OVG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 29.04.2009 - 1 LB 11/05 - asyl.net: M15837
https://www.asyl.net/rsdb/M15837
Leitsatz:

Armenischen Volkszugehörigen aus Aserbaidschan steht in Berg-Karabach eine zumutbare inländische Fluchtalternative offen.

 

Schlagwörter: Aserbaidschan, Armenier, Berg-Karabach, Abschiebungsandrohung, Zielstaatsbezeichnung, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, Existenzminimum, Zumutbarkeit, interne Fluchtalternative, Erreichbarkeit, Mitwirkungspflichten, freiwillige Ausreise
Normen: AsylVfG § 34 Abs. 1; AufenthG § 59 Abs. 2; AufenthG § 59 Abs. 3; AufenthG § 60 Abs. 7
Auszüge:

Armenischen Volkszugehörigen aus Aserbaidschan steht in Berg-Karabach eine zumutbare inländische Fluchtalternative offen.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die zugelassene Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Abschiebungsandrohung in Ziff. 4 des Bescheides vom 08. September 2000 zu Unrecht aufgehoben. Den Klägern ist die Abschiebung nach Aserbaidschan zu Recht angedroht worden, denn sie können im aserbaidschanischen Teilgebiet Berg-Karabach zumutbar Schutz finden.[...]

Das Gericht geht - in tatsächlicher Hinsicht - davon aus, dass die jetzt 39-jährige Klägerin zu 1) und ihre Kinder, der jetzt 13-jährige Kläger zu 2) und die jetzt 10-jährige Klägerin zu 3), armenische Volkszugehörige sind. [...]

Aufgrund der Angaben der Klägerin zu 1) ist auch davon auszugehen, dass sie aus der ehemaligen Sowjetrepublik Aserbaidschan, und zwar aus Baku stammt. [...]

Ausgehend von diesem tatsächlichen Hintergrund konnte die Abschiebung der Klägerinnen zu 1) und 3) und des Klägers zu 2) nach Aserbaidschan angedroht werden (§ 34 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 59 Abs. 2 AufenthG). Einer solchen Abschiebungsandrohung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Duldungsgründen nicht entgegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Die evtl. Unmöglichkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat aus tatsächlichen Gründen kann gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG einen Duldungsgrund darstellen, was aber die Androhung einer Abschiebung in diesen Staat in aller Regel nicht hindert (BVerwG, Urt. v. 10.07.2003, 1 C 21.02, BVerwGE 118, 308 f.; bei Juris Tz. 9).

Der Umstand, dass die Klägerinnen zu 1) und 3) bzw. der Kläger zu 2) nach den (insoweit nicht mehr angegriffenen) Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil die Staatsangehörigkeit der Republik Aserbaidschan nicht besitzen, steht dem Erlass einer auf diesen Staat bezogenen Abschiebungsandrohung nicht entgegen. Nach der Sollvorschrift in § 59 Abs. 2 AufenthG wird auf einen (bestimmten) Abschiebezielstaat im Interesse der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung hingewiesen, um das vorrangige Abschiebezielland für die betroffene(n) Persone(n) und für die vollziehende Behörde eindeutig zu kennzeichnen und möglichst frühzeitig die Prüfung von Abschiebehindernissen bzgl. dieses Staates vornehmen zu können (vgl. Beschl. des Senats v. 31.07.2008, 1 LA 48/08, Juris). Für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung und der damit verbundenen Zielstaatsbezeichnung ist es nicht erforderlich, dass der Adressat oder die Adressaten der Androhung die Staatsangehörigkeit des Zielstaates besitzt bzw. besitzen; auch eine Bereitschaft des Zielstaates zur RückÜbernahme der betroffenen Person(en) ist nicht erforderlich. Aus praktischen Gründen, z.B. solchen der sprachlichen Verständigungsmöglichkeit oder auch der ethnischen Zugehörigkeit, wird es i.d.R. zweckmäßig sein, dass die betroffene(n) Personen in einer gewissen Beziehung zum Zielstaat der angedrohten Abschiebung stehen (vgl. dazu Wenger, in: Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 2008, § 59 AufenthG Rn. 6 [S. 467], m.w.N.), eine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung ist dies aber nicht.

Allerdings bedarf eine Abschiebungsandrohung mit der Bezeichnung eines bestimmten Zielstaats der Abschiebung - hier: Aserbaidschan - der Vergewisserung, dass hinsichtlich dieses Zielstaats keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG vorliegen. [...]

