VG Stade

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Zitieren als:
VG Stade, Urteil vom 27.08.2009 - 1 A 560/09 - asyl.net: M16022
https://www.asyl.net/rsdb/M16022
Leitsatz:

Wird ein Ausländer seit zwölf Jahren von deutschen Stellen als deutscher Staatsangehöriger behandelt, weil er das eheliche Kind eines deutschen Staatsangehörigen ist, erwirbt er gem. § 3 Abs. 2 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn der Erwerb der Staatsangehörigkeit durch Geburt aufgrund einer Anfechtung der Vaterschaft rückwirkend entfällt; die ausländische Mutter trifft keine Offenbarungspflicht hinsichtlich der Zweifel an der Vaterschaft ihres Ehemanns; eine Eintragung im Geburtsregister, dass der Ehemann nicht der Vater ist, unterbricht die Behandlung als deutscher Staatsangehöriger i.S.d. § 3 Abs. 2 StAG nicht, wenn im Anschluss keine ausländerrechtliche Entscheidung getroffen wird.

 

Schlagwörter: Staatsangehörigkeitsrecht, deutsche Staatsangehörigkeit, Staatsangehörigkeitserwerb durch Geburt, Vaterschaftsanfechtung, Ehemann, Rückwirkung, Behandlung als deutscher Staatsangehöriger, Geburtsregister, Randvermerk, Vertretenmüssen, Zurechnung, Eltern, Mitwirkungspflichten
Normen: StAG § 30; StAG § 4 Abs. 1; BGB § 1592 Abs. 1; BGB § 1599 Abs. 1; StAG § 3 Abs. 2
Auszüge:

Wird ein Ausländer seit zwölf Jahren von deutschen Stellen als deutscher Staatsangehöriger behandelt, weil er das eheliche Kind eines deutschen Staatsangehörigen ist, erwirbt er gem. § 3 Abs. 2 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn der Erwerb der Staatsangehörigkeit durch Geburt aufgrund einer Anfechtung der Vaterschaft rückwirkend entfällt; die ausländische Mutter trifft keine Offenbarungspflicht hinsichtlich der Zweifel an der Vaterschaft ihres Ehemanns; eine Eintragung im Geburtsregister, dass der Ehemann nicht der Vater ist, unterbricht die Behandlung als deutscher Staatsangehöriger i.S.d. § 3 Abs. 2 StAG nicht, wenn im Anschluss keine ausländerrechtliche Entscheidung getroffen wird.

(Leitsatz der Redaktion)

 

[...]

Die Klage hat Erfolg, weil der ablehnende Bescheid des Beklagten rechtswidrig ist und den Kläger daher in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Der Kläger ist Inhaber der deutschen Staatsbürgerschaft nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG vom 22. 7. 1913 in der zuletzt durch Art. 5 des EU-Aufenthalts- und Asylrechts-Umsetzungsgesetz geänderten Fassung vom 19.8.2007, BGBl I S. 1970).

Zu Recht hat allerdings der Beklagte darauf hingewiesen, dass der Kläger die Staatsangehörigkeit

nicht durch seine Geburt in Hamburg erworben hat.

