VG Münster

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Zitieren als:
VG Münster, Urteil vom 30.07.2009 - 8 K 169/09 - asyl.net: M15970
https://www.asyl.net/rsdb/M15970
Leitsatz:

1. Volljährige Ehegatten von volljährigen Flüchtlingen, die mit diesen eine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet führen, haben gemäß Art. 23 Abs. 2, Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) auch dann einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 AufenthG, wenn ihr Lebensunterhalt nicht gesichert ist und sie ohne das erforderliche Visum eingereist sind, es sei denn, es liegen Ausschlussgründe nach Art. 12 oder 17 oder Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach Art. 23 Abs. 4 bzw. Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG vor.

2. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, der auf einer Reduzierung des behördlichen Ermessens auf Null beruht, ist jedenfalls dann ein Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG, wenn die Ermessensreduzierung auf einem Anspruch aus Gemeinschaftsrechts beruht.

 

Schlagwörter: D (A), Aufenthaltserlaubnis, Ehegattennachzug, Familienangehörige, Ehegatte, Konventionsflüchtlinge, Lebensunterhalt, Schutz von Ehe und Familie, Anerkennungsrichtlinie, Familienzusammenführungsrichtlinie, Anwendbarkeit Gemeinschaftsrecht, Anwendungsvorrang, Visum, Visum nach Einreise, Ermessen, Ermessensreduzierung auf Null, Anspruch, abgelehnte Asylbewerber, Ausreisehindernis
Normen: AufenthG § 30; AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1; GG Art. 6; RL 2004/83/EG Art. 23 Abs. 2; RL 2004/83/EG Art. 24 Abs. 1; RL 2004/83/EG Art. 23 Abs. 4; RL 2004/83/EG Art. 21 Abs. 2; AufenthG § 10 Abs. 3
Auszüge:

1. Volljährige Ehegatten von volljährigen Flüchtlingen, die mit diesen eine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet führen, haben gemäß Art. 23 Abs. 2, Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) auch dann einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 AufenthG, wenn ihr Lebensunterhalt nicht gesichert ist und sie ohne das erforderliche Visum eingereist sind, es sei denn, es liegen Ausschlussgründe nach Art. 12 oder 17 oder Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach Art. 23 Abs. 4 bzw. Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG vor.

2. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, der auf einer Reduzierung des behördlichen Ermessens auf Null beruht, ist jedenfalls dann ein Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG, wenn die Ermessensreduzierung auf einem Anspruch aus Gemeinschaftsrechts beruht.

(Amtliche Leitsätze)

 

[...]

Die zulässige Klage ist begründet. [...]

I. Die Klägerin erfüllt die Tatbestandsvoraussetzungen des § 30 Abs. 1 AufenthG (1.), der Anspruch scheitert weder an § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (2.) noch an § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG (3.), auch § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG steht nicht entgegen (4.). [...]

2. Der Anspruch der Klägerin scheitert nicht an § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG.

Zwar erfüllt sie nicht die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, die Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 2 Abs. 3 AufenthG (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 26. August 2008 – 1 C 32.07 –, BVerwGE 131, 370 = NVwZ 2009, 248).

Auch hat die Klägerin keinen gesetzlichen Anspruch auf Absehen von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gemäß § 29 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. [...]

Unabhängig von der Ermessensnorm des § 29 Abs. 2 Satz 1 AufenthG muss die Klägerin die Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 3 AufenthG) aber nicht erfüllen, weil auf Grund von Verfassungsrecht und von Gemeinschaftsrecht ein Ausnahmefall von der Regel vorliegt.