Dabei ist auf das Gesamtgebiet der Republik Aserbaidschan abzustellen, unter Einschluss des Gebietes von "Berg-Karabach".

Dieses Gebiet (ca. 145.000, größtenteils armenische Einwohner) gehört nach wie vor zur Republik Aserbaidschan. Die am 02. September 1991 proklamierte sogenannte "Republik" Berg-Karabach (armen.: Lernayin Gharabaghi Hanrapetut'yun; aserbaischan.: Dagliq Qarabag Respublikasi) ist völkerrechtlich nicht anerkannt, auch nicht von der Republik Armenien. Das Gebiet dieser "Republik" deckt sich - in etwa - mit dem früheren autonomen sowjetischen Oblast Nagorny-Karabach und umfasst die sieben aserbaidschanischen Verwaltungsbezirke (Rayons bzw. Sahars) Nr. 26 (tlw.), 54, 55, 56, 60, 63 und 64 (s. im Internet unter "Wikipedia": Azerbaijan_districts_numbered.png). Das Teilgebiet kann die von ihm selbst beanspruchte "Unabhängigkeit" nur durch faktische Unterstützung aus der Republik Armenien behaupten. Die Unterstützung erfolgt über einen außerhalb von Berg-Karabach, auf aserbaidschanischem Staatsgebiet gelegenen armenisch besetzten "Korridor" im Distrikt Lagin. Der bewaffnete Konflikt um die sieben Verwaltungsbezirke in Berg-Karabach wurde auf "karabachischer" Seite von Truppen der "Regierung" dieses Teilgebietes sowie von Truppen der Republik Armenien ausgetragen. Derzeit ruht der Konflikt infolge eines Waffenstillstandes. Rund ein Drittel der Waffenstillstandslinie vom 12. Mai 1994 wird von armenischen Truppen gehalten. Eine künftige Lösung - u.U. auch im Sinne einer völkerrechtlich anerkannten Sezession - soll erst noch durch die aus 13 Teilnehmerstaaten (darunter die USA, Russland, Frankreich und Deutschland) zusammengesetzte Minsker Gruppe der "Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (OSZE) erarbeitet werden (vgl. OVG Koblenz, Beschl. v. 28.08.2006, 6 A 10813/06 m.w.N.). Bis heute ist dies - abgesehen von der Aufrechterhaltung des Waffenstillstandes - ohne greifbare Ergebnisse geblieben (vgl. RIA Novosti, 05.11.2008; de.rian.ru).

Vor dem genannten Hintergrund ist Berg-Karabach für armenische Volkszugehörige, die - wie die Klägerin zu 1) - angeben, aus Aserbaidschan zu stammen, "Inland". [...]

In ihrer Berufungsbegründung (Schriftsatz vom 12.03.2009) berufen sich die Klägerinnen zu 1) und 3) bzw. der Kläger zu 2) auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG. Dabei stützen sie sich - einerseits - auf fehlende persönliche Kontakte in Berg-Karabach und fehlende berufliche Qualifikationen (mit der Folge nicht gegebener Erwerbsmöglichkeiten) und - andererseits - auf die soziale und wirtschaftliche Situation und die Wohnraumversorgung in diesem Gebiet. Diese Gesichtspunkte vermögen indes ein Abschiebungsverbot i.S.d. § 60 Abs. 7 AufenthG nicht zu begründen.

Nach der Auskunftslage ist davon auszugehen, dass die Klägerinnen zu 1) und 3) bzw. den Kläger zu 2) in Berg-Karabach einen Ort erreichen würden, der ihnen Sicherheit bietet und wo das rechtlich ausreichende wirtschaftliche Existenzminimum gewährleistet ist (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 29.05.2008, 10 C 11.07, NVwZ 2008, 1246/1249, Tz. 35). Dazu ist erforderlich, dass nach den in Berg-Karabach anzutreffenden Verhältnissen die Möglichkeit besteht, durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und der Vorbildung nicht entsprechende, zumutbare Arbeit oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zum Lebensunterhalt unbedingt Notwendige zu erlangen. Arbeiten sind in diesem - auf das Existenznotwendige abstellenden - Zusammenhang auch dann zumutbar, wenn sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als solche nicht angeboten werden oder nur die kurzfristige Deckung des Bedarfs ermöglichen, wie dies z.B. für Tätigkeiten in der Landwirtschaft oder im Bauwesen der Fall sein kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 01.02.2007, 1 C 24.06, NVwZ 2007, 590/591 [Tz. 11]); dies gilt jedenfalls oberhalb eines Levels, das nach allgemeinen Gegebenheiten in Berg-Karabach dem Existenzminimum entspricht (BVerwG, Urt. v. 29.05.2008, a.a.O., Tz. 35 m.w.N.).