Die Kläger hatte die deutsche Staatsangehörigkeit zwar zunächst vermeintlich durch Geburt gemäß § 4 Abs. 1 StAG erworben, weil der damalige Ehemann seiner Mutter deutscher Staatsangehöriger ist. Nachdem durch Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Mitte vom 6. Oktober 1998 rechtskräftig festgestellt wurde, dass es sich bei dem geschiedenen Ehemann der Mutter nicht um den leiblichen Vater des Klägers handelt, konnte der Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit nach dieser Vorschrift nicht erwerben, weil tatsächlich zum Zeitpunkt der Geburt die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 StAG nicht vorlagen. Zwar sieht § 1592 Abs. 1 BGB vor, dass Vater eines Kindes der Mann ist, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, diese Vorschrift gilt jedoch gemäß § 1599 Abs. 1 BGB nicht, wenn aufgrund einer Anfechtung rechtskräftig festgestellt ist, dass der Mann nicht der Vater ist (OVG Hamburg, Beschluss vom 10.2.2004 - 3 Bf 238/03 ­ juris). Die Entscheidung des Amtsgerichtes, dass es sich bei dem früheren Ehemann der Mutter des Klägers nicht um den Vater handelt, hat Wirkungen, die auf den Tag der Geburt des Klägers zurückwirken (vergleiche Palandt/Diederichsen, BGB, 66. Auflage, § 1599, Rn. 7). Dies hat zur Folge, dass der Kläger bei der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit nicht erwerben konnte (OVG Hamburg, aaO), weil es an der Voraussetzung der deutschen Staatsangehörigkeit eines Elternteiles gefehlt hat. [...]

Der Kläger kann sich zur Begründung seines Antrages aber auf die mit Wirkung vom 28. August 2007 (Art. 5 Nr.2 Buchst. b des Gesetzes vom 19.8.2007, aaO) neu in das Staatsangehörigkeitsgesetz eingefügte Vorschrift des § 3 Abs. 2 StAG berufen. Nach Satz 1 dieser Vorschrift erwirbt derjenige die deutsche Staatsangehörigkeit, der seit zwölf Jahren von deutschen Stellen als deutscher Staatsangehöriger behandelt worden ist und dies nicht zu vertreten hat. Als deutscher Staatsangehöriger wird nach Satz 2 insbesondere behandelt, wem ein Staatsangehörigenausweis, Reisepass oder Personalausweis ausgestellt wurde. Die Behandlung als deutscher Staatsangehöriger muss nach der bisher zu dieser Vorschrift vorliegenden Rechtssprechung (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.5.2008, 13 S 1137/08, juris) zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung noch fortbestehen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes (seit zwölf Jahren), aber auch aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 224/07, S. 430) und wird in den Niedersächsischen Durchführungsbestimmungen zum Staatsangehörigenrecht bestätigt (Nds.VV-StAR, Runderlass des MI vom 10.6.2008, Nds MBl S. 607ff, 613 zu § 3 Anm. 3.2).

Der Kläger wurde seit mehr als zwölf Jahren von deutschen Stellen als Deutscher behandelt. Ihm wurde erstmals am 30. Mai 1994 von der Freien und Hansestadt Hamburg ein deutscher Reisepass ausgehändigt. Zu diesem Zeitpunkt mussten noch alle Beteiligten von der Annahme ausgehen, dass es sich bei dem Kläger tatsächlich um ein Kind handelte, das durch seine Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hatte. Allenfalls die Mutter des Klägers wusste möglicherweise, dass dies nicht den Tatsachen entsprach. Sofern dieses Wissen bei der Mutter vorhanden war, wäre sie objektiv in der Lage gewesen, den bei der Passbehörde entstandenen Irrtum aufzuklären. Dabei muss allerdings zum einen berücksichtigt werden, dass der Antrag auf Ausstellung des Passes von dem Scheinvater gestellt worden war, der zu diesem Zeitpunkt gemäß § 1592 Abs. 1 BGB selbst dann als Vater des Klägers anzusehen war, wenn er dies biologisch tatsächlich nicht war. Daher war es zum anderen zu diesem Zeitpunkt der Mutter des Klägers, der die ausländerrechtliche Bedeutung ohnehin nicht klar gewesen sein dürfte, nicht zuzumuten, tatsächliche Erklärungen zur Vaterschaft abzugeben. Eine derartige Offenbarungspflicht konnte allenfalls nach der Ehescheidung und der rechtskräftigen Aberkennung der Vaterschaft durch das Amtsgericht Hamburg-Mitte vom 6. Oktober 1998 entstehen.