Denn die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Absehen von der Sicherung des Lebensunterhalts sowohl auf Grund von Art. 6 Abs. 1 GG (s. a) als auch nach Art. 23 Abs. 2, Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (s. ABl. L 304/22 vom 30. September 2004 (Qualifikationsrichtlinie, nachfolgend Richtlinie), deren Umsetzungsfrist seit dem 10. Oktober 2006 abgelaufen ist (s. b)).

a) Von der Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist wegen des Vorliegens eines Ausnahmefalles zum Schutz des Ehe- und Familienlebens der Klägerin gemäß Art. 6 Abs. 1 GG abzusehen. Denn die Klägerin kann dies nur im Bundesgebiet führen auf Grund der Flüchtlingseigenschaft ihres Ehemannes (§ 3 Abs. 4 AsylVfG, § 60 Abs. 1 AufenthG) und des Fehlens eines Drittstaates, in dem zumutbarer Weise die Lebensgemeinschaft geführt werden könnte.

Ein Ausnahmefall im Sinne des § 5 Abs. 1 AufenthG liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht nur bei besonderen, atypischen Umständen vor, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, sondern auch dann, wenn entweder aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa Art. 6 GG oder im Hinblick auf Art. 8 EMRK die Erteilung eines Visums bzw. einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug geboten ist, z.B. weil die Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland nicht möglich (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. August 2008 – 1 C 32.07 –, a.a.O., Rn. 27, und vom 28. Oktober 2008 – 1 C 34.07 –, www.bverwg.de, Rn. 24), wie es hier der Fall ist (vgl. auch OVG Niedersachsen, Beschluss vom 8. Dezember 2008 – 8 LA 782/08 –, InfAuslR 2008, 104 (105)).

b) Dass von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG im Falle der Klägerin zwingend abzusehen ist, folgt auch aus Art. 23 Abs. 2, Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG.

Die Klägerin unterfällt dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie. Nach deren Art. 1, der Gegenstand und Anwendungsbereich festlegt, ist das Ziel der Richtlinie die Festlegung von Mindestnormen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitigen internationalen Schutz benötigen, sowie des Inhalts dieses Schutzes.

Die Klägerin ist Familienangehörige ihres Ehemannes, dem die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, im Sinne des Art. 2 Buchstabe h) der Richtlinie. Denn die eheliche Lebensgemeinschaft hat bereits im Herkunftsland Syrien bestanden und die Klägerin hält sich im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat auf, da sie sich nicht aus anderen Gründen in Deutschland aufhält, sondern selbst einen Asylantrag gestellt hatte (vgl. auch S. 13 des Vorschlags der EU-Kommission vom 12. September 2001, KOM(2001) 510 endg., 2001/027 (CNS); Ratsdokument 10576/03 vom 19. Juni 2003, 2001/0207 (CNS), Anhang I Art. 2 (j)).

Nach Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass der Familienverband aufrechterhalten bleiben kann. Nach Art. 23 Abs. 2 Unterabsatz 1 tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass die Familienangehörigen der Person, der die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, die selbst nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines entsprechenden Status erfüllen, gemäß den einzelstaatlichen Verfahren Anspruch auf die in Art. 24 bis 34 genannten Vergünstigungen haben, sofern dies mit der persönlichen Rechtsstellung des Familienangehörigen vereinbar ist. Die Mitgliedstaaten können gemäß Art. 23 Abs. 2 Unterabsatz 2 die Bedingungen festlegen, unter denen Familienangehörigen von Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, diese Vergünstigungen gewährt werden.

Daraus folgt nach dem Wortlaut und der Systematik, dass die Mitgliedstaaten hinsichtlich Familienangehörigen von Flüchtlingen, die selbst nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines entsprechenden Status erfüllen – anders als bei Familienangehörigen von Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist (vgl. Ratsdokument 7944/04 vom 31. März 2004; Walter, Familienzusammenführung in Europa, 2009, S. 175; Duchrow, ZAR 2004, 345; s. aber VG Frankfurt, Urteil vom 30. Mai 2007 – 7 E 801/07.A –, InfAuslR 2007, 411 = juris, Rn. 12 f.; Pfersich, ZAR 2007, 332) – keine Bedingungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aufstellen dürfen, die nicht in Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie genannt sind (vgl. Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, 2009, S. 905, 913 f.; zu Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie s. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 – 10 C 43.07 –, BVerwGE 131, 198 = InfAuslR 2008, 474 = NVwZ 2008, 1241 = juris, Rn. 13).

