VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.05.2009 - 13 S 116/09 - asyl.net: M15780
https://www.asyl.net/rsdb/M15780
Leitsatz:

§ 61 BZRG enthält kein allgemeines Verwertungsverbot für Eintragungen im Erziehungsregister, die der Ausländerbehörde bekannt geworden sind.

 

Schlagwörter: D (A), Vernichtung, Ausländerakte, Erziehungsregister, Auskunft, Mitteilung, Verwertungsverbot, Ausländerbehörde, Entfernung, Türken, Assoziationsberechtigte, Straftat
Normen: BZRG § 61 Abs. 1; AuslG § 76; AufenthG § 87; BZRG § 63 Abs. 1; BZRG § 63 Abs. 4; BZRG § 51; BZRG § 63 Abs. 2; AufenthG § 91 Abs. 2; ARB Nr. 1/70 Art. 7
Auszüge:

§ 61 BZRG enthält kein allgemeines Verwertungsverbot für Eintragungen im Erziehungsregister, die der Ausländerbehörde bekannt geworden sind.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Sie ist nicht begründet.

1. Die Klage ist zulässig. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, handelt es sich um eine allgemeine Leistungsklage. Das begehrte Entfernen von Bestandteilen aus einer Behördenakte ist kein Verwaltungsakt im Sinne von § 35 Satz 1 LVwVfG, denn ihm fehlt der Regelungsgehalt. Es handelt sich um eine rein tatsächliche Handlung, also um einen sog. Realakt (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 13.3.2002 - 13 S 1505/01 - InfAuslR 2002, 361).

2. Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte die von ihm beanstandeten Aktenbestandteile aus der von ihr geführten Ausländerakte entfernt. Ein solcher Anspruch folgt weder aus registerrechtlichen Vorschriften (a) noch aus § 91 Abs. 2 AufenthG (b).

a) Der geltend gemachte Anspruch lässt sich nicht auf Vorschriften des BZRG stützen.

aa) Zu Unrecht beruft sich der Kläger auf § 61 BZRG, soweit es um die von ihm begangenen Straftaten geht, die mit Erziehungsmaßnahmen bzw. Zuchtmitteln geahndet worden sind. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift gehört die Ausländerbehörde zwar nicht zu den im einzelnen genannten Behörden und Gerichten, an die Eintragungen im Erziehungsregister mitzuteilen sind; nach Abs. 3 dürfen demzufolge Auskünfte aus dem Erziehungsregister nicht an die Ausländerbehörde weitergeleitet werden.

Anders als der Kläger meint, enthält § 61 BZRG jedoch kein allgemeines Verwertungsverbot für in das Erziehungsregister eingetragene Entscheidungen und Anordnungen und die ihnen zugrunde liegenden Taten. Die Beklagte hat ihre Kenntnis von den hier verwerteten Taten des Klägers und ihrer strafgerichtlichen Ahndung nicht aufgrund einer entgegen § 61 Abs. 3 BZRG erteilten oder weitergeleiteten Auskunft aus dem Erziehungsregister, sondern aufgrund von Mitteilungen nach § 76 AuslG bzw. 87 AufenthG erhalten. Auch der Kläger stellt die Rechtmäßigkeit der Weitergabe der hier strittigen Informationen nicht in Frage.

§ 61 Abs. 1 BZRG beschränkt sich auf Auskünfte aus dem Erziehungsregister selbst und enthält keine Regelung über die Auskunftsgewährung durch die Behörden, die die eingetragenen oder einzutragenden Vorgänge in ihrer Zuständigkeit bearbeiten. Sinn und Zweck des § 61 Abs. 1 BZRG ist es lediglich, den Zugang zu den Eintragungen im Erziehungsregister selbst zu beschränken, nicht jedoch die Mitteilung von Informationen im Zusammenhang mit Strafverfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende durch Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte an nicht auskunftsberechtigte Behörden zu verhindern, soweit diese die entsprechenden Informationen zur Wahrnehmung der ihnen gesetzlich zugewiesenen Aufgaben benötigen (vgl. ausführl.: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 3.7.2002 – 11 S 494/02 – VBlBW 2003, Beilage I 6, 46 m.w. Nachw.; ebenso Hamb. OVG, Urteil vom 29.1.2008 – 3 Bf 149/02 – juris).

bb) Ein Anspruch auf Entfernung folgt auch nicht aus § 63 Abs. 1 und 4 i.V.m. § 51 BZRG.

Nach § 63 Abs. 1 BZRG werden Eintragungen im Erziehungsregister entfernt, sobald der Betroffene - wie hier der Kläger am 4.5.2008 - das 24. Lebensjahr vollendet hat. Nach § 63 Abs. 2 BZRG findet eine Entfernung aber nicht statt, solange im Zentralregister u.a. eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe eingetragen ist. Dies ist hier der Fall. Mit Urteil des Amtsgerichts Esslingen vom 7.1.2008 – und damit noch vor Vollendung seines 24. Lebensjahres – ist der Kläger vom Amtsgericht Esslingen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt worden.

Allerdings ist das strafrechtliche Urteil erst am 15.5.2008 – und damit wenige Tage nach dem 24. Geburtstag des Klägers - rechtskräftig geworden. Es entspricht indes allgemeinen registerrechtlichen Grundsätzen bezüglich des Laufs von Tilgungsfristen, die von strafrechtlichen Verurteilungen abhängig sind, auf den Tag der Verkündung und nicht auf den Tag der Rechtskraft abzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 22.4.1980 – 1 StR 625/79 – BGHSt 29, 252; Urteil vom 17.10.1972 – 1 StR 423/72 – BGHSt 25, 19). [...]

b) Auch § 91 Abs. 2 AufenthG scheidet im Falle des Klägers als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch aus.