Unter Zugrundelegung des danach zumutbaren Niveaus ist die Prognose begründet, dass die Klägerinnen zu 1) und 3) bzw. der Kläger zu 2) in Berg-Karabach eine Existenzgrundlage finden können. Die wirtschaftliche Lage in Berg-Karabach ist besser einzuschätzen als diejenige in Armenien. Der Lebensstandard dort entspricht in etwa dem in den unabhängigen Republiken der ehemaligen Sowjetunion. Die "Regierung" von Berg-Karabach steht einer Zuwanderung positiv gegenüber; sie strebt eine Bevölkerungszunahme von (jetzt ca. 145.000) auf 300.000 Personen an und hat (allerdings unterfinanzierte) "Rückwanderungs"-Unterstützungsprogramme für bestimmte ländliche Regionen aufgelegt. Eine dauerhafte Niederlassung in Berg-Karabach ist durch den Erwerb von landwirtschaftlichen Immobilien möglich, auch auf Kredit (TKI, 30.10.2004 an VGH Kassel; zu Ziff. 1.4, 1.4.3, sowie vom 18.10.2005). Neuankömmlingen wird durch die lokale Verwaltung unentgeltlicher Wohnraum zu Verfügung gestellt, auch werden sie bei der Arbeitssuche unterstützt (Lagebericht AA [Armenien] vom 18.06.2008, vgl. auch OVG Münster, Urt. v. 17.11.2008, 11 A 4395/04.A). In Berg-Karabach herrscht ein Mangel an Arbeitskräften (Lagebericht, a.a.O.). Für arbeitsfähige Personen sind die Aussichten, das wirtschaftliche Existenzminimum zu erreichen, deshalb als gut zu beurteilen. In Bezug auf die grundsätzlich arbeitsfähige Klägerin zu 1) kann daher mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit erwartet werden, dass sie nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten eine Beschäftigung erlangen wird und damit ihr Existenzminimum und das ihrer Kinder sicherstellen kann (vgl. dazu auch AA, Auskunft vom 15.01.2008 an VG Düsseldorf; Stellungnahme von Frau Dr. Savvidis vom 14.12.2005). Ob für eine alleinstehende Frau mit Kind eine ungünstigere Beurteilung angezeigt wäre (vgl. dazu OVG Weimar, Urt. v. 28.02.2008, 2 KO 899/03), kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Für Frauen, die kleine Kinder zu beaufsichtigen haben und insoweit allein dastehen, wird eine Erwerbsmöglichkeit im o.g. Sinne faktisch nicht erreichbar sein; sie können auch nicht auf eine Zuwanderung in karabachische Sozialsysteme verwiesen werden (TKI, a.a.O. Ziff. 1.4.3). Der Fall der Klägerin zu 1) liegt aber anders: Ihre Kinder sind schon älter (13 bzw. 10 Jahre), zudem ist zu berücksichtigen, dass sie zusammen mit ihrem 39-jährigen Lebensgefährten und dem Vater ihrer beiden Kinder (s. OVG 1 LB 12/05) nach Berg-Karabach gelangen kann.

Nach alledem stehen der Androhung einer Abschiebung nach Aserbaidschan (einschließlich) Berg-Karabach keine Abschiebungsverbote entgegen. Maßgeblich sind insoweit die zeitaktuellen Verhältnisse, wie sie sich aus der - soeben i.e. ausgewerteten - Erkenntnislage ergeben; auf die Situation z.Z. des Erlasses des angefochtenen Bescheides vom 08.09.2000 kommt es nicht an.

Die Abschiebungsandrohung unterliegt auch nicht der Aufhebung, weil - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - eine freiwillige Ausreise der Klägerinnen zu 1) und 3) und des Klägers zu 2) in den Zielstaat der Abschiebung (Aserbaidschan) bzw. eine zwangsweise Abschiebung dorthin "auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen" sei. Nach den Erkenntnisgrundlagen, die im Berufungsverfahren hervorgetreten sind, können die Kläger freiwillig in die Republik Aserbaidschan, und zwar in deren Gebietsteil Berg-Karabach, einreisen. Dies ist ihnen auch zuzumuten.

