OVG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 05.10.2009 - 4 LA 73/09 - asyl.net: M16117
https://www.asyl.net/rsdb/M16117
Leitsatz:

Auch wenn sich die Verhältnisse in Togo nach dem Tod des Diktators Eyadema im Jahr 2005 bis heute noch nicht erheblich und nachhaltig im rechtlichen Sinne verändert haben, befindet sich die Lage in Togo derzeit im Fluss, weshalb in einer Berufungsverhandlung nur eine Momentaufnahme der Entwicklung der verfolgungsrelevanten Verhältnisse möglich wäre und eine grundsätzliche Klärung von Tatsachen in einem Berufungsverfahren kaum gegeben wäre.

Schlagwörter: Berufungszulassung, Togo, Grundsätzliche Bedeutung, Widerruf, Divergenzrüge
Normen: § 60 Abs. 1 AufenthG; § 73 AsylVfG; § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG
Auszüge:

[...]

Zum einen ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die grundsätzliche Bedeutung unter anderem dann zu verneinen, wenn die Beurteilung der Streitsache ausschlaggebend von der Würdigung der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls abhängt und demgemäß nicht auf eine Rechts- oder Tatsachenfrage führt, die sich in verallgemeinerungsfähiger Weise beantworten lässt (vgl. Senat, zuletzt Beschl. v. 07.09.2009 - 4 LA 51/09 Nachweise i.E. bei GK-AsylVfG, Rdnr. 101 zu § 78; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., Rdnr. 12 zu § 132). Es muss über die bloße Möglichkeit hinaus zu erwarten sein, dass die Entscheidung im Berufungsverfahren zur Klärung der aufgezeigten Grundsatzfrage führt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.06.1992 - 5 B 99.92 -, Buchholz 310, § 132 VwGO Nr. 309; Beschl. v. 05.09.1996 - 9 B 387.96 DVBl. 1997, 678, nur Leitsatz; Senat, Beschl. v. 30.05.1997 - 5 L 37/97 -). Die Frage darf nicht so allgemein gehalten sein, dass sie im Kern auf eine nicht fallbezogene, abstrakte Klärung allgemeiner Verhältnisse im Herkunftsstaat oder auf eine allgemeine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der vom Verwaltungsgericht getroffenen Prognoseentscheidung über die künftige Entwicklung bei wechselhaften tatsächlichen Verhältnissen hinausläuft (vgl. GK-AsylVfG, Rdnr. 593 unter Hinweis auf die Rechtsprechung das Hessischen VGH).

An diesen Maßstäben gemessen kann eine grundsätzliche Bedeutung für das vorliegende Streitverfahren nicht angenommen werden. So kann die Frage, ob Verfolgungsmaßnahmen aufgrund nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend veränderter Verhältnisse in Togo auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen sind, nicht generell für alle in Togo Vorverfolgten pauschal in der einen oder anderen Richtung beantwortet werden. Bei der Prüfung, ob sich die Verhältnisse i.S.v. § 73 AsylVfG im Herkunftsstaat des Flüchtlings verbessert haben, geht es nicht um die allgemeine Situation in dem Verfolgerstaat. Der anzuwendende Maßstab ist vielmehr individuell, d.h. bezogen auf den konkreten Ausländer, der als Flüchtling anerkannt worden ist und dem dieser Status wieder entzogen werden soll. Das bedeutet, dass je nach dem, welche Umstände zur Zuerkennung des Flüchtlingsstatus geführt haben, auch die Anforderungen an die Verbesserung der Verhältnisse im Heimatstaat und die Frage der Gefährdung im Falle einer Rückkehr individuell zu bewerten sind (so speziell auch für Togo die aktuelle Rechtsprechung des OVG Lüneburg, Beschl. v. 22.06.2009 - 7 LA 132/08 - und des OVG Greifswald, Beschl. v. 15.11.2007 - 2 L 152/07 -). Von diesem individuellen Ansatz ist vorliegend im Übrigen auch das Verwaltungsgericht ausdrücklich ausgegangen.

Zum anderen vermag auch die von der Beklagten zitierte, von der des Verwaltungsgerichts abweichende Entscheidung des Bayerischen VGH im von der Beklagten zitierten Verfahren 9 B 09.30074 zur heutigen Verfolgungssicherheit in Togo Vorverfolgter nicht eine grundsätzliche Bedeutung zu begründen. Zunächst gibt die von der Beklagten zitierte Entscheidung des erkennenden Senats für eine aus einer so genannten "unechten Divergenz" unmittelbar folgende Grundsatzbedeutung nicht her. Zwar indiziert eine Abweichung das Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung eines anderen als des im Instanzenzug übergeordneten Oberverwaltungsgerichts in aller Regel die allgemeine Bedeutung der Rechtssache (GK-AsylVfG a.a.O., Rdnr. 107 mit Rsprnws.). Jedoch ist es nah der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht nicht - auch nicht von Verfassungs wegen - geboten, jeden Fall der Abweichung eines Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung eines Oberverwaltungsgerichts eines anderen Bundeslandes als Fall einer grundsätzlichen Bedeutung anzusehen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.03.1994 - 2 BvR 211/94 -, NVwZ-Beilage 1994, 27 = AuAS 1994, 87). Dies gilt nicht nur, wenn das angegangene Oberverwaltungsgericht die aufgeworfene Rechts- oder Tatsachenfrage schon entschieden und sich dabei mit der Rechtsauffassung des anderen Oberverwaltungsgerichts oder dessen Bewertung des Erkenntnismaterials zu einer bestimmten Tatsachenfrage bereits auseinandergesetzt hat (vgl. hierzu auch BVerfG, Beschl. v. 04.03.1996 - 2 BvR 2409/95 AuAS 1996, 117), sondern auch dann, wenn es sich bei der "abweichenden" Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts eines anderen Bundeslandes lediglich um eine vereinzelte handelt, die auf einer schmaleren Tatsachen- und Erkenntnismittelgrundlage als der angefochtene ergangen ist, insbesondere keine gewichtigen rechtlichen und tatsächlichen Argumente bietet, die einer grundlegenderen Auseinandersetzung bedürften (vgl. hierzu GK-AsylVG, a.a.O., Rdnr, 110), und wenn das im Instanzenzug zuständige Oberverwaltungsgericