VG Düsseldorf

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Zitieren als:
VG Düsseldorf, Urteil vom 12.08.2009 - 19 K 7318/08.A - asyl.net: M16072
https://www.asyl.net/rsdb/M16072
Leitsatz:

Bei einem Widerruf hat das BAMF die erhebliche und dauerhafte Änderung der verfolgungsbedingten Umstände unter Berücksichtigung des konkreten Verfolgungsschicksals hinreichend dazulegen. Vorliegend genügt die Behauptung einer angeblichen Verbesserung der Menschenrechtslage in Ruanda für Hutu nicht.

Schlagwörter: Widerruf, Ruanda, Hutu, MDR, Opposition, Wegfall der Umstände, Mouvement démocratique républicain,
Normen: AuslG § 51 Abs. 1, AsylVfG § 73, AufenthG § 60 Abs. 1, AsylVfG § 73 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Oktober 2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für den Widerruf der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, ist § 73 AsylVfG. Nach § 73 Abs. 1 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. § 3 AsylVfG regelt, dass ein Ausländer Flüchtling in diesem Sinne ist, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt ist. Ein Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen, liegt insbesondere dann vor, wenn der Ausländer es nach Wegfall dieser Umstände nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (§73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG), wobei dies nicht gilt, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Herkunftsstaat abzulehnen (§ 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG). [...]

Im vorliegenden Fall ist schon nicht hinreichend dargelegt, dass die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dargelegte Änderung der Verhältnisse erheblich und nicht nur vorübergehend ist. Das Bundesamt hat nur darauf abgestellt, dass auf dem Hintergrund einer angeblichen Verbesserung der Menschenrechtslage in Ruanda und der Verfolgungssituation der Hutu eine erneute Verfolgung nicht zu erwarten sei und dabei herausgestellt, dass Ruanda seit Annahme der Verfassung durch ein Referendum im Mai 2003 eine Präsidialrepublik mit demokratischen Elementen und grundsätzlich funktionierenden Justizeinrichtungen sei. Unabhängig von der staatlichen Verfassung ist aber die Annahme, dass sich die Lage hinsichtlich der Verfolgungssituation erheblich und nicht nur vorübergehend geändert hat, nicht hinreichend belegt, wobei auch eine zum Teil abweichende Erkenntnislage nicht berücksichtigt worden ist. Auch wenn sich die allgemeine Situation mit dem Inkrafttreten einer neuen formaldemokratischen Verfassung in bestimmten Bereichen entspannt haben sollte, haben sich unter Berücksichtigung einiger Erkenntnismittel die für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen in Ruanda wesentlichen Faktoren nicht erheblich geändert. So ist danach insbesondere nicht von einer nennenswerten Änderung der Menschenrechts- und Gefahrenlage seit Ende 2001 bis zum Widerrufszeitpunkt bzw. zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auszugehen. Sol wird z.B. auch für diesen Zeitraum von bestimmten Stellen davon berichtet, dass Personen geschlagen, schikaniert oder bedroht wurden, die die Sicherheitskräfte für Regimekritiker, Journalisten oder Mitglieder von NGOs (non-govemmental-Organisation) hielten (vgl. m.w.N. Urteil der Kammer vom 26. Oktober 2007 - 19 K2404/07.A. -, OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Dezember 2008 - 1 AK 68/08 - Juris).

Zahlreiche Personen wurden beispielsweise im Jahr 2005 verhaftet, nachdem sie eine - aus Sicht der Regierung - unvertretbare Sichtweise geäußert haben (vgl. US Departement of States, Country Reports on Human Rights Practices 2005, amnesty international, Jahresbericht Ruanda 2006, Human Rights Watch, Worldreport 2006 Ruanda).

Frühere Mitglieder der MDR und andere Oppositionelle wurden auch weiterhin verfolgt. Auch benutzte die Regierung weiter den Vorwurf des Divisionismus und das Mittel des willkürlichen Arrests gegen Kritiker. Überlebende des Völkermords müssen bei der Aufarbeitung um ihr Leben bangen (vgl. Dr. Gerd Hanke, Mitarbeiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung, "An der Realität vorbei - Ruanda, 13 Jahre nach dem Völkermord", der Überblick 01/2007, Seite 78 ff.; Human Rights Watch, Worldreport 2006 Ruanda; vgl. auch "Vorwurf der "Ethnischen Spaltung" ist Straftatbestand", Frankfurter Rundschau vom 7. April 2004, die Tageszeitung vom 13. September 2008).

Ungeachtet des verfassungsrechtlichen Schutzes von Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit blieb das Recht auf freie Meinungsäußerung auch weiterhin eingeschränkt, Gesellschaft und Medien wurden von der Regierung engmaschig kontrolliert. Auf Kritik reagierte die Regierung feindselig (vgl. amnesty international, report 2009).

Unabhängig davon fehlen in dem angefochtenen Bescheid auch Feststellungen zu der Frage, ob der Kläger sich auf zwingende, auf der früheren Verfolgung beruhenden Gründe berufen kann, den Schutz des Staates Ruanda abzulehnen. § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG enthält eine einzelfallbezogene Ausnahme von der Beendigung der Flüchtlingseigenschaft, die unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen von Satz 2 der Vorschrift gilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. November 2005 - 1 C 21.04 -, NVwZ 2006, 707 m.w.N.).

Zwingende, auf einer früheren Verfolgung beruhende Gründe liegen vor, wenn Flüchtlinge oder ihre Familienangehörigen einer außergewöhnlichen, menschenverachtenden Verfolgung ausgesetzt waren und deshalb von ihnen eine Rückkehr in das Herkunftsland nicht erwartet werden kann. § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG trägt der psychischen Sondersituation solcher Personen Rechnung, die ein besonders schweres, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten haben und denen es deshalb selbst lange Zeit danach - auch ungeachtet veränderter Verhältnisse - nicht zumutbar ist, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren (vgl. BVerwG, a.a.O., Schäfer in: GK-AsylVfG, § 73 Rdnr. 61 m.w.N., Huber/Göbel-Zimmermann, a.a.O., Rdnr. 1971 m.w.N..) [...]