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VG Ansbach

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Zitieren als:
VG Ansbach, Beschluss vom 01.07.2009 - AN 5 S 09.00645 - asyl.net: M15865
https://www.asyl.net/rsdb/M15865
Leitsatz:

Die sofortige Vollziehung einer Ausweisung darf nicht allein deshalb angeordnet werden, weil die Ausländerbehörde eine Überwachung des Ausländers gem. § 54 a AufenthG für erforderlich hält; dies gilt jedenfalls dann, wenn der Aufenthaltsbeendigung des Ausländers keine Hindernisse entgegen stehen.

Schlagwörter: D (A), Ausweisung, Sofortvollzug, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Begründungserfordernis, besonderes öffentliches Interesse, Überwachung ausgewiesener Ausländer, Unterstützung, PKK
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; VwGO § 80 Abs. 3; AufenthG § 54a; AufenthG § 54 Nr. 5; AufenthG § 54 Nr. 5a
Auszüge:

[...]

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig und schon deshalb begründet, weil die Ausführungen zur Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung der Ausweisung der Antragstellerin die Vollzugsanordnung nicht tragen und damit nicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügen. Eines Eingehens auf die Erfolgsaussichten der Klage bedarf es damit nicht. Soweit streitig ist, ob in einem solchen Fall die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen oder (nur) die Vollziehbarkeitsanordnung aufzuheben ist, folgt die Kammer der erstgenannten Auffassung, weil § 80 Abs. 5 VwGO die Aufhebung der Vollziehbarkeitsanordnung nicht kennt, sondern im Fall eines Erfolgs des Antrags nur die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung vorsieht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 80, Rd.Nrn. 87 und 148; Schoch, VwGO, § 80, Rd.Nrn. 180 und 298).

Die Regierung geht im Rahmen der Begründung der Vollziehbarkeitsanordnung für die Ausweisung in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (z.B. Beschluss vom 13.6.2005, 2 BvR 485/05, NVwZ 2005, 1053) einleitend zu Recht davon aus, dass für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts eines besonderes öffentliches Interesse erforderlich ist, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Sie sieht dieses besondere öffentliche Interesse im Fall der Antragstellerin offensichtlich allein darin, dass durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung die Voraussetzungen für Überwachungsmaßnahmen gegenüber der Antragstellerin nach § 54 a AufenthG geschaffen werden. Da gegenüber der Antragstellerin eine vollziehbare Abschiebungsandrohung nach § 58 a AufenthG nicht besteht, setzen die nach § 54 a AufenthG gegebenenfalls kraft Gesetzes eintretenden oder im Ermessen der Behörde liegenden Überwachungsmaßnahmen nämlich eine vollziehbare Ausweisungsverfügung nach § 54 Nr. 5, 5 a AufenthG voraus. Demgemäß führt die Regierung unter Ziffer 8.1.1 der Begründung ihres Bescheides ausdrücklich aus, im vorliegenden Fall werde die sofortige Vollziehbarkeit der Ziffer 1 des Bescheides, also der Ausweisung, angeordnet, da es notwendig erscheine, die Bewegungsfreiheit der Antragstellerin einzuschränken und durch die gesetzlich vorgesehene wöchentliche Meldepflicht eine ausreichende Überwachung der Person gewährleisten zu können. Auf Grund der nachhaltigen und vielfältigen Aktivitäten der Antragstellerin zur Unterstützung des KONGRA-GEL/PKK sei es notwendig, durch die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit auf den Landkreis Nürnberger Land die von ihrer Person ausgehende Gefährdung schon mit Bescheidserlass möglichst zu unterbinden. Dies werde mit einer räumlichen Beschränkung auf den Landkreis Nürnberger Land zunächst in ausreichendem Maße erreicht. Auch die Ausführungen in Ziffer 8.1.2 der Begründung des Bescheides dienen, wie sich aus deren Absatz 2 ergibt, nur dazu, ein besonderes Interesse an einer unmittelbaren und zeitnahen Einschränkung und Unterbindung der Aktivitäten der Antragstellerin im Sinne des § 54 a AufenthG darzulegen und damit die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung zu rechtfertigen.