Was - zunächst - die Frage einer Zumutbarkeit einer freiwilligen Ausreise bzw. einer zwangsweisen Abschiebung der Kläger nach Berg-Karabach anbetrifft, ist den rechtlichen Zweifeln des beteiligten Bundesbeauftragten daran, ob asyl- bzw. flüchtlingsrechtlich begründbare Zumutbarkeitsgesichtspunkte in Bezug auf eine Rückkehr oder Rückführung in den Abschiebezielstaat den Schluss auf die Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung tragen können (S. 2 des Schriftsatzes vom 09.03.2009), zu folgen: Ist ein Abschiebungsverbot nach § 60 AufenthG nicht festzustellen, hängt die Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung nicht mehr von Zumutbarkeitserwägungen ab. Ob und ggf. in welchem Zusammenhang solche Erwägung allgemein-ausländerrechtlich relevant sein könnten, bedarf hier keiner Klärung.

Unabhängig davon ist kein Grund für eine Unzumutbarkeit einer freiwilligen Ausreise nach Berg-Karabach bzw. einer Abschiebung dorthin gegeben. Nach den in das Verfahren eingeführten Auskünften ist das Gebiet von Berg-Karabach in tatsächlicher Hinsicht für die Klägerin zumutbarer Weise erreichbar.

Die Kläger können in dieses Gebiet über Armenien gelangen. Das erforderliche Einreisevisum und die Aufenthaltsgenehmigung für Berg-Karabach sind - einschließlich eines Passersatzes - für armenische Volkszugehörige bei vorhandenem Einreisewillen faktisch bei der armenischen Botschaft in Berlin zu bekommen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft v. 26.10.2007 an das VG Stade). Anhaltspunkte dafür, dass dies den Klägern nicht zuzumuten sein könnte, bestehen nicht. Sie können den für die Einreise nach Armenien und die Weiterreise in die sog. Republik Berg-Karabach erforderlichen Antrag bei der Botschaft der Republik Armenien in Berlin stellen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft vom 02.12.2005 an OVG Schleswig). Das Einreisevisum nach Berg-Karabach ist gebührenfrei. Auch wenn ein Reisedokument fehlt, kann den Klägern nach Erteilung der speziellen Aufenthaltsgenehmigung ein spezieller Pass von der Botschaft der Republik Armenien in Berlin ausgestellt werden. Soweit das Erfordernis besteht, dass entsprechende Anträge bei einer "Botschaft" oder bei einem "Konsulat" der sog. Republik Berg-Karabach gestellt werden müssen, steht dies in der - allein maßgeblichen - Praxis der armenischen Auslandsvertretungen der Erlangung der notwendigen Reisedokumente nicht entgegen. Nach der vorgenannten Auskunftslage, an deren Richtigkeit keine Zweifel bestehen, genügt es, wenn die Reisedokumente freiwillig beantragt werden. Ungeachtet fehlender Rechtsgrundlagen (armenischen oder "karabachischen" Rechts) werden entsprechende Anträge faktisch von der Botschaft der Republik Armenien in Berlin entgegengenommen, sofern diese freiwillig gestellt werden und ein Einreisewiile besteht; sie führen auch zur Erteilung der erforderlichen Reisedokumente (AA, Auskunft vom 26.10.2007 an VG Stade).

Die Frage, ob die Kläger bereit sind, an der Erlangung der Einreisepapiere freiwillig mitzuwirken, bedarf keiner Klärung. Sollte die Freiwilligkeit fehlen, könnte dies - jedenfalls - nicht dazu führen, dass (im Sinne der im erstinstanzlichen Urteil, S. 6 u. des Abdr. zitierten Grundsätze) eine "freiwillige Ausreisen in den Zielstaat auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen" wäre. Die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach Aserbaidschan hängt - mit anderen Worten - nicht davon ab, ob die Kläger "freiwillig" bereit sind, an der Erlangung der notwendigen Reisepapiere im gebotenen Umfange mitzuwirken. Insoweit weist der beteiligte Bundesbeauftragte in seinem Schriftsatz vom 09. März 2009 (S. 3) zu Recht darauf hin, dass aufenthaltsrechtliche Schutzrechte dann nicht beansprucht werden können, wenn es im Hinblick auf zumutbares Eigenverhalten eines Schutzes nicht bedarf. Dies gilt insbesondere für die Einholung von Transitvisa oder sonstiger Einreisepapiere zur Erreichung eines verfolgungsfreien Landesteils.

Die gegen die vorstehend behandelte Auskunftslage im Berufungsverfahren vorgebrachten Zweifel und Einwände (Schriftsatz vom 12.03.2009) führen zu keiner anderen Beurteilung. Soweit die Kläger darauf verweisen, dass "unklar" bleibe, welche Dokumente oder Unterlagen für ein Visumsverfahren bei der armenischen Botschaft oder bei der "Regierung" von Berg-Karabach für eine Einreise nach Berg-Karabach erforderlich seien, verkennen sie, dass eine diesbezügliche Klärung zuvörderst ihnen selbst obliegt (vgl. - zum Asylrecht - BVerwG, Urt. v. 16.01.2001, 9 C 16.00, BVerwGE 112, 345/348 [bei Juris Tz. 13]). Informationen oder auch nur Ansatzpunkte dahingehend, dass ein bei der armenischen Botschaft zu absolvierendes Visumverfahren oder das bei "karabachischen" Stellen praktizierte Verfahren zu Problemen oder Schwierigkeiten führt, lassen sich aus den vorliegenden Auskünften und sonstigen Erkenntnisquellen nicht entnehmen. Das Gericht übersieht nicht, dass der aufgezeigte Weg einer Erlangung von Reisepapieren nach Berg-Karabach bislang (mangels Freiwilligkeit der Betroffenen) noch "nicht in nennenswertem Umfang genutzt worden ist" (Schriftsatz des bet. Bundesbeauftragten v. 09.03.2009, S. 2 u.). Daraus ist aber kein Rückschluss auf - gar unzumutbare - Schwierigkeiten oder Verfahrensanforderungen abzuleiten. Auch Erschwernisse oder bürokratische Hemmnisse würden es nicht ohne Weiteres rechtfertigen, die "Unzumutbarkeit" des aufgezeigten Weges zur Erlangung von Reisedokumenten anzunehmen. Das folgt auch daraus, dass Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Transitvisa - erst recht dann, wenn der entsprechende Mitwirkungswille bei den betroffenen Personen besteht - typischerweise behebbar sind (BVerwG, Urt. v. 29.05.2008, a.a.O., Tz. 29).

Eine weitere Sachaufklärung zu diesen Fragen ist nicht angezeigt. Das Gericht wäre, was etwaige praktische Probleme der Beschaffung von Visa oder Reisepapieren auf dem o.g. Weg anbetrifft, dazu nur verpflichtet, wenn sie sich nach der gegebenen Auskunftslage aufdrängt oder wenn die Verfahrensbeteiligten konkrete Ansatzpunkte für unzumutbare Erschwernisse in einer Weise benennen, die die "Substantiierungsschwelle" überschreiten (BVerwG, Urt. v. 29.05.2008, a.a.O., Tz. 21). Solche Ansatzpunkte fehlen hier.

Soweit die Kläger darauf verweisen, dass die Prognose der tatsächlichen Erreichbarkeit von Berg-Karabach "verlässlicher Tatsachenfeststellungen" bedürfe (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.05.2008, a.a.O., Tz. 22, 24), werden diese durch die (oben ausgewertete) Auskunftslage hinreichend vermittelt. Sie trägt die Prognose, dass Berg-Karabach in zumutbarer Weise erreichbar ist. Soweit das Bundesverwaltungsgericht (ebenda, Tz. 24, 25) nach der szt. bekannten Sachlage insoweit noch Zweifel hatte, weil über die Erlangung eines Einreisevisums nach Armenien nur eine Spekulation möglich erschien, ferner weil die - nach dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. März 2007 (1 B 97.06, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 32) als unzumutbar bewertete - Notwendigkeit einer Erlangung des Flüchtlingsstatus in Armenien bestand, und mit einer Bearbeitungszeit von über einem Jahr für eine in Eriwan zu erlangende Einreiseerlaubnis nach Berg-Karabach zu rechnen sei (in diesem Sinne: TKI, 30.10.2004 an VGH Kassel), sind diese Zweifel nach der dem Bundesverwaltungsgericht noch nicht vorliegenden, neueren Auskunftslage nicht aufrechtzuerhalten: Nach den Auskünften des Auswärtigen Amtes vom 02. Dezember 2005 an das OVG Schleswig (im vorliegenden Verfahren eingeholt) und vom 26. Oktober 2007 an das VG Stade können Personen mit armenischer Volkszugehörigkeit in die Republik Armenien einreisen. Das Visum kann bereits hier - bei der armenischen Botschaft in Berlin - erlangt werden, ebenso ein Passersatzpapier zur Einreise nach Berg-Karabach. Die Notwendigkeit, in Armenien einen Antrag auf Flüchtlingsstatus, Asyl oder auf (Zwischen-)Erwerb der armenischen Staatsangehörigkeit zu stellen, besteht nicht. Da - wie ausgeführt - für eine Einreise in Berg-Karabach "über" die armenische Botschaft in Berlin ein Passersatzpapier ausgestellt wird, entfällt für betroffene Personen auch das Problem einer (über-)langen Bearbeitungszeit für eine (erst) in Eriwan zu erlangende Einreiseerlaubnis nach Berg-Karabach. Die Notwendigkeit, eine karabachische "Staatsangehörigkeit" anzunehmen, besteht nicht (ebenso: TKI, 30.10.2004, a.a.O.). Angesichts dieser Umstände kann nicht (mehr) angenommen werden, dass eine freiwillige Ausreise nach Berg-Karabach via Armenien "praktisch ausgeschlossen" oder für die Kläger unzumutbar ist.

