Türkische Staatsangehörige müssen ungeachtet der Stillhalteklausel des Art. 41 des Zusatzprotokolls vom 23.11.1970 zum Assoziationsabkommen EWG/Türkei für den Ehegattennachzug einfache Kenntnisse der deutschen Sprache gem. § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG nachweisen.
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Gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG darf seit Inkrafttreten des Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I, S. 1970) am 28. August 2007 (Art. 10 Abs. 1 dieses Richtlinienumsetzungsgesetzes, BGBl. 2007 I, S. 1970, 2114) dem nachzugswilligen Ehegatten eines in der Bundesrepublik lebenden Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn er sich auf zumindest einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann. Zur Ausfüllung des Begriffs der gesetzlich geforderten Deutschkenntnisse nimmt die Beklagte in ihrem Runderlass zum Ehegattennachzug (insoweit abgedruckt bei Marx, in: Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Köln, Stand: Mai 2009, II § 30 Rz. 136) Bezug auf die Definition des Sprachniveaus der Stufe "A1" des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen - GER - und umschreibt die erforderlichen sprachlichen Fähigkeiten wie folgt:
"[Der Betreffende] kann sich mit einfachen, überwiegend isolierten Wendungen über Menschen und Orte äußern. [Er] kann sich auf einfache Art verständigen, doch ist die Kommunikation völlig davon abhängig, dass etwas langsamer wiederholt, umformuliert oder korrigiert wird. [Er] kann einfache Fragen stellen und beantworten, einfache Feststellungen treffen oder auf solche reagieren, sofern es sich um unmittelbare Bedürfnisse oder um sehr vertraute Themen handelt, z.B. wo er ... wohnt, welche Leute er ... kennt oder welche Dinge ... er hat."
Auf die Stufe A1 des GER abzustellen, erscheint nicht überzogen. Die Bezugnahme auf den GER ist gerechtfertigt, weil der Gesetzgeber diesen offenkundig als sachgerechte Bewertungsgrundlage für die Beurteilung des zu fordernden Sprachniveaus ansieht, indem er selbst auf ihn verweist (vgl. § 10 Abs. 4 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz). Dies ist nicht zu beanstanden. Der GER stellt ein allgemein anerkanntes System der Beurteilung fremdsprachlicher Fähigkeiten dar. Die Bezugnahme auf ihn garantiert zudem eine gleichmäßige Verwaltungspraxis. All dies, worauf verwiesen wird, legten die Kammer, der der erkennende Einzelrichter angehört, im Urteil vom 10. März 2009 - VG 30 V 55.08 - und das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg im Urteil vom 28. April 2009 (a.a.O., Rzn. 24 ff.) im Einzelnen dar. In beiden Urteilen wurde außerdem aufgezeigt, dass die Befähigung, sich auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen zu können, auch Mindestkenntnisse der deutschen Schriftsprache voraussetzt und das Spracherfordernis mit höherrangigem Recht, insbesondere dem Grundgesetz und europarechtlichen Vorgaben, vereinbar ist.
Laut Vermerk der Beklagten zur Ehegattenbefragung vom 19. Oktober 2007 verfügt die Klägerin zu 1. über keine Deutschkenntnisse. [...]