Dies wird durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt (vgl. Musekamp, Deutsche Migrationspolitik im Prozess der Europäisierung des Politikfeldes, 2004, S. 89 f., abrufbar unter www.deutsche-aussenpolitik.de/~dap/ resources/monographies/musekamp.pdf).

Das in Art. 23 Abs. 2, Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie enthaltene Gebot gegenüber den Mitgliedstaaten, an die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an Familienangehörige von Flüchtlingen keine weitergehenden Anforderungen zu stellen, wie z.B. die Sicherung des Lebensunterhalts, das Durchlaufen des Visumverfahrens oder den Besitz eines Passes (vgl. auch Art. 25 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1), ist kein Widerspruch zu den Art. 9 ff. der Familienzusammenführungs-Richtlinie, die es erlauben, auf die Lebensunterhaltssicherung nur unter bestimmten Bedingungen zu verzichten (Art. 12 Abs. 1) und die sich zur Erfüllung der Passpflicht nicht ausdrücklich verhalten.

Denn während die Familienzusammenführungs-Richtlinie nur den Nachzug noch im Heimatstaat aufhältiger Familienangehöriger mittels eines Visums regelt (vgl. Art. 1 und 2 Buchstabe d), Art. 5 Abs. 3, Art. 13 Abs. 1), betreffen Art. 23 ff. der Qualifikationsrichtlinie nach ihrem Wortlaut und Zweck die Aufrechterhaltung der bereits im EU-Mitgliedstaat bestehenden familiären Lebensgemeinschaft (vgl. S. 48 des Vorschlags der EU-Kommission vom 12. September 2001, KOM(2001) 510 endg., 2001/027 (CNS), zu Art. 6: "begleitende Familienangehörige"; Marx, a.a.O., S. 905, 913; Musekamp, a.a.O., S. 89: "Zwar enthält die Richtlinie keine Bestimmungen über die Zusammenführung von Familienangehörigen, wohl aber über die Wahrung bereits in Deutschland bestehender Familieneinheit ... ."; Pfersich ZAR 2007, 332; Walter, a.a.O., S. 175).

Daher handelt es sich um unterschiedliche Regelungsbereiche und es liegt keine Inkonsistenz oder Normenkollision (s. insoweit EuGH, Urteil vom 9. September 2003, Rs. C-25/02, Rinke; BVerfG, Beschluss vom 9. Januar 2001 – 1 BvR 1036/99 –, NJW 2001, 1267; BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1999 – 3 C 10.98 –, BVerwGE 108, 289) zwischen den beiden Richtlinien vor.

Gemäß Art. 23 Abs. 2 Unterabsatz 1 der Richtlinie erfüllt die Klägerin nach der bestandskräftigen Ablehnung ihres Asylantrages selbst nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Zwar dürften die Voraussetzungen für eine Zuerkennung von Familienflüchtlingsschutz nach § 26 Abs. 4 und 1 AsylVfG vorliegen und das Bundesamt könnte insoweit das Verfahren auch trotz Verstreichens der Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 51 Abs. 5 VwVfG) wiederaufgreifen, so dass die Klägerin einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG erlangen könnte. Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie betrifft aber mangels gemeinschaftsrechtlicher Harmonisierung (vgl. Art. 9 Abs. 3 der Familienzusammenführungs-Richtlinie) nicht die Familienflüchtlingseigenschaft, sondern nur die individuelle, originäre Flüchtlingseigenschaft (vgl. auch Bodenbender, in: Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, II-§ 26, Rn. 77 bis 80).