Zur Frage der (Un-)Zumutbarkeit eines - nach der vorstehend ausgewerteten Auskunftslage nicht erforderlichen - (Zwischen-)Erwerbs der armenischen Staatsangehörigkeit oder eines nach dortigem Recht evtl. zu erlangenden Flüchtlingsstatus sei angemerkt, dass insoweit durch Art. 4 Abs. 3 lit. e der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie) eine andere Beurteilung in Betracht kommt. Nach der genannten Vorschrift ist "zu berücksichtigen", ob von einem Antragsteller "vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er den Schutz eines anderen Staates in Anspruch nimmt, dessen Staatsangehörigkeit er für sich geltend machen könnte". Als Staat in diesem Sinne kommt im Falle der Klägerinnen zu 1) und 3) und des Klägers zu 2) die Republik Armenien in Betracht, die armenischen Volkszugehörigen ein (stark) vereinfachtes Einbürgerungsverfahren anbietet. Es mag Fälle geben, in denen spezielle individuelle und asylrechtlich beachtliche Gründe die Unzumutbarkeit eines Staatsangehörigkeitserwerbs der Republik Armenien begründen, solche Gründe sind vorliegend indes nicht ersichtlich.

Das Bundesverwaltungsgericht (Beschl. v. 22.03.2007, a.a.O. bei Juris Tz. 13) erachtet es im Zusammenhang mit der Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG als unzumutbar, einen Antragsteller auf ein (sicheres) Gebiet zu verweisen, das dieser erst nach Erlangung "einer fremden Staatsangehörigkeit oder des Flüchtlingsstatus in einem Drittstaat erreichen" kann. Auf Art. 4 Abs. 3 lit. e der Richtlinie 2004/83/EG ist as Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang nicht eingegangen, obwohl die Vorschrift für "internationalen Schutz", also die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wie auch eines subsidiären Schutzstatus (Art. 2 lit. a der Richtlinie 2004/83/EG), gilt. Die Frage, ob im Hinblick auf Art. 4 Abs. 3 lit. e der Richtlinie 2004/83/EG jedenfalls dann, wenn in der "Situation eines Staatenzerfalls" die evidente "Möglichkeit des Erwerbs der Staatsangehörigkeit eines Nachfolgestaates, z. B. durch bloße Registrierung" besteht (s. dazu BVerwG, Urt. v. 29.05.2008, a.a.O., Tz. 34), kein Bedarf für die Gewährung des - in europarechtlicher Terminologie so bezeichneten - subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 7 AufenthG mehr besteht, hat das Bundesverwaltungsgericht bisher nicht entschieden. Bejahte man diese Frage, käme es auf die Frage der Erreichbarkeit des Gebiets Berg-Karabach und diesbezügliche Zumutbarkeitserwägungen im vorliegenden Fall nicht mehr an. Einer abschließenden Entscheidung dieser Frage bedarf es hier im Hinblick darauf, dass die Klägerinnen zu 1) und 3) und der Kläger zu 2) - wie ausgeführt - Berg-Karabach zumutbar erreichen können, nicht. [...}