Die Behandlung des Klägers als Deutschen wurde entgegen der Ansicht des Beklagten auch nicht durch die Eintragung des Randvermerkes, dass E. nicht der Vater des Klägers ist, in das Geburtsregister am 11. November 1999 unterbrochen. Dabei wurde nämlich keine ausländerrechtliche Entscheidung getroffen, obwohl sich die Zweifel an der Staatsbürgerschaft des Klägers durch diese Mitteilung geradezu aufdrängten. Das Standesamt des Bezirksamtes Hamburg-Nord hat die Tatsachen, die in dem Randvermerk festgehalten wurden, nach dem an die Stadt ... gerichteten Schreiben vom 20. Dezember 2007 auch dem Einwohnermeldeamt mitgeteilt, auch dieses hat jedoch keinerlei ausländerrechtliche Konsequenzen daraus gezogen und offensichtlich auch die Ausländerbehörde nicht über die neuen Tatsachen informiert. Vielmehr wurden der Mutter des Klägers in der Folge Aufenthaltserlaubnisse gerade wegen der Eigenschaft des Klägers als Deutschem erteilt und die Stadt ... hat noch am 24. Oktober 2005 einen deutschen Reisepass für den Kläger ausgestellt und damit wiederum diesen gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 StAG wie einen Deutschen behandelt. Zweifel an der Richtigkeit dieser Behandlung des Klägers sind erst nach Ablauf eines Zeitraumes von zwölf Jahren, diese liefen am 25. März 2006 ab, entstanden, nachdem der Kläger im Dezember 2007 seinen Namen geändert haben wollte.

Die Behandlung des Klägers wie einen Deutschen dauerte danach von seiner Geburt bis Ende 2007 und damit mehr als 12 Jahre an.

Der Kläger hat seine Behandlung als deutscher Staatsangehöriger auch nicht im Sinne des § 3 Abs. 2 StAG zu vertreten. Unabhängig von der Frage, ob dem Kläger alle Handlungen und Unterlassungen seiner sorgeberechtigten Mutter zuzurechnen sind, ist zunächst festzustellen, dass aus den dazu bereits oben genannten Gründen von der Geburt am 25. März 1994 bis zur Rechtskraft der Entscheidung des Amtsgerichts Hamburg-Mitte am 6. Oktober 1998 kein Tun oder Unterlassen des Klägers oder seiner Mutter für die Behandlung des Klägers als deutschen Staatsangehörigen ursächlich war. Es war vielmehr die Tatsache des Bestehens einer Ehe der Mutter des Klägers mit einem deutschen Staatsbürger allein ursächlich, ohne dass eine Mitteilungspflicht der Mutter des Klägers bestand.

In der sich anschließenden Zeit haben im Wesentlichen die deutschen Stellen ihr Verhalten selbst zu vertreten, nicht jedoch der Kläger. Nach der Begründung zu der ab dem 28 August 2007 gültigen Fassung des § 3 Abs. 2 StAG heißt es in der Bundestagsdrucksache (16/5065, S. 454):

"Soweit jemand wissentlich auf die Umstände eingewirkt hat, die deutsche Stellen dazu veranlasst haben, ihn bisher als deutschen Staatsangehörigen zu behandeln, ist der Erwerb nach § 3 Abs. 2 ausgeschlossen. Hierzu zählen insbesondere die Täuschung über oder das Verschweigen relevanter Tatsachen (z.B. Rückerwerb der früheren Staatsangehörigkeit ohne deutsche Beibehaltungsgenehmigung gem. § 25 Abs. 2)."

