bundespolizei ist auch dann für die Zurückschiebung zuständig, wenn sich der Ausländer zwischenzeitlich im Landesinneren aufgehalten hat und anschließend im grenznahen Raum gem. § 2 Abs. 2 Nr. 3 BPolG aufgegriffen wird.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 27 Abs. 1 S. 1 FGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§§ 29 Abs. 1, Abs. 4, 22 Abs. 1 S. 1) eingelegt worden. Die Betroffene kann in zulässiger Weise begehren festzustellen, dass die in der Zeit vom 05. Oktober bis zum 27. Oktober 2008 vollzogene Haft unzulässig war. Das im Rahmen des FGG-Verfahrens trotz Erledigung der Hauptsache ausnahmsweise fortbestehende Feststellungsinteresse folgt hierbei aus der fortwirkenden diskriminierenden Wirkung der Freiheitsentziehung (BVerfG NJW 2002, 2456).
In der Sache führt die Überprüfung des angefochtenen Beschlusses auf Rechtsfehler (§ 27 Abs. 1 S. 1 FGG in Verbindung mit §§ 546 ff. ZPO) zur Abänderung des landgerichtlichen Beschlusses und zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft.
1. Die Zuständigkeit der Antragstellerin für die Beantragung der Haft, die vom Haftrichter in jeder Instanz zu prüfen ist, war allerdings im Gegensatz zu der Rechtsauffassung der Betroffenen gegeben.
Die Zuständigkeit der Bundespolizei - neben derjenigen der Ausländerbehörden der Länder gemäß § 71 Abs. 1 AufenthG - umfasst zwar nach § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG auch die Zurückschiebung an der Grenze. Ein räumlich-zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Grenzübertritt und dem Ergreifen eines Ausländers durch die Bundespolizeibehörden ist hierbei im Gegensatz zu der Rechtsauffassung der Betroffenen nicht erforderlich. Die Bundespolizei ist § 2 Abs. 2 Nr. 3 BPolG erstreckt sich räumlich auf den gesamten grenznahen Raum bis zu einer Tiefe von 30 km an den Landesgrenzen. Hält sich der Ausländer nach einem unerlaubten Grenzübertritt vorübergehend im Landesinneren auf und wird er anschließend im grenznahen Gebiet aufgegriffen, so ist die Bundespolizei wieder zuständig (so auch die Vorläufigen Anwendungshinweise Ziff. 71.3.1.2.2.; vgl. auch Storr/Wenger, Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, § 71 RN 9).
Die Zuständigkeit der Bundespolizei war zeitlich durch § 57 Abs. 1 S. 1 AufenthG nicht auf sechs Monate begrenzt: Hat sich der Ausländer, was im Falle der Betroffenen nicht abschließend geklärt ist, insgesamt länger als sechs Monate im Gebiet der Bundesrepublik aufgehalten, so ist eine Zurtickschiebung nach § 57 Abs. 1 S. 2 AufenthG möglich, solange ein anderer Staat auf Grund einer Übernahmevereinbarung zur Übernahme des Ausländers verpflichtet ist. Vorliegend war die Republik Frankreich nach Art. 16 ff. des EG-VO Nr. 343/2003 zur Rücknahme der Betroffenen verpflichtet, weil die Zuständigkeit Frankreichs zur Durchführung des Asylverfahrens begründet worden war. [...]
3. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht weiter festgestellt, dass die Betroffene auf Grund unerlaubter Einreise (§ 14 AufenthG) vollziehbar ausreisepflichtig war (§ 50 Abs. 1 AufenthG). Die Stellung eines jedenfalls bis zum Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung nicht beschiedenen Asylantrags in Frankreich hat einen in Deutschland zu beachtenden Aufenthaltstitel nicht nach § 55 Abs. 1 AsylVerfG begründet. Die in dieser Vorschrift normierte Aufenthaltsgestattung hat lediglich den Zweck, die Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland zu ermöglichen, setzt deshalb (wie etwa in dem der Entscheidung des BVerfG vom 05. Dezember 2001, 2 BvR 527/99 zu Grunde liegenden Fall) voraus, dass deutsche Stellen für die Bescheidung des Asylantrags zuständig sind oder jedenfalls sein könnten. Mangels einer Übernahme des Asylverfahrens von Frankreich war dies vorliegend zu keinem Zeitpunkt der Fall. Aufenthaltsrechtlich besteht - bei fehlender Zuständigkeit deutscher Stellen für das Asylverfahren - keine Veranlassung, einen im EU-Ausland gestellten Erst-Asylantrag mit einem in Deutschland gestellten Antrag gleichzustellen. Insbesondere ergibt sich die Notwendigkeit einer solchen Gleichstellung nicht aus Art. 4 Abs. 4 der VO (EG) 343/2003.
4. Soweit das Landgericht darüber hinaus festgestellt hat, es habe die Gefahr bestanden, die Betroffene wolle sich der Zurückschiebung durch Untertauchen entziehen, beruht die Entscheidung auf einer Würdigung der Umstände der Einreise, auf dem Verhalten der Betroffenen nach der von ihr geschilderten Ankunft in Berlin und der Tatsache, dass sie nicht über gültige Papiere verfügt. Die tatsächlichen Ermittlungen des Landgerichts sind nach der Auffassung des Senats vorliegend indes nicht vollständig; die amtswegige Erforschung des Sachverhalts (§ 12 FGG) hätte unter den vorliegenden Umständen die Anhörung der Betroffenen durch die Kammer erfordert.
Zwar ist, nachdem bereits das Amtsgericht die Betroffene angehört hatte, eine zweite Anhörung nicht ohne Weiteres zwingend erforderlich. Der Vertreter der Betroffenen führt jedoch zutreffend aus, dass die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts sehr knapp gehalten sind und sich im Wesentlichen auf die Illegalität der Einreise beschränken. Soweit das Amtsgericht darüber hinaus gemeint hat, die Betroffene habe versucht, über ihre Identität zu täuschen, hat das Landgericht eine dahin gehende Feststellung gerade nicht getroffen, sondern diese Frage offen gelassen.
Im Übrigen kann der Umstand, dass die Betroffene, wovon auch die Antragstellerin ausgeht, auf dem Wege zur Ausländerpolizei war, nicht ganz unberücksichtigt bleiben. Die Betroffene hat hierdurch zum Ausdruck gebracht, sich - wenn auch mit mehrmonatiger Verspätung, was in der Regel nicht ausreicht - wenigstens partiell an die Rechtsordnung in der Bundesrepublik halten zu wollen. Weiterhin kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Betroffene in einem mittleren Stadium schwanger war. Rein faktisch dürfte es für eine schwangere Ausländerin aus Kenia ohne hinreichende Deutschkenntnisse außerordentlich schwer sein, nachhaltig in Deutschland unterzutauchen.
Vor diesem Hintergrund war das Landgericht, um die prognostische Frage nach der Abschiebungs-Entziehungs-Gefahr zu überprüfen, gehalten, die Betroffene anzuhören. Die Anhörung hätte nach dem Verfahrensverlauf auch ohne eine unzumutbare Überbeschleunigung vor dem Vollzug der Zurückschiebung durchgeführt werden können. [...]
5. Entsprechendes gilt für den Haftgrund des § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AufenthG. Auch insoweit ist nicht auszuschließen, dass die Betroffene der Kammer anlässlich einer Anhörung glaubhaft hätte machen können dass sie sich der Abschiebung nicht entziehen werde (vgl. § 62 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG). [...]