Der Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist auch mit ihrer persönlichen Rechtsstellung als Familienangehörige vereinbar im Sinne des Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie, da sie keinen eigenständigen, mit diesem Status unvereinbaren Rechtsstatus aufweist (vgl. Änderungsantrag des Europäischen Parlaments (EP) vom 22. Oktober 2002, A5-0333/2002, ABl C 300, 11. Dezember 2003, S. 25 ff., zu Art. 6 Abs. 1 des damaligen Entwurfs, sowie Begründung dazu in dem Bericht des EP-Ausschusses vom 8. Oktober 2002, PE 310.971).

Art. 23 Abs. 2 ist nicht nach Art. 23 Abs. 3 der Richtlinie auf die Klägerin unanwendbar. Denn diese ist bzw. wäre nicht nach Kapitel III bzw. Kapitel V der Richtlinie von der Anerkennung als Flüchtling oder der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, denn sie unterfällt nicht den insoweit einschlägigen Art. 12 bzw. Art. 17 der Richtlinie.

Es sind auch keine Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des Art. 23 Abs. 4 der Richtlinie hinsichtlich der Klägerin ersichtlich, aus denen die in Art. 23 Abs. 2, Art. 24 genannten Vergünstigungen, namentlich die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, verweigert werden könnte. Insbesondere ist die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts kein solcher Grund der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.

Daher hat die Bundesrepublik Deutschland – mittels aller zuständigen Organe – gemäß Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie dafür Sorge zu tragen, dass Personen wie die Klägerin gemäß den einzelstaatlichen Verfahren Anspruch auf die in Art. 24 bis 34 genannten Vergünstigungen haben.

Nach Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie stellen die Mitgliedstaaten sobald wie möglich nach Zuerkennung des Flüchtlingsstatus unbeschadet des Art. 21 Abs. 3 der Richtlinie einen Aufenthaltstitel aus, der mindestens drei Jahre gültig und verlängerbar sein muss, es sei denn, zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung stehen dem entgegen. Unbeschadet des Art. 23 Abs. 1 kann der Aufenthaltstitel, der Familienangehörigen von Personen ausgestellt wird, denen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, weniger als drei Jahre gültig und verlängerbar sein.

Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie (vgl. Kammer, Urteil vom 26. Mai 2009 – 8 K 734/08 –, juris, Rn. 86 ff. = www.nrwe.de, Rn. 88 ff.) stehen der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an die Klägerin, hinsichtlich derer Straftaten im Bundesgebiet nicht bekannt sind, ersichtlich nicht entgegen.

Zwar können die Mitgliedstaaten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gegenüber einem Flüchtling gemäß Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie wohl auch ablehnen, wenn Art. 21 Abs. 3 der Richtlinie auf die betreffende Person Anwendung findet, welcher auf Art. 21 Abs. 2 verweist. Dieser setzt entweder stichhaltige Gründe für die Annahme voraus, dass der Flüchtling (bzw. dessen Familienangehöriger), eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt (Art. 21 Abs. 2 lit. a) oder dass er eine Gefahr für die Allgemeinheit des Mitgliedstaats darstellt, weil er wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde (Art. 21 Abs. 2 lit. b) (vgl. Kammer, Urteil vom 26. Mai 2009 – 8 K 734/08 –, juris, Rn. 103 ff. = www.nrwe.de, Rn. 105 ff.).

Auch diese Ablehnungsvoraussetzungen sind hinsichtlich der Klägerin aber nicht ersichtlich, so dass sie nach Art. 23 Abs. 2, Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie gemäß den einzelstaatlichen Verfahren Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat.

Denn ein Aufenthaltstitel im Sinne des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie ist nur ein Titel im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG, weil er nach Art. 2 lit. j) der Richtlinie den Aufenthalt gestatten muss. Eine Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG, über die die Klägerin gegenwärtig verfügt, gestattet den Aufenthalt dagegen nicht (vgl. Kammer, Urteil vom 26. Mai 2009 – 8 K 734/08 –, juris, Rn. 85 = www.nrwe.de, Rn. 87).

