Abschiebungsverbot wegen landesweiter Verfolgungsgefahr in der Türkei durch die Familie nach Trennung vom Ehemann.
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Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. [...]
Nach diesen Kriterien ist der Klägerin Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei und des Libanon zu gewähren.
Der Klägerin droht bei Rückkehr in die Türkei die Gefahr von Misshandlung bis hin zur Ermordung durch einen Familienangehörigen im Rahmen eines Racheaktes wegen ihrer Trennung von ihrem Ehemann ... und der von ihr in Deutschland gegen ihn betriebenen familienrechtlichen Verfahren (Scheidung, Gewaltschutz). Das Gericht geht auf Grund der Drohungen des Ehemanns gegenüber der Klägerin und gegenüber den Kindern von dieser Gefahr aus. Obgleich es konkrete Nachweise über den Inhalt dieser Gespräche nicht gibt, steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ... die Klägerin über Jahre hinweg im Beisein ihrer Kinder misshandelt und bedroht hat. In der Türkei, wo sie nicht mehr die Unterstützung ihrer in Deutschland lebenden Brüder hat, wären sie und ihre Kinder ... "ausgeliefert", dessen Verhalten aus Rache voraussichtlich noch brutaler würde, so dass das Leben der Klägerin konkret gefährdet wäre. Das Gericht nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen voll inhaltlich Bezug auf die Gründe seines Eilbeschlusses vom 20.04.2009 (Az.: 5 B 64/09) und verweist dort insbesondere auf die Seiten 3 und 4. Die damalige Einschätzung, dass es sich beim um einen äußerst gewaltbereiten, unbeherrschten und aggressiven Menschen handelt, hat sich nach Einsicht in die Strafakten und die familiengerichtlichen Akten bestätigt. So wurde er u.a. wegen Handelns mit Betäubungsmitteln und wegen gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen verurteilt (StA Braunschweig 801 Js 32229/07 und 909 Js 44053/07). Das Amtsgericht Wolfenbüttel hat im Gewaltschutzverfahren aufgrund einer mündlichen Verhandlung am 10.04.2008 beschlossen, die einstweilige Anordnung vom 22.01.2008, mit der ... untersagt worden war, sich der Wohnung der Klägerin, sowie ihr und den Kindern auf weniger als 50 m zu nähern, aufrechtzuerhalten (Az.: 20 F 1015/08). Auch diese Verfahren dokumentieren eine rücksichtslose Persönlichkeit und lassen erwarten, dass von ... weiterhin Gefahren vor allem für seine Frau ausgehen. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass er seit Februar 2009 gerade nicht mehr in der Bundesrepublik Deutschland lebt, sondern wiederum in seinem noch von traditionellen - auch kurdischen - Wertvorstellungen geprägten Umfeld in der Türkei und sich diesen Einflüssen nur beschränkt entziehen kann. Der Umstand, dass seine Frau sich von ihm getrennt und die Scheidung beantragt hat, und es zu verantworten hat, dass er ohne sie und seine Kinder in die Türkei zurückreisen musste, schadet in diesem Umfeld seinem Ansehen und seiner Ehre ganz erheblich, so dass es das Gericht für wahrscheinlich hält, dass er aus verletztem Stolz die Klägerin sogar mit dem Tod bedroht und in der Lage wäre, diese Drohung auch in die Tat umzusetzen.
Schließlich geht das erkennende Gericht hier auch davon aus, dass auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalles der Klägerin eine landesweite Verfolgung durch ... droht. Zwar hält das Gericht an seiner grundsätzlichen Einschätzung im Urteil vom 29.12.2005 (Az.: 5 A 298/04) fest, wonach regelmäßig eine konkrete Gefahr, das Opfer einer Ehrentötung zu werden, für den Raum der Westtürkei nicht mehr besteht, nachdem das türkische Parlament bereits am 19.06.2003 das sogenannte 6. EU-Reformpaket verabschiedet hat, mit dem in Art. 19a die Strafmilderung für Verbrechen abgeschafft wird, die zum Schutz der Familienehre begangen werden und, zumindest bezogen auf die Westtürkei, davon auszugehen ist, dass die nunmehr mehrere Jahre geltende Regelung konsequent beachtet wird und eine entsprechend abschreckende Wirkung hat. Allerdings hat das Nds. Oberverwaltungsgericht schon in dem zu diesem Urteil ergangenen Beschluss vom 04.02.2005 (Az.: 11 LA 17/05) ausgeführt, dass insbesondere die Frage, ob die in Betracht kommenden Familienangehörigen der Klägerin in Erfahrung bringen können, wo sie sich in den großen Metropolen der Westtürkei aufhält, eine Frage des Einzelfalls und deshalb keiner grundsätzlichen Klärung zugänglich ist. Vorliegend geht das Gericht davon aus, dass die Klägerin auch in der Westtürkei vor einem Anschlag durch ihren Mann und dessen Helfer nicht hinreichend sicher ist. In Frauenhäusern könnte die Klägerin allenfalls vorübergehend Schutz erhalten. Abgesehen davon wäre der Klägerin ein Ausweichen in den Westen der Türkei auch deshalb nicht zumutbar, weil sie weder die türkische noch die kurdische, sondern allein die arabische Sprache spricht, sie außerdem Analphabetin ist und allein mit vier Kindern nicht in der Lage wäre, dort ein Leben oberhalb des Existenzminimums zu führen.
Einer Abschiebung in den Libanon stehen ebenfalls Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegen. Auch dort wäre die Klägerin vor einer Verfolgung durch der von 1972 bis 1987 im Libanon gelebt hat, nicht sicher. [...]