VG Neustadt a.d.W.

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Zitieren als:
VG Neustadt a.d.W., Urteil vom 06.04.2009 - 3 K 1370/08.NW - asyl.net: M15856
https://www.asyl.net/rsdb/M15856
Leitsatz:
Schlagwörter: Irak, Abschiebungshindernis, zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, ernsthafter Schaden, willkürliche Gewalt, allgemeine Gefahr, Abschiebungsstopp, Erlasslage
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7; RL 2004/83/EG Art. 15 Bst. c
Auszüge:

[...]

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf die Feststellung, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz - AufenthG - vorliegen noch einen Anspruch auf Feststellung, dass bei ihm Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG gegeben sind. [...]

Das Gericht schließt sich nach eigener Überprüfung zur Begründung vollinhaltlich den zutreffenden Feststellungen und Ausführungen des Bundesamtes in dem angegriffenen Bescheid vom 7. November 2008 an (§ 77 Abs. 2 Asylverfahrensgesetz - AsylVfG - analog). [...]

Auch im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 - 10 C 42.07 - u.a., juris) zum subsidiären Schutz im Sinne des Art. 15 C der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 (Qualifikationsrichtlinie) sowie unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des EuGH vom 17. Februar 2009 (Az.: C-465/07, juris) liegen beim Kläger keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor.

Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ist von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikt ausgesetzt ist.

Nach der aktuellen Rechtsprechung des EuGH (a.a.O.) braucht derjenige, der subsidiären Schutz beantragt, nicht notwendig zu beweisen, dass er in seinem Herkunftsland aufgrund seiner persönlichen Situation spezifisch bedroht ist. Der Grad willkürlicher Gewalt, der im Herkunftsland des Betroffenen besteht, könne ausnahmsweise für die Feststellung der zuständigen Behörden genügen, dass eine Zivilperson bei ihrer Ausweisung in dieses Land tatsächlich dem Risiko einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Betroffene Anspruch auf subsidiären Schutz hat, sei um so geringer, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er spezifisch aufgrund von Umständen betroffen ist, die seiner persönlichen Situation innewohnen. Dabei sei bei der individuellen Prüfung des Antrags auf subsidiären Schutz insbesondere zu berücksichtigen

- das geographische Ausmaß der Situation willkürlicher Gewalt im Herkunftsland sowie der tatsächlichen Zielort bei Rückkehr und

- gegebenenfalls das Vorliegen eines ernsthaften Hinweises auf eine tatsächliche Gefahr, die sich daraus ergibt, dass der Betroffene bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder bereits von einem solchen Schaden unmittelbar betroffen war, es sei denn, stichhaltige Gründe sprächen dagegen, dass er erneut von einem solchen Schaden bedroht wäre.

Das Vorliegen einer solchen Bedrohung kann nach der Rechtsprechung des EuGH (a.a.O.) ausnahmsweise als gegeben angesehen werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt nach der Beurteilung der zuständigen nationalen Behörden, die mit dem Antrag auf subsidiären Schutz befasst sind, oder der Gerichte eines Mitgliedsstaates ein so hohes Niveau erreicht hat, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei Rückkehr in das betreffende Land oder in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein.

Vorliegend ist nichts für die Annahme ersichtlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Irak allein durch seine Anwesenheit dort tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung im vorgenannten Sinne ausgesetzt zu sein. Diese Einschätzung ergibt sich für das erkennende Gericht bereits daraus, dass sich der Vortrag des Klägers auch nach Durchführung der mündlichen Verhandlung weiterhin aus den bereits im Bescheid des Bundesamtes vom 7. November 2008 dargelegten Gründen, denen sich das Gericht anschließt, als unglaubhaft erweist. [...]

Im Übrigen handelt es sich bei den im Irak derzeit noch stattfindenden Auseinandersetzungen um allgemein drohende Gefahren, denen die Bevölkerung allgemein ausgesetzt ist. Solche Gefahren werden gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Entscheidungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Nach dieser Vorschrift kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Das Ministerium für Inneres und für Sport des Landes Rheinland-Pfalz hat im Erlasswege mit Rundschreiben vom 11. Juli 2005 (Az.: 19 440/316 Irak) darauf hingewiesen, dass die Ständige Innenministerkonferenz der Länder sich in ihrer Sitzung vom 24. Juni 2005 erneut mit der Rückführung von irakischen Staatsangehörigen befasst und ihre bisherige Beschlusslage nochmals bekräftigt habe. Danach sei im Hinblick auf die instabile Sicherheitslage in weiten Teilen des Irak die zwangsweise Rückführung aus tatsächlichen Gründen nicht möglich. Es wurde verfügt, dass den betroffenen ausreisepflichtigen irakischen Staatsangehörigen auch weiterhin eine Duldung (§ 60a Abs. 2 AufenthG) zu erteilen sei. Die Ständige Innenministerkonferenz der Länder hat in ihrer Sitzung am 16./17. November 2006 diese Beschlusslage erneut bestätigt. Eine Abschiebung irakischer Staatsangehöriger droht somit gegenwärtig und in absehbarer Zukunft nicht. Damit haben Iraker, die keine Straftaten begangen haben, weiterhin Anspruch auf Erteilung von Duldungen. [...]