Es kann hier dahinstehen, ob die Formulierung in Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie, "die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die Familienangehörigen ... gemäß den einzelstaatlichen Vorschriften Anspruch auf die in den Artikeln 24 bis 34 genannten Vergünstigungen haben," unmittelbar anwendbar ist. Dass würde voraussetzen, dass die Vorschrift nicht fristgerecht in das deutsche Recht umgesetzt worden ist, aber unbedingt und hinreichend genau ist (vgl. EuGH, Urteile vom 5. April 1979, Rs. 148/78, Ratti, Slg. 1979, 1629, Rn. 20 bis 24, und vom 19. Januar 1982, Rs. 8/81, Becker/Finanzamt Münster-Innenstadt, Slg. 1982, 53, Rn. 21 bis 25; BVerfG, Beschluss vom 8. April 1987 - 2 BvR 687/85 -, BVerfGE 75, 223 = NJW 1988, 1459; VG Düsseldorf, Urteil vom 4. Mai 2006 – 24 K 6197/04 –, InfAuslR 2006, 356).

Jedenfalls sind alle Organe der Mitgliedstaaten nach Art. 10, 249 EG gemeinschaftsrechtlich verpflichtet, eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts vorzunehmen, so weit diese nach nationalen Methoden zulässig ist (vgl. EuGH, Urteile vom 15. Juni 2000, C-365/98, Brinkmann Tabakfabriken GmbH, Rn. 32, 40, und vom 4. Juli 2006, C-212/04, Adeneler, Rn. 108 ff.) bzw. jede entgegenstehende nationale Rechtsvorschrift auf Grund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts unangewendet zu lassen (vgl. EuGH, Urteil vom 22. November 2005, C-144/04, Mangold, Rn. 77 m.w.N.; Hailbronner, ZAR 2008, 209 (210)).

Dementsprechend gebieten Art. 23 Abs. 2, Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie, welche für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wie erwähnt die Sicherung des Lebensunterhalts nicht voraussetzen, hinsichtlich § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG einen Ausnahmefall anzunehmen (vgl. auch BT-Drs. 16/5065 (164) zu Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie).

3. Der Anspruch der Klägerin scheitert auch nicht an § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Die Klägerin ist zwar – von dem Beklagten nicht problematisiert – entgegen dieser Vorschrift nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist.

Auch steht ihr kein Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ohne Durchlaufen des Visumverfahrens nach den insoweit vorrangigen § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, §§ 39, 41 AufenthV (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. Dezember 2007 - 18 B 1535/07 -, InfAuslR 2008, 129 = www.nrwe.de; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10. März 2009 – 11 S 2990/08 –, juris) zu.

Zudem ist auf § 30 Abs. 1 AufenthG weder § 5 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, wonach in den Fällen des §§ 24, 25 Abs. 1 bis 3, 4a sowie § 26 Abs. 3 AufenthG von der Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 und des Abs. 2 abzusehen ist, noch § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, der in den übrigen Fällen des Abschnitts 5 ein Absehen nach Ermessen ermöglicht, anwendbar.

Es kann offen bleiben, ob im Anwendungsbereich der Art. 23 Abs. 2, Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie zur Entfaltung der vollen Wirksamkeit dieser Vorschriften (vgl. EuGH, Urteil vom 22. November 2005, C-144/04, Mangold, Rn. 77 m.w.N.) von einer Anwendung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zwingend abzusehen ist, wofür einiges spricht. Denn diese Anwendungsvorrang genießenden gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften erfordern für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an Familienangehörige von Flüchtlingen nur, dass diese bereits mit dem Flüchtling zusammenleben und von ihnen keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Sinne der Richtlinie ausgeht (s. 2. b). Das Verlangen des Durchlaufens eines Visumverfahrens ist nicht nur eine in der Richtlinie nicht enthaltene Erteilungsvoraussetzung, sondern läuft einem grundlegenden Ziel der Richtlinie, der Wahrung des Familienverbandes des Flüchtlings im Mitgliedstaat (Art. 23 Abs. 1), zuwider. Ein Visumverfahren sieht der Gemeinschaftsgesetzgeber nur in den Fällen des Familiennachzugs aus dem Ausland gemäß Art. 5 Abs. 3, Art. 13 Abs. 1 der Familienzusammenführungs-Richtlinie vor (vgl. auch zu Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie VG Frankfurt, Urteil vom 30. Mai 2007 – 7 E 801/07.A –, a.a.O., Rn. 12 f.; Pfersich, ZAR 2007, 332).

Jedenfalls steht der Klägerin auf Grund der Erfüllung der Voraussetzungen der Art. 23 Abs. 2, Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie ein Anspruch auf Erteilung (einer Aufenthaltserlaubnis) im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu und die genannten gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben führen dazu, dass das diesbezügliche Ermessen des Beklagten dergestalt auf Null reduziert ist, das allein ein Absehen von dem Visumerfordernis rechtmäßig ist, da letzteres wie erwähnt nach Gemeinschaftsrecht nicht gefordert werden darf.

4. Dem aus § 30 Abs. 1 AufenthG folgenden Rechtsanspruch der Klägerin steht § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegen. Danach darf einem Ausländer, dessen Asylantrag – wie der der Klägerin – unanfechtbar abgelehnt oder zurückgenommen worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 (des Kapitels 2 des AufenthG) erteilt werden.

§ 30 AufenthG gehört nicht zu Abschnitt 5 des Kapitels 2 des AufenthG, sondern zu Abschnitt 6. Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG findet Abs. 3 Satz 1 aber im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung.

Der Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 AufenthG ist ein Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG. Gemäß der bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen in § 30 Abs. 1 AufenthG normierten Rechtsfolge ist die Aufenthaltserlaubnis zwingend zu erteilen.

Von einer Erfüllung der Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) durch die Klägerin hat der Beklagte wie erwähnt zwingend abzusehen (s. 2.). Dies führt dazu, dass ein gebundener Rechtsanspruch, hier nach § 30 Abs. 1 AufenthG, vorliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2008 – 1 C 37.07 –, AuAS 2009, 89 = juris, Rn. 24: " ... ob ein atypischer Fall vorliegt, in dem ausnahmsweise eine Erteilungsvoraussetzung nicht greift."; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. September 2007 – 11 S 837/06 –, InfAuslR 2008, 24 = juris, Rn. 35; Bäuerle, in: Gemeinschaftskommentar zum AufenthG, II-§ 5 Rn. 40; HK-AuslR/Möller, § 5 AufenthG Rn. 7).

Zwar ist die von der Klägerin nicht erfüllte Visumpflicht nach § 5 Abs. 2 Abs. 1 AufenthG anders als § 5 Abs. 1 AufenthG nicht als bloße Regelerteilungsvoraussetzung ausgestaltet. § 5 Abs. 2 AufenthG erfordert bzw. ermöglicht auch in atypisch gelagerten Ausnahmefällen kein automatisches Absehen vom Visumverfahren, sondern ermächtigt nur in Satz 2 zu einer behördlichen Ermessensentscheidung über ein Absehen, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind – wie es hinsichtlich der Klägerin der Fall ist (s. 3.) – oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen.

Ein solcher Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Absehen von der Visumpflicht, der auf einer Reduzierung des behördlichen Ermessens auf Null beruht, führt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwar grundsätzlich nicht zu einem Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2008 – 1 C 37.07 –, a.a.O., Rn. 20 ff.).

Ein Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG liegt nach dieser Rechtsprechung jedoch dann vor, wenn ein Rechtsanspruch gegeben ist, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. [...]

Bei Nichterfüllung der Voraussetzungen der § 30 Abs. 1, § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG würde die Klägerin zwar über einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG verfügen (s. II.) Eine solche Erlaubnis wird den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen jedoch nicht gerecht.

Denn die Mitgliedstaaten müssen Richtlinien so hinreichend bestimmt und klar umsetzen, dass die Begünstigten in der Lage sind, von ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls gerichtlich geltend zu machen (vgl. EuGH, Urteile vom 20. März 1997, Rs. C-96/95, Verbleibe-RL, Rn. 35, und vom 9. September 1999, C-217/97, UI-RL, Rn. 31 f.; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Stand 4/09, Art. 249 EGV, Rn. 140; Schroeder, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 249 EGV, Rn. 89 bis 91).

Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG lässt aber nicht hinreichend erkennen, über welche Rechte die Klägerin als Familienangehörige eines Flüchtlings verfügt. Diese Rechte müssen zumindest den Art. 24 bis 34 der Richtlinie entsprechen (vgl. Marx, a.a.O., S. 907 bis 909, 938 bis 968; Walter, a.a.O., S. 357), die im Falle der Normenkollision Anwendungsvorrang genießen.

Es kann dahinstehen, ob § 26 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, wonach eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG längstens für sechs Monate erteilt bzw. verlängert werden darf bis ein mindestens achtzehnmonatiger rechtmäßiger Aufenthalt erreicht ist, mit Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie vereinbar ist, wonach der Aufenthaltstitel für Familienangehörige von Flüchtlingen unbeschadet des Art. 23 Abs. 1 weniger als drei Jahre gültig und verlängerbar sein darf. Jedenfalls besteht nach § 25 Abs. 5 AufenthG eine allgemeine Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht (§ 4 Abs. 2 AufenthG), während gemäß Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie die Mitgliedstaaten unmittelbar nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft die Aufnahme einer unselbständigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit nach den Vorschriften, die für den betreffenden Beruf oder für die öffentliche Verwaltung allgemein gelten, gestatten.

Demgemäß berechtigt eine Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 AufenthG zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit (§ 4 Abs. 2, § 29 Abs. 5 Nr. 1, § 25 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 4 AufenthG) und ist nicht der (anfänglichen) kurzen Geltungsdauer des § 26 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterworfen.

Zudem hat der Bundesgesetzgeber durch die im Richtlinienumsetzungsgesetz erfolgte Einfügung des § 29 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zu erkennen gegeben, dass für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an einen (nachziehenden) Familienangehörigen eines Flüchtlings die Vorschriften des 6. Abschnitts des AufenthG, also auch § 30 Abs. 1, einschlägig sein sollen. Es ist in keiner Weise erkennbar, warum dies – auch in Ansehung des Art. 3 Abs. 1 GG – nicht auch bzw. erst Recht für Familienangehörige gilt, die bereits im Bundesgebiet mit dem Flüchtling eine Lebensgemeinschaft führen. Dabei ist auch zu beachten, dass im Falle der Trennung der Ehegatten bei einem vorherigen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG – anders als bei § 30 AufenthG – kein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG entstehen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2007 – 1 C 43.06 – NVwZ 2008, 333 = www.bverwg.de).

Ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach Trennung oder Tod erlaubt der Gemeinschaftsgesetzgeber auch in Art. 15 der Familienzusammenführungs-Richtlinie und verpflichtet die Mitgliedstaaten sogar zur Gewährung eines solchen, "wenn besonders schwierige Umstände vorliegen." Eine entsprechende Vorschrift ist zwar in die Qualifikationsrichtlinie (bisher) nicht aufgenommen worden. Eine entsprechende Pflicht zur Gleichbehandlung von ehemaligen Familienangehörigen von Flüchtlingen, die in den Anwendungsbereich der Art. 23 und 24 der Qualifikations-Richtlinie fallen, mit nachgezogenen ehemaligen Familienangehörigen von Flüchtlingen bzw. sonstigen Drittstaatsangehörigen, dürfte jedoch auf Grund der Gleichartigkeit der Sachverhalte sowohl gemeinschaftsrechtlich (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Dezember 2008, C-127/07, Arcelor Atlantique et Lorraine, Rn. 39 ff.) als auch verfassungsrechtlich nach Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2008 – 1 BvR 2310/06 –, NJW 2009, 209 = www.bverfg.de, Rn. 38) geboten sein.