Schon aus dieser Begründung wird deutlich, dass nur ein Verhalten dem Erwerb entgegenstehen soll, das vorwerfbar ist und das, soweit es um das Verschweigen geht, Wissen und Kenntnisse betrifft, die in der Sphäre des Betroffenen liegen. Wenn es sich dagegen um Kenntnisse handelt, die den deutschen Behörden ohnehin bekannt sind und die diese nur wegen eines Irrtums oder aus Nachlässigkeit nicht berücksichtigen, kann der Einzelne auf weitere Mitteilungen im Vertrauen auf die ordnungsgemäße Sachbearbeitung durch deutsche Stellen zu Recht verzichten. So lag es aber hier, weil den deutschen Behörden sowohl die Ehescheidung als auch die Vaterschaftsaberkennung bekannt war. Das ergibt sich zum einen daraus, dass das zuständige Standesamt der Meldebehörde Kenntnis gegeben hat aber auch aus den bestehenden Mitteilungspflichten für die Amtsgerichte (Anordnung für die Mitteilungen in Zivilsachen, MiZi vom 1. Juni 1998).

Die Niedersächsischen Durchführungsbestimmungen zum Staatsangehörigkeitsrecht (Nds.VV-StAR, RdErl.des MI vom 10.6. 2008, Nds.MBl 607 ff) gehen ebenfalls von einer berücksichtigung des Verhaltens eines Betroffenen, das dieser zu vertreten hat, nur dann aus, wenn er über das Bestehen einer deutschen Staatsangehörigkeit getäuscht oder einen Irrtum aufrechterhalten hat. Weiter heißt es:

"Kenntnisse des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts sind in der Regel von dem Betroffenen nicht zu erwarten. Er darf auch grundsätzlich auf die Richtigkeit von Verwaltungshandeln vertrauen. Nicht zu vertreten hat es daher der Betroffene, wenn er von deutschen Stellen falsch unterrichtet worden ist oder wenn sich die bisherige Rechtsauslegung, z.B. aufgrund von Gerichtsentscheidungen, geändert hat."

Mit dieser Regelung ist nach Auffassung des Gerichts die Frage des Vertretenmüssens im Sinne des § 3 Abs. 2 StAG zutreffend beschrieben, weil sie dem Sinn der Vorschrift, den vor Inkrafttreten der Vorschrift auf Vertrauensschutz gestützten Erwerb der Staatsbürgerschaft (vgl. dazu Marx in GK-StAR Anm. 41 bis 51 zu § 3 a.F.) zu ergänzen, gerecht wird. Schon vor Inkrafttreten dieser Vorschrift hat das Bundesverwaltungsgericht einen Ausnahmefall, in dem der Vertrauensschutz das Interesse des Staates an der Herstellung gesetzmäßiger Zustände überwiegt, dann angenommen, wenn die zuständige Behörde rechtsirrig die deutsche Staatsbürgerschaft festgestellt hat. Eine Korrektur zu Lasten des Betroffenen sollte in dem entschiedenen Fall nach dreizehn Jahren nicht mehr möglich sein (BVerwG, Urteil vom 14.12.1972, BVerwGE 41,277, 280 f). Zwar ist der seinerzeit entschiedene Fall mit dem Fall des Klägers nicht in vollem Umfang vergleichbar, aber aus der Entscheidung wird dennoch deutlich, dass es bei der Frage, ob ein Berufen auf Vertrauensschutz gerechtfertigt ist, auch auf das Verhalten der deutschen Stellen bei der Behandlung des Betroffenen ankommt, weil dessen Kenntnisse über das deutsche Recht in der Regel begrenzt sein werden.

Insgesamt ergibt sich daher bei der vorzunehmenden Abwägung im vorliegenden Fall, dass der Kläger es nicht zu vertreten hatte, dass er als deutscher Staatsbürger behandelt wurde. Dass der Beklagte selbst dies nicht zu vertreten hat und dass er selbst die Behandlung des Klägers als Deutscher nicht vorgenommen oder veranlasst hat, spielt im Hinblick darauf, dass das Gesetz von einer Behandlung durch deutsche Stellen spricht, keine Rolle. Als deutsche Stellen kommen neben der den Pass ausstellenden Behörde sogar Schulen und andere öffentliche Einrichtungen in Betracht. Eine Beschränkung auf die Ausländerbehörde ist jedenfalls ausdrücklich nicht vorgesehen.