Ein Asylsuchender ist "flüchtig" i.S.d. Art. 20 Abs. 1 Dublin II-Verordnung, wenn er sich der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat durch Flucht entzieht, auch wenn er sich vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist wieder bei der Ausländerbehörde meldet.
[...]
Die zulässige, in Anknüpfung an die Zustellung des Bescheides an den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 30. April 2009 fristgerecht erhobene Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 29. Dezember 2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat den Asylantrag des Klägers zu Recht gemäß § 27 a AsylVfG als unzulässig abgelehnt und dem Kläger gegenüber in rechtlich nicht zu beanstandender Weise nach § 34 a Abs. 1 AsylVfG die Abschiebung nach Griechenland angeordnet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland. Für sein Asylbegehren ist innerhalb der Europäischen Gemeinschaften Griechenland zuständig. [...]
Ausgehend davon ergibt sich vorliegend die Zuständigkeit Griechenlands für den Asylantrag des Klägers aus Art. 13 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 c) und d) Dublin II-VO. [...]
Der Bundesamtsbescheid vom 29. Dezember 2008 ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil nach der gemäß § 77 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. AsylVfG in Streitigkeiten nach dem Asylverfahrensgesetz maßgeblichen Sachlage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Beklagte für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständig geworden wäre und eine Überstellung an Griechenland somit nicht mehr in Betracht käme.
Ein derartiger Übergang der Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens auf die Bundesrepublik Deutschland hat nach Erlass des Bescheides vom 29. Dezember 2008 nicht gemäß Art. 20 Abs. 1 d) i.V.m. Abs. 2 Dublin II-VO stattgefunden.
Gemäß Art. 20 Abs. 1 d) S. 2 Dublin II-VO erfolgt die Überstellung gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, so geht nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 Dublin-II VO die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der Asylantrag eingereicht wurde. Nach Satz 2 derselben Vorschrift kann diese Frist höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund Inhaftierung des Asylbewerbers nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn der Asylbewerber flüchtig ist.
Wie aus dem Wortlaut von Art. 20 Abs. 1 d) Dublin II-VO hervorgeht, läuft in der ersten Konstellation, d.h. wenn kein Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung vorgesehen ist, die Frist zur Durchführung der Überstellung ab der ausdrücklichen oder vermuteten Entscheidung, durch die der ersuchte Mitgliedstaat die Wiederaufnahme des Betreffenden akzeptiert (vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 - ). Die Frist beginnt demnach hier - unabhängig von der Frage, ob im nationalen Recht ein Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung vorgesehen ist - frühestens mit der fiktiven Zustimmung Griechenlands zur Wiederaufnahme des Klägers. Nachdem Griechenland sich zu dem Übernahmeersuchen des Bundesamtes vom 14. Oktober 2008 nicht geäußert hatte und die Frist somit (frühestens) am 28. Oktober 2008 begann, ist zwar zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. AsylVfG) die Sechsmonatsfrist des Art. 20 Abs. 2 S. 1 Dublin II-VO abgelaufen. Hier gilt aber die auf 18 Monate verlängerte Frist des Art. 20 Abs. 2 S. 2 Dublin II-VO, weil der Kläger zum Zeitpunkt der geplanten Überstellung nach Griechenland untergetaucht war. Ist ein während der Sechsmonatsfrist vorgenommener Überstellungsversuch nach Griechenland erfolglos geblieben, weil der Asylbewerber nicht aufgegriffen werden konnte, so ist die in Art. 20 Abs. 2 S. 2 Dublin 2 VO geregelte 18-monatige Frist maßgeblich (vgl. Hess. VGH, Urteil vom 31. August 2006 - 9 UE 1464/06.A -). Die Vollzugsbeamten der ZAAB O konnten den Kläger zum Zeitpunkt der geplanten Abschiebung am 15. April 2009 nicht in seiner Wohnung antreffen, obwohl ihm die Modalitäten der Überstellung und insbesondere Datum und Uhrzeit, zu denen er sich zur Abholung bereithalten sollte, bei einer Vorsprache am 09. April 2009 von der zuständigen Ausländerbehörde mitgeteilt worden waren. Von den Mitarbeitern der ZAAB O ist festgestellt worden, dass der Kläger etwa fünf Tage vor der geplanten Abschiebung die Unterkunft verlassen hatte.
Für die Anwendbarkeit der verlängerten Frist des Art. 20 Abs. 2 S. 2 Dublin II-VO ist es unerheblich, dass der Kläger sich mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 22. April 2009 wieder bei der zuständigen Ausländerbehörde meldete und demnach bei Ablauf der Sechsmonatsfrist (am 28. April 2009) nicht mehr flüchtig war. Denn die Frist von sechs Monaten für die Durchführung der Überstellung verfolgt in Anbetracht der praktischen Komplexität und der organisatorischen Schwierigkeiten, die mit der Durchführung der Überstellung einhergehen, das Ziel, es den betroffenen Mitgliedstaaten zu ermöglichen, sich im Hinblick auf die Durchführung abzustimmen, und es insbesondere dem ersuchenden Mitgliedstaat zu erlauben, die Modalitäten für die Durchführung der Überstellung zu regeln, die nach den nationalen Rechtsvorschriften erfolgt (vgl. EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009 - C-19/08 -). Dem Sinn und Zweck der Vorschrift entsprechend kann die Frist dann verlängert werden, wenn ein Asylbewerber sich einem im Laufe der Sechsmonatsfrist erfolgten Überstellungsversuch durch Flucht entzogen hat. Denn mit den organisatorischen Schwierigkeiten der Überstellung sieht sich die Beklagte nach einem gescheiterten Überstellungsversuch erneut konfrontiert.
Auch bedurfte es einer ausdrücklichen Entscheidung der Beklagten für die Verlängerung der Frist gemäß Art. 20 Abs. 2 S. 2 Dublin II-VO nicht. Vielmehr genügte es, dass die Beklagte den griechischen Behörden mit Schreiben vom 22. April 2009 mitteilte, dass eine Überstellung des Klägers derzeit nicht möglich sei, weil dieser untergetaucht sei. Damit brachte die Beklagte zum Ausdruck, von der Möglichkeit der Fristverlängerung gemäß Art. 20 Abs. 2 S. 2 Dublin-II VO Gebrauch zu machen. [...]
Auch verfassungsrechtliche Grundsätze sowie Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gebieten - mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 ff.) - die Durchführung eines Asylverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland für den Kläger nicht. Maßgeblich für die Entscheidung, den Kläger auf die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit Griechenlands für die materielle Prüfung seines Asylbegehrens zu verweisen, ist das sog. Prinzip der normativen Vergewisserung, welches das Bundesverfassungsgericht entwickelt hat. Danach gelten die Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften kraft Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers als sicher und können andere Staaten durch den (einfachen) Gesetzgeber aufgrund der Feststellung, dass in ihnen die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK sichergestellt ist, zu sicheren Drittstaaten bestimmt werden (vgl. Art. 16 a Abs. 2 GG). Diese normative Vergewisserung bezieht sich darauf, dass der Drittstaat einem Betroffenen, der sein Gebiet als Flüchtling erreicht hat, den nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK gebotenen Schutz vor politischer Verfolgung und anderer ihm im Herkunftsstaat drohenden schwerwiegenden Beeinträchtigungen seines Lebens, seiner Gesundheit oder seiner Freiheit gewährt. Damit entfällt das Bedürfnis, ihm Schutz in der Bundesrepublik Deutschland zu bieten (vgl. BVerfG, aaO). Nach dieser verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung kann ein Ausländer eine Prüfung, ob der Zurückweisung oder sofortigen Rückverbringung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, nur dann erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass der Asylbegehrende von einem Sonderfall betroffen ist, der seiner Eigenart nach nicht im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung berücksichtigt werden konnte und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegt, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind (vgl. BVerfG, aaO). Ein derartiger Sonderfall ist hier nicht gegeben. Insoweit sieht das Gericht von einer erneuten umfassenden Darstellung der Entscheidungsgründe ab und verweist auf die Gründe des im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangenen Beschlusses vom 20. Mai 2009 - 6 B 690/09 -. [...]