Die Klägerin zu 1. kann auch keine Ausnahme vom Spracherfordernis für sich in Anspruch nehmen. Insbesondere greift § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AufenthG nicht. Hiernach braucht derjenige nachzugbegehrende Ehegatte keine Sprachkenntnisse vorzuweisen, dessen in der Bundesrepublik lebender ausländischer Ehegatte wegen seiner Staatsangehörigkeit auch für einen Aufenthalt, der kein Kurzaufenthalt ist, visumsfrei in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten darf. Der Beigeladene zu 2. als sogenannter stammberechtigter Ausländer im Sinne der Norm besitzt die türkische Staatsangehörigkeit. Türkische Staatsangehörige benötigen für die Einreise ein Visum (§ 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 und deren Anlage I, abgedruckt bei Hailbronner, Ausländerrecht, Stand 2009, Abschnitt D 9.1). Nach teilweise vertretener Ansicht (Mielitz, Die Visumsfreiheit türkischer Touristen, NVwZ 2009, S. 276 ff.; Weh, Ausnahmen von der Anforderung einfacher Deutschkenntnisse beim Ehegattennachzug, InfAuslR 2008, S. 381, 383) wird ein Anspruch türkischer Staatsangehöriger auf visumsfreie Einreise jedoch über Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls vom 23. November 1970 (BGBl. 1972 II, S. 385) zum Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963 (BGBl. 1964 II, S. 509) vermittelt. Diese Regelung als sogenannte Stillhalteklausel untersagt den Vertragsparteien des Assoziationsabkommens und damit den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union einschließlich der Bundesrepublik, neue Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einzuführen, die den Zweck oder die Folge haben, dass die Inanspruchnahme des Rechts und damit verbunden der Aufenthalt eines Begünstigten strengeren Bedingungen unterworfen wird, als den bei Inkrafttreten des Zusatzprotokolls am 1. Januar 1973 geltenden (Oberhäuser, in: Hofmann/Hoffmann [Hrsg.], Ausländerrecht, Baden-Baden 2008, S. 1377). Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes (DVAuslG) vom 10. September 1965 (BGBl. I, S. 1341) in der Fassung vom 13. September 1972 (BGBl. I, S. 1743) benötigten türkische Staatsangehörige seinerzeit einzig dann ein Visum zur Einreise, wenn sie im Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit ausüben wollten. Für Aufenthalte zu sonstigen Zwecken bestand keine Visumspflicht (Dienelt, Die Visafreiheit türkischer Touristen und anderer Dienstleistungsempfänger, InfAuslR 2001, S. 473, 475). Hieraus wird zum Teil Folgendes abgeleitet: Nach damaliger Rechtslage hätten insbesondere türkische Touristen ohne das Erfordernis, ein Visum einzuholen, in die Bundesrepublik einreisen dürfen. Als Touristen hätten sie im Bundesgebiet Dienstleistungen entgegengenommen. Dies werde als passive Dienstleistungsfreiheit von der Stillhalteklausel des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls erfasst (Dienelt, a.a.O., S. 473 ff.), sodass türkischen Staatsangehörigen zumindest als Touristen auch heute noch die visumsfreie Einreise in die Bundesrepublik eröffnet sei. Hieraus wird für den Ehegattennachzug geschlossen, der im Bundesgebiet lebende stammberechtigte Ehegatte türkischer Staatsangehörigkeit dürfe wegen seiner Staatsangehörigkeit auch für längere Aufenthalte ohne Einholung eines Visums einreisen - die am 1. Januar 1973 geltende DVAuslG band die Visumsfreiheit für türkische Staatsangehörige nicht an eine zeitliche Grenze des Aufenthalts (Dienelt, a.a.O., S. 475) -, so dass der den Nachzug begehrende Ehegatte gemäß § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AufenthG vom Spracherfordernis befreit sei (Weh, a.a.O., S. 383).
Dem ist zumindest für den vorliegenden Fall nicht zu folgen. Der Beigeladene zu 2. reiste 2002 ein, um mit seiner damaligen Ehefrau zusammenzuleben. Die Einreise mit dem Ziel der Familienzusammenführung fällt nicht in den Anwendungsbereich des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls (Westphal, Visumsbefreiung für türkische Staatsangehörige nach der Rechtslage am 1.1.1973, InfAuslR 2009, S. 133, 135; so ausdrücklich auch Weh, a.a.O., S. 383 m.w.N.). Insoweit greift die Stillhalteklausel nicht. Sie steht der nunmehr geltenden Visumsgebundenheit des Familiennachzugs türkischer Staatsangehöriger nicht entgegen. Deswegen ist die Visumsfreiheit der Einreise des Beigeladenen zu 2. jedenfalls hinsichtlich der Familienzusammenführung, derentwegen er seinerzeit einreiste, im Sinne des § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AufenthG nicht gegeben. Auf die konkrete visumsrechtliche Situation des jeweils Betreffenden ist abzustellen, weil entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift "der" - mithin der individuell betroffene - Ausländer in den Blick zu nehmen ist.
Im Übrigen ergibt sich aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/5065, S. 175), dass - unabhängig von der vorstehenden einzelfallbezogenen Betrachtung - türkische Staatsangehörige nicht zu den stammberechtigten Ausländern zählen, die im Sinne des § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AufenthG wegen ihrer Staatsangehörigkeit visumsfrei einreisen dürfen. Der Gesetzgeber wollte mit § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AufenthG an § 41 Aufenthaltsverordnung - AufenthV - anknüpfen und die Ehegatten derjenigen Ausländer, denen die Visumserleichterungen nach § 41 AufenthV zugute kommen, vom Nachweis einfacher Deutschkenntnisse freistellen (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. April 2009, a.a.O., Rz. 56). Türkische Staatsangehörige wie der Beigeladenezu 2. werden von § 41 AufenthV nicht erfasst. [...]