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Zitieren als:
BVerwG, Beschluss vom 20.08.2009 - 1 B 13.09 - asyl.net: M16045
https://www.asyl.net/rsdb/M16045
Leitsatz:

Amtliche Leitsätze:

Ob die Wirkungen einer Ausweisung schon zum Zeitpunkt der Ausweisung oder erst später zu befristen sind, ist eine Frage des Einzelfalls. Sie hängt unter anderem vom Ausmaß der vom Ausländer ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, der Vorhersehbarkeit der zukünftigen Entwicklung dieser Gefahr sowie den schutzwürdigen Interessen des Ausländers und seiner Angehörigen ab.

Schlagwörter: Ausweisung, Revisionsverfahren, Nichtzulassungsbeschwerde, grundsätzliche Bedeutung, Wirkungen der Ausweisung, Befristung, Verhältnismäßigkeit, Schutz von Ehe und Familie, deutsche Kinder, Kleinkinder, Divergenzrüge, Begründungserfordernis, Darlegung
Normen: VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1; GG Art. 6; EMRK Art. 8; AufenthG § 11 Abs. 1 S. 3; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 2; AufenthG § 133 Abs. 3 S. 3
Auszüge:

[...]

Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. [...]

1. Die Beschwerde hält die Frage für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), "ob bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung deren Befristung mit zu überprüfen ist" (Schriftsatz vom 27. April 2009). [...]

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde eine grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfrage, die in dem angestrebten Revisionsverfahren verallgemeinerungsfähig beantwortet werden könnte, nicht auf. Nimmt man die von ihr formulierte Frage wörtlich und bezieht sie nur auf die Pflicht zur Prüfung einer Befristung bereits im Rahmen des Ausweisungsverfahrens, wäre sie ohne weiteres zu bejahen. Denn in der Rechtsprechung des Senats ist anerkannt, dass es Fälle geben kann, in denen es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK gebietet, die Wirkung der Ausweisung schon im Zeitpunkt ihres Erlasses zu befristen (vgl. Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 29.02 - BVerw-GE 121, 315 < 324>). Dies setzt notwendig die Prüfung voraus, ob im Einzelfall derartige Voraussetzungen vorliegen. Diese Prüfung hat das Berufungsgericht der Sache nach im Übrigen auch vorgenommen, indem es bei Abwägung der schutzwürdigen Belange des Klägers mit dem öffentlichen Interesse am Schutz der Allgemeinheit eine spätere Befristung für ausreichend angesehen hat (UA S. 17 f).

Versteht man die Frage weitergehend dahin, dass geklärt werden soll, unter welchen Voraussetzungen eine Ausweisung nur mit gleichzeitiger Befristung ihrer Wirkungen verfügt werden darf, legt die Beschwerde nicht dar, dass sich diese Frage anhand des Falles des Klägers verallgemeinerungsfähig beantworten lässt und damit eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Allein der Umstand, dass der Kläger Vater eines neugeborenen Kindes seiner deutschen Verlobten ist, reicht für sich allein nicht aus, um einen Anspruch auf Befristung zusammen mit der Ausweisung zu begründen. Es hängt vielmehr von den gesamten Umständen des Einzelfalles, insbesondere dem Ausmaß der vom Ausländer ausgehenden Gefahr, der Vorhersehbarkeit der zukünftigen Entwicklung dieser Gefahr und den schutzwürdigen Belangen des Ausländers und seiner Angehörigen, ab, ob eine Befristung schon bei der Ausweisung von Amts wegen geboten ist oder eine Befristung auf Antrag nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ausreicht. Dies ist eine Frage des Einzelfalles, die die Zulassung einer Grundsatzrevision nicht rechtfertigt.

2. Die Beschwerde rügt weiter eine Divergenz der angefochtenen Entscheidung von "höchstrichterlicher Rechtsprechung" (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Sie beruft sich darauf, dass nach einer nicht näher bezeichneten Fundstelle aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung, bei der es sich soweit ersichtlich um ein Zitat aus dem Urteil des Senats vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 30.02 - (BVerwGE 121, 297 314 f.>) handelt, die Befristung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung zu prüfen sei und die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts hiervon abweiche (Schriftsatz vom 5. Mai 2009).

Damit ist eine Divergenz nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend aufgezeigt. Denn abgesehen von der fehlenden genauen Bezeichnung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts handelt es sich bei dem angeführten Satz aus dem Urteil des Senats vom 3. August 2004 a.a.O. S. 314 zu Punkt 3 nicht um einen divergenzfähigen entscheidungstragenden Rechtssatz, weil die Ausführungen im Rahmen der Hinweise an das Tatsachengericht für die Behandlung des Falles nach der Zurückverweisung enthalten sind. Im Übrigen fehlt es auch an einer Bezeichnung eines bestimmten hiervon abweichenden Rechtssatzes aus der berufungsgerichtlichen Entscheidung.

Unabhängig davon bemerkt der Senat allerdings, dass die Auffassung des Berufungsgerichts, wonach eine Befristungsentscheidung "in der Regel" der Ausweisung nachfolgt (UA S. 19), sich weder der vom Berufungsgericht hierfür angegebenen Entscheidung des Senats vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - (BVerwGE 130, 20) noch der oben zu 1. angeführten Rechtsprechung des Senats entnehmen lässt. Vielmehr ist nach dieser Rechtsprechung die Frage, ob die Ausweisung von vornherein oder erst nachträglich zu befristen ist, eine Frage des Einzelfalles, die von einer Gesamtwürdigung der Umstände unter Berücksichtigung der oben zu 1. aufgezeigten Gesichtspunkte abhängt. Da das Berufungsgericht, wie oben zu 1. dargelegt, im Rahmen seiner Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Fall des Klägers der Sache nach eine solche Abwägung vorgenommen hat, ist aber weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass seine Entscheidung auf den Ausführungen über ein Regel-Ausnahme-Verhältnis auf Seite 19 der Urteilsgründe beruht. Insoweit kommt - abgesehen von sonstigen Darlegungsmängeln - auch eine Umdeutung der Divergenzrüge in eine Grundsatzrüge nicht in Betracht. [...]