Die Regierung stützt die dargelegte Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung der auf der Grundlage des § 54 Nr. 5 und 5 a AufenthG verfügten Ausweisung offensichtlich auf die Rechtsprechung des 10. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Beschluss vom 24. Oktober 2008, 10 CS 08.2339. In dem vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof formulierten Leitsatz zu diesem Beschluss ist zwar ausgeführt, in den Fällen des § 54 Nr. 5 und 5 a AufenthG sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Ausweisung grundsätzlich zu dem Zweck zulässig, die Folgen nach § 54 a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG eintreten zu lassen. Zu berücksichtigen ist dabei aber, dass der Entscheidung des 10. Senats ein Fall zugrunde lag, in dem der ausgewiesene Ausländer nicht abgeschoben werden konnte, was bereits bei Bescheidserlass bekannt war. Dementsprechend ist auch unter Ziffer 22 des Beschlussabdrucks ausgeführt, dass dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - eine Abschiebung nicht möglich sei, die sofortige Vollziehung der Ausweisung zwar nicht zur Vollstreckung der Ausreisepflicht, wohl aber wegen der Folgen nach § 54 a Abs. 1 und 2 AufenthG angeordnet werden könne. Ein derartiger Fall liegt aber bei der Antragstellerin nicht vor, weil die Regierung jedenfalls bislang und damit auch bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung nicht davon ausgegangen ist und ausgeht, dass die Antragstellerin nicht abgeschoben werden kann. Ob der Rechtsprechung des 10. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Fall der Unmöglichkeit der tatsächlichen Aufenthaltsbeendigung der Antragstellerin zu folgen wäre, mag dahingestellt bleiben, weil es hierauf im Fall der Antragstellerin jedenfalls derzeit nicht ankommt. Insoweit ist allerdings immerhin davon auszugehen, dass die Regelung des § 54 a AufenthG der Gefahrenabwehr dient und Ausländer betrifft, die zwar ausreisepflichtig sind, aber nicht abgeschoben werden können, weil rechtliche oder tatsächliche Abschiebungshindernisse dies verhindern (Hailbronner, AuslR, § 54 a AufenthG, Rd.Nr. 1). Jedenfalls aber dann, wenn der tatsächlichen Aufenthaltsbeendigung des nach § 54 Nr. 5 und 5 a AufenthG ausgewiesenen Ausländers keine tatsächlichen oder rechtlichen Hindernisse entgegenstehen, vermag die allein mit der Notwendigkeit des Eintretens der in § 54 a AufenthG gesetzlich vorgesehenen Überwachungsmaßnahmen begründete Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung diese Anordnung nach der Überzeugung der Kammer nicht zu tragen und ist fehlerhaft. Soweit die Ausweisung der Antragstellerin in dem angefochtenen Bescheid auf § 54 Abs. 6 sowie § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG gestützt ist, hat die Regierung die sofortige Vollziehung der Ausweisung im Übrigen nicht angeordnet.

Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus vom 9. Januar 2002 und damit mit der Einführung der den Ausweisungstatbeständen des § 54 Nr. 5 und 5 a AufenthG vorgehenden Regelung in § 47 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG zwar die Schwelle für das Eingreifen der Ausweisungstatbestände deutlich niedriger angesetzt als bei früheren Regelungen, er hat jedoch keinen Sofortvollzug kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) angeordnet (vgl. BayVGH, Beschluss vom 19.2.2009, 19 CS 08.1175). Die Klage gegen einen auf § 54 Nr. 5 oder 5 a AufenthG gestützte Ausweisung hat deshalb gemäß § 80 Abs. 1 VwGO auch unter Berücksichtigung des Gewichts dieser Ausweisungstatbestände aufschiebende Wirkung, es sei denn, die Behörde ordnet die sofortige Vollziehung der Ausweisung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 VwGO an. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss für die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung die begründete Besorgnis bestehen, die von dem Ausländer ausgehende und mit der Ausweisung bekämpfte Gefahr werde sich schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren. Da in den Fällen des Sofortvollzugs für die Widerspruchsbehörden und die Verwaltungsgerichte die Pflicht bestehe, das Hauptsacheverfahren mit möglichster Beschleunigung zu betreiben und abzuschließen, müssten die Verwaltungsgerichte bei der Entscheidung über die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 5 VwGO davon ausgehen, dass das Hauptsacheverfahren mit der gebotenen Eile gefördert werde und dementsprechend prüfen, ob die sofortige Vollziehung in der sich daraus ergebenden Zeitspanne notwendig sei. Die für diesen Zeitraum festzustellenden Gefahren für die Belange der Bundesrepublik Deutschland müssten von solchem Gewicht sein, dass sie schutzwürdige Interessen des Ausländers an der Erhaltung des Suspensiveffektes überwögen (BVerfG, Beschluss vom 12.9.1995, 2 BvR 1179/95, InfAuslR 1995, 397 f.). Demzufolge ist für die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung zu prüfen, ob diese wegen der von dem Ausländer ausgehenden Gefahr geboten ist, wobei im Fall der Antragstellerin in diesem Zusammenhang z.B. die jahrelange Kenntnis der Behörden von den der Antragstellerin unterstellten Aktivitäten, die Intensität und Gefährlichkeit der zuletzt gezeigten Aktivitäten der Antragstellerin, etwaige konkrete Anhaltspunkte für eine Fortsetzung gefährlicher Aktivitäten bis zu einer gerichtlichen Entscheidung über die Ausweisung sowie die persönlichen Belange der Antragstellerin Berücksichtigung zu finden hätten. Eine derartige Überprüfung und darauf beruhende Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung ist im Fall der Antragstellerin aber nicht erfolgt.

