VG Osnabrück

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Zitieren als:
VG Osnabrück, Beschluss vom 30.06.2009 - 5 B 56/09 - asyl.net: M15938
https://www.asyl.net/rsdb/M15938
Leitsatz:
Schlagwörter: D (A), vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Sofortvollzug, nachträgliche Befristung, Aufenthaltserlaubnis, Ehegattennachzug, eigenständiges Aufenthaltsrecht, Begründungserfordernis
Normen: VwGO § 80 Abs. 5; VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4; AufenthG § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; AufenthG § 7 Abs. 2 S. 2
Auszüge:

Die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes, durch den die Geltungsdauer einer Aufenthaltserlaubnis nachträglich verkürzt wird, kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, namentlich wenn die umgehende Beendigung des Aufenthalts des Ausländers in der Bundesrepublik aus besonderen Gründen erforderlich erscheint.

(Amtlicher Leitsatz)

[...]

Der Antrag ist begründet.

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung einer infolge der Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO keine aufschiebende Wirkung entfaltenden Klage ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn bei der vom Gericht vorzunehmenden Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des angefochtenen Verwaltungsakts und dem Interesse des Betroffenen, vom Vollzug der behördlichen Verfügung vorerst verschont zu bleiben, das letztgenannte überwiegt. [...]

Vorliegend ist der Ausgang des anhängigen Hauptsacheverfahrens offen, da die Kammer ggf. durch Beweiserhebung den Zeitpunkt der endgültigen Trennung der Eheleute noch zu ermitteln hat, denn die Angaben der Ehefrau des Antragstellers zum Zeitpunkt der endgültigen Trennung vom Antragsteller sind bei alleiniger Würdigung ihrer schriftlichen Erklärungen vom 06.12.2007, 27.10. und 25.11.2008 nicht widerspruchsfrei. Mit Blick auf das mögliche Bestehen eines eigenständigen Aufenthaltsrechtes des Klägers gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG kann diese Frage nicht offen bleiben. Denn nach § 7 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist Voraussetzung für eine nachträgliche Verkürzung der Dauer einer Aufenthaltserlaubnis, dass eine wesentliche Voraussetzung für deren Erteilung nachträglich weggefallen ist. Hierzu bestimmt Ziffer 7.2.2.1.2 der den Antragsgegner bei seiner Ermessensausübung bindenden Vorläufigen Niedersächsischen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz - Stand: 31.07.2008 - (kurz: VorlNdsVV-AufenthG), dass der Wegfall einer Erteilungsvoraussetzung nur dann wesentlich ist, wenn sich nicht aus anderen Gründen eine gesetzliche Möglichkeit ergibt, den Aufenthaltstitel zu verlängern. Dies ist etwa dann zu bejahen, wenn die Voraussetzungen für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht bereits vorliegen oder die Personensorge für ein aufenthaltsberechtigtes Kind wahrgenommen wird. Vor diesem Hintergrund ist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in der Hauptsache gerechtfertigt; die Klage des Antragstellers bietet hinreichend Aussicht auf Erfolg, §§ 166 VwGO, 114 ZPO.

Unabhängig von den offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache ist die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 13.05.2009 auch ohne Interessenabwägung bereits deshalb wiederherzustellen, weil die für eine Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO erforderliche besondere Eilbedürftigkeit nicht gegeben ist. Die Annahme einer offensichtlichen Rechtmäßigkeit der nachträglichen Verkürzung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis bzw. der voraussichtlichen Erfolglosigkeit der dagegen erhobenen Klage ist zwar ein wesentliches Element der im Rahmen der Anordnung der sofortigen Vollziehung vorzunehmenden Interessensabwägung, kann aber die Prüfung, ob überhaupt ein besonderes öffentliches Interesse an dem angeordneten Sofortvollzug besteht, nicht ersetzen (BVerfG, Beschlüsse vom 12. September 1995 - 2 BvR 1179/95 -, NVwZ 1996, 58; und vom 25. Januar 1996 - 2 BvR 2718/95 -, AuAS 1996, 62).

Schon die Begründung des Antragsgegners lässt kein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse erkennen, das im konkreten Einzelfall über das dem angefochtenen Verwaltungsakt inne wohnenden allgemeinen Interesse an seinem Vollzug hinausgeht. Die Kammer hat bereits in ihrem - dem Antragsgegner bekannten Beschluss - vom 24.04.2008 - 5 B 28/08 - unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes (Beschluss vom 30.07.2007 - 9 TG 1360/07 -, ESVGH 58, 69) ausgeführt, dass das besondere öffentliche Interesse jedenfalls nicht darin gesehen werden kann, dass Ausländer, bei denen die Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis nachträglich verkürzt worden ist, die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels offensichtlich nicht mehr erfüllen und daher zur alsbaldigen Ausreise zu verpflichten sind. Eine solche Begründung verkennt das in § 80 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 AufenthG festgelegte Regel-Ausnahme-Verhältnis. Für den Fall der nachträglichen Verkürzung der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis hat der Gesetzgeber, wie der Katalog der ausländerbehördlichen Maßnahmen ohne aufschiebende Wirkung in § 84 Abs. 1 AufenthG verdeutlicht, bewusst von einer gesetzlichen Anordnung des Wegfalls der aufschiebenden Wirkung abgesehen und es beim Regelfall der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage belassen. Die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung kommt daher nur in Ausnahmefällen in Betracht, wenn die umgehende Aufenthaltsbeendigung des Ausländers aus besonderen Gründen erforderlich erscheint. Von diesem Grundsatz geht auch Ziffer 7.2.2.5 VorlNdsVV-AufenthG aus, denn dort wird - für den Antragsgegner bindend - ausgeführt, dass mit Rücksicht auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Anordnung der sofortigen Vollziehung ein besonderes, über die Voraussetzung für die Beschränkung der Aufenthaltsgenehmigung hinausgehendes öffentliches Interesse vorliegen muss (z.B. Wiederholungsgefahr bei Straftätern, Bezug von öffentlichen Leistungen, Ausschreibung zur Einreiseverweigerung in SIS). Derartige Gründe sind im Falle des Antragstellers - unabhängig davon, dass die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht darauf gestützt worden ist - nicht erkennbar. Der Antragsteller ist erwerbstätig, bezieht keine öffentlichen Leistungen und ist bisher nicht in verfahrensrelevanter Weise strafrechtlich in Erscheinung getreten.

Auch der Umstand, dass dem Antragsteller ohne die Eheschließung kein legaler Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland ermöglicht worden wäre, vermag ein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse nicht zu begründen. Dieser Umstand ist eine typische Konsequenz der Eheschließung eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers mit einer deutschen Staatsangehörigen und nicht ein gerade den Einzelfall des Antragstellers kennzeichnendes Element des Sachverhaltes. [...]