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Zitieren als:
BAMF, Bescheid vom 09.09.2009 - 5382416-150 - asyl.net: M16116
https://www.asyl.net/rsdb/M16116
Leitsatz:

Krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG (PTBS) für Angehörige der Volksgruppe der Roma, die zudem Gefahr liefe, der Kollaboration mit den früheren serbischen Behörden beschuldigt zu werden.

Schlagwörter: krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, Kosovo, Posttraumatische Belastungsstörung, medizinische Versorgung, Existenzgrundlage, Roma
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Denn aufgrund der für die Antragstellerin geltend gemachten Wiederaufnahmegründe in Verbindung ihres früheren Asylvorbringens (insbesondere im Rahmen der Asylerstantragstellung unter Az.: 2500836-138) und der dem Bundesamt aktuell zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel hinsichtlich der Republik Kosovo ist der Wiederaufgreifensgrund der Sachlagenänderung nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG erfüllt. Denn nunmehr ist vom Vorliegen der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich ihres Heimatstaates, insbesondere der Republik Kosovo, auszugehen.

Anzumerken ist im vorliegenden Fall, dass die Antragstellerin zwar schon seit langem unter psychischen Beschwerden leidet, derentwegen sie bereits seit mindestens dem Jahre 2006 in medizinisch/neurologischer Behandlung ist (vgl. Schriftsatz des Landkreises Wittenberg, Bereich Asylbewerberleistungsgesetz vom 29.07.2009).

Vor dem Hintergrund der aber jetzt eingereichten psychologischen Stellungnahme des psychosozialen Zentrums Halle vom 07.07.2009, in der ebenfalls psychische Beschwerden der Antragstellerin insbesondere in Form einer PTBS nach ICD-10: F 43.1 thematisiert wurden, erschließt sich nun die persönliche Situation der Antragstellerin, die sich als ganz besonders darstellt, und die daraus resultierende individuelle Gefahrenlage im Falle einer Rückkehr nach Kosovo, in die sie geraten würde.

Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass die Antragstellerin bis weit in den Kosovo-Krieg hinein im Dienste des serbischen Staates, und zwar im Bereich des Gesundheitswesens tätig gewesen war und erst nach dem Kosovo-Krieg nach Übernahme alter Funktionen des serbischen Staatswesens durch die albanische Volksgruppe ihre Anstellung verlor. Durch die in der psychologischem Stellungnahme gemachten Ausführungen, dass die Geschehnisse im Zusammenhang des Verlassens des Kosovo, somit auch des Verlustes ihres Arbeitsplatzes und ihrer allgemeinen Lebensgrundlage (Zerstörung ihres Hauses) inzwischen zu einer schweren psychischen Erkrankung führte, weil dies durch die Antragstellerin als sie traumatisierende Erlebnisse zu bewerten seien, ergibt sich letztlich der Schluss, dass die Antragstellerin im Falle einer eventuellen Rückkehr nach Kosovo einem hohen Risiko einer individuellen Gefährdung für Leib und Leben im Sinne der genannten Rechtsvorschrift ausgesetzt wäre.

Dies resultiert wiederum daraus, dass nicht auszuschließen ist, dass der Antragstellerin aufgrund der bis 1999 ausgeübten Tätigkeit eine besondere Nähe zum serbischen Regime und damit Kollaboration gegen die albanische Sache vorgeworfen werden könnte und sie entsprechend mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Maßnahmen der albanischen Mehrheitsbevölkerung von Kosovo rechnen müsste.

Zwar hat sich die im Frühjahr 2008 für unabhängig erklärte Republik Kosovo der Demokratie und Achtung der Menschen- und Minderheitenrechte verschrieben, wurde eine kosovarische Polizei aufgebaut und sind nach wie vor internationale Einsatzkräfte vor Ort, die beim Aufbau der nationalen Polizei, Justiz und Verwaltung Unterstützung leisten (vgl. z.B. AA, Lagebericht <Republik Kosovo> vom 02.02.2009, Az. 508-516.80/3 KOS).

Gleichwohl ist Kosovo keine gefestigte Demokratie und besteht insbesondere in der Aussöhnung zwischen den Volksgruppen eine große Herausforderung des neuen Staates. Denn interethnische Übergriffe und deren wirksame Bekämpfung und Ahndung kann vor dem Hintergrund der aktuellen Erkenntnislage hinsichtlich Kosovo speziell in Fällen, der dem hiesigen vergleichbar ist, noch nicht als zufriedenstellend bewertet werden (vgl. z.B. VG Stuttgart, Urteil vom 23.01.2009, Az.: A 4 K 1708/08; Schweizerische Flüchtlingshilfe, "Asylsuchende Roma aus Kosovo" vom 10.10.2008).

Vor dem Hintergrund des Sachverhaltes in dem hier konkret gegebenen Einzelfall muss jedenfalls davon ausgegangen werden, dass die lokalen und internationalen Behörden nicht dazu in der Lage wären, der Antragstellerin adäquaten Schutz vor Übergriffen Dritter, die nicht auszuschließen sind, zu bieten.

Abgesehen davon hätte sie auf Grund der oben ausgeführten Besonderheit ihres Falles keine als realistisch einzuschätzende Chance, ihre existenziellen Grundbedürfnisse zu befriedigen und darüber hinaus eine angemessene medizinische Behandlung in Anspruch nehmen zu können. Es ist aufgrund obiger Ausführungen nämlich davon auszugehen, dass ihr bereits die Wiederansiedlung in Kosovo verwehrt, zumindest aber soweit erschwert würde, dass ihr die Teilhabe am öffentlichen Leben, staatlicher sozialer und anderer (Dienst-) Leistungen wie z.B. auch der Zugang zu medizinischen Einrichtungen und zu einer entsprechenden wie erforderlichen Behandlung nicht möglich wäre.

Dadurch würden der Antragstellerin aber Gefahren für Leib und Leben insbesondere in existentieller und auch in gesundheitlicher Hinsicht drohen.

Eine gegenwärtige Rückkehr nach Kosovo kann der Antragstellerin bei dieser Sachlage nicht zugemutet werden, da sie in eine individuelle und konkrete Gefahrenlage geriete, die es aber zu berücksichtigen gilt.

Daher war in diesem konkreten Einzelfall, der sich hinsichtlich der Besonderheit in Bezug auf den ganz persönlichen familiären und beruflichen Hintergrund der Antragstellerin und darüber hinaus aufgrund ihrer derzeit gegebenen gesundheitlichen Verfassung als ganz besonders darstellt, das Verfahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wieder aufzugreifen und das Vorliegen der Voraussetzungen subsidiären Schutzes im zuvor genannten Sinne festzustellen. [...]