Diese Vorschrift bestimmt, dass Mitteilungen nach § 87 Abs. 1 AufenthG, die für eine anstehende ausländerrechtliche Entscheidung unerheblich sind und auch für eine spätere ausländerrechtliche Entscheidung nicht mehr erheblich werden können, unverzüglich zu vernichten sind. Unter ergänzender Heranziehung des Grundgedankens des § 20 Abs. 2 Nr. 2 Bundesdatenschutzgesetz sind indes alle Daten, die zur behördlichen Aufgabenerfüllung nicht (mehr) erforderlich sind, zu vernichten. Der Anspruch aus § 91 Abs. 2 AufenthG erstreckt sich daher auch auf die Vernichtung sonstiger Aktenbestandteile, die den Ausländerbehörden zur Kenntnis gelangen, für eine anstehende ausländerrechtliche Entscheidung aber unerheblich sind und auch für eine spätere ausländerrechtliche Entscheidung nicht erheblich werden können. Es besteht aus datenschutzrechtlichen Gründen kein Anlass, Mitteilungen, die den mit der Ausführung des Ausländergesetzes betrauten Behörden auf Ersuchen bekannt werden, anders zu behandeln als solche, die ihnen von Amts wegen bekannt werden, soweit es um ihre Entfernung aus den Ausländerakten geht (vgl. bereits grundlegend Senatsbeschluss vom 13.3.2002 – 13 S 1505/01 – InfAuslR 2002, 361).

Auch wenn eine konkrete ausländerrechtliche Maßnahme nicht geboten ist, dürfen Aktenbestandteile belassen werden, wenn sie bei einer späteren ausländerrechtlichen Maßnahme, z.B. einer Ausweisungsverfügung erheblich werden können. Bei dieser Prüfung ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Es wird dabei einerseits die Schwere des strafrechtlichen Vorwurfs und die Möglichkeit - auch künftiger - ausländerrechtlicher Maßnahmen gegen das Interesse des Betroffenen zum Schutze seiner persönlichen Daten abzuwägen sein. Eine Mitteilung darf nicht in die Akte genommen werden und ist daher zu vernichten, wenn eine ausländerrechtliche Maßnahme überhaupt nicht in Frage kommt bzw. nach Sachlage Anhaltspunkte dafür fehlen, dass die Mitteilung zukünftig ausländerrechtlich relevant werden könnte.

Diese Maßgaben hat die Beklagte im Falle des Klägers beachtet. Der Kläger ist zwar türkischer Staatsangehöriger und fällt nach seinem unwidersprochenen Vorbringen in den Anwendungsbereich des Art. 7 ARB 1/80. Dennoch lässt es sich nicht ausschließen, dass die Unterlagen über seine als Jugendlicher begangenen Straftaten noch für zukünftige ausländerrechtliche Maßnahmen relevant werden können. [...]

Der Kläger ist als türkischer Staatsangehöriger zum Nachweis eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts zum Besitz einer Aufenthaltserlaubnis verpflichtet, sofern er keine Niederlassungserlaubnis und keine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG besitzt (§ 4 Abs. 5 AufenthG). Insbesondere bei der Frage, ob ihm eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 Abs. 1 AufenthG erteilt werden kann, können jedenfalls nach der erneuten strafgerichtlichen Verurteilung frühere strafrechtliche Vergehen, die "nur" zu Erziehungsmaßnahmen oder Zuchtmitteln geführt haben, eine Rolle spielen. Mittlerweile besitzt der Kläger unstreitig keinen gesetzlich gebundenen Anspruch mehr auf eine Niederlassungserlaubnis, weil er zwischenzeitlich zu einer Freiheitsstrafe von über 3 Monaten verurteilt worden ist (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Demgemäß stünde die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis im Ermessen der Behörde (§ 35 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Hierbei dürfte (und müsste) sie alle für und gegen den Kläger sprechenden Umstände in ihre Ermessensbetätigung einstellen. Hierzu gehören auch die strafrechtlichen Verfehlungen, die der Kläger als Jugendlicher und Heranwachsender begangen hat.

Die Angemessenheit dieses Ergebnisses wird durch einen Vergleich mit den Vorschriften des BZRG bestätigt. Nach der Wertung des § 63 BZRG sollen Verfehlungen, die ein Betroffener als Jugendlicher begangen hat, und die lediglich im Erziehungsregister eingetragen sind, zwar grundsätzlich mit Vollendung des 24. Lebensjahres entfernt werden (Abs. 1). Dies gilt aber dann ausdrücklich nicht, wenn sich - wie hier - wegen einer neuen Verurteilung des Betroffenen zu einer Freiheitsstrafe gezeigt hat, dass es sich nicht nur um episodenhafte, gewissermaßen jugendtypische Verfehlungen gehandelt hat (Abs. 2). In einem solchen Fall haben also auch nach den Regelungen des BZRG die datenschutzrechtlichen Belange des Betroffenen hinter dem öffentlichen Informationsinteresse zurückzutreten. Nur wenn umgekehrt ein Entfernungsanspruch nach § 63 Abs. 1 BZRG bestünde, würde es möglicherweise einen Wertungswiderspruch darstellen, die entsprechenden Mitteilungen einerseits in den Ausländerakten zu belassen, obwohl sie andererseits endgültig aus dem Erziehungsregister entfernt werden müssten. [...]