Der Gesetzgeber geht in § 54 a Abs. 1 AufenthG davon aus, dass - soweit nicht eine vollziehbare Abschiebungsanordnung nach § 58 a AufenthG besteht - erst nach Eintritt der Bestandskraft der auf § 54 Nr. 5 oder 5 a AufenthG gestützten Ausweisungsverfügung oder nach rechtmäßiger Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung nach den dafür geltenden und dargelegten Maßstäben die in § 54 a Abs. 1 und 2 AufenthG festgelegten Überwachungsmaßnahmen eintreten, weil erst dann eine vollziehbare Ausweisungsverfügung vorliegt. Er macht damit die Überwachungsmaßnahmen nach § 54 a AufenthG von der Bestandskraft der Ausweisung bzw. deren Sofortvollzugsanordnung abhängig. Dies bedeutet zugleich, dass der Gesetzgeber nicht davon ausgeht, dass umgekehrt allein deshalb, weil die in § 54 a AufenthG für den Fall des Vorliegens einer vollziehbaren Ausweisungsverfügung festgelegten oder im Ermessenswege festlegbaren Überwachungsmaßnahmen von der Ausländerbehörde für erforderlich gehalten werden, die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet werden kann. Hierfür ergeben weder die gesetzliche Reihenfolge und Systematik der §§ 54 und 54 a AufenthG noch deren Wortlaut einen Anhaltspunkt. Vielmehr sind die in § 54 a AufenthG vorgesehenen Folgen der Ausweisung nach § 54 Nr. 5 und 5 a AufenthG von den Modalitäten (Sofortvollzug) der Ausweisung bzw. deren rechtlichen Schicksal (Bestandskraft) abhängig. Ist demzufolge der Ausländer nicht so gefährlich, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung gerechtfertigt ist bzw. erscheint die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung nicht möglich, bedarf es nach den Vorstellungen des Gesetzgebers demnach bis zum Eintritt der Bestandskraft der Ausweisungsverfügung auch nicht der Überwachungsmaßnahmen, die § 54 a AufenthG für eine vollziehbare Ausweisungsverfügung vorsieht. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass Überwachungsmaßnahmen gemäß § 54 a AufenthG auch dann eingreifen bzw. angeordnet werden können, wenn ein Ausländer nicht sofort vollziehbar ausgewiesen ist und die Ausweisung noch nicht bestandskräftig ist, sie gleichwohl aber sinnvoll oder notwendig erscheinen, hätte er eine entsprechende Regelung treffen und die in § 54 a AufenthG geregelten Überwachungsmaßnahmen nicht allein von der Vollziehbarkeit der Ausweisung abhängig machen dürfen. Er hätte aber auch festlegen können, dass auf § 54 Nr. 5 und 5 a AufenthG gestützte Ausweisungen kraft Gesetzes vollziehbar sind. Auch dies ist aber nicht geschehen. [...]