Nach alledem haben Familienangehörige, die bereits im Bundesgebiet mit dem Flüchtling eine Lebensgemeinschaft führen, bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 30 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 23 Abs. 2, Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie einen Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG auch dann, wenn von der Einhaltung des Visumverfahrens nach nationalem Recht nur auf Grund einer Ermessensreduzierung auf Null abzusehen ist.

II. Lediglich ergänzend sei angemerkt, dass die Klägerin im Übrigen einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG hätte, wenn kein Anspruch auf Erteilung nach § 30 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 23, 24 der Richtlinie 2004/83/EG gegeben wäre. [...]

Eine Ausreise der Klägerin ist rechtlich unmöglich, da sie mit ihrem Ehemann und ihren Kindern in Deutschland tatsächlich eine eheliche bzw. familiäre Lebensgemeinschaft führt und der Ehemann bzw. die Kinder auf Grund drohender politischer Verfolgung als Flüchtling anerkannt sind. Auf Grund des Schutzes der ehelichen bzw. familiären Lebensgemeinschaft (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) ist daher sowohl eine freiwillige Ausreise als auch eine Abschiebung rechtlich unmöglich. Dass die Klägerin die eheliche bzw. familiäre Lebensgemeinschaft auch im Zustand der Duldung führen kann, ändert nichts daran, dass ihre Ausreise rechtlich unmöglich im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 – 1 C 14.05 –, BVerwGE 126, 192 = InfAuslR 2007, 4 = juris = www.bverwg.de, Rn. 15 bis 17). [...]

Das Ermessen des Beklagten nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG wäre aber auf Grund des aufgezeigten Normgehalts der Art. 23 Abs. 2 und Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dergestalt auf Null reduziert, dass allein die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an die Klägerin rechtmäßig wäre. Insoweit gelten die Ausführungen zu dem Ausnahmefall von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG im Rahmen des § 30 Abs. 1 AufenthG (s. I. 2.) hier entsprechend. Ebenso wäre auch hier zumindest auf Grund einer Ermessensreduzierung auf Null nach § 5 Abs. 2 Satz 2 (s. I. 3.) bzw. nach Abs. 3 Satz 2 AufenthG – von der Einhaltung des Visumverfahrens abzusehen. [...]

IV. Die Berufung ist nach § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage, ob im Bundesgebiet befindliche Ehegatten von Flüchtlingen, die mit diesen eine eheliche bzw. familiäre Lebensgemeinschaft führen, gemäß Art. 23 Abs. 2, Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG auch dann Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 AufenthG haben, wenn ihr Lebensunterhalt nicht gesichert ist und sie ohne das erforderliche Visum eingereist sind.

Die Sprungrevision ist zuzulassen, weil zugleich die grundsätzliche Bedeutung im Sinne § 132 Abs. 2 Nr. 1, § 134 VwGO gegeben ist und sich die Rechtsfrage auf revisibles Recht erstreckt (§ 137 VwGO). Gemäß gegenwärtigem EU-Primärrecht ist zudem allein das nationale Gericht, dessen Entscheidungen nicht mehr mit innerstaatlichen Rechtsmittel angefochten werden können, berechtigt, Frage zur Auslegung der Richtlinie 2004/83/EG dem zur letztverbindlichen Auslegung berufenen EuGH vorzulegen (Art. 68, 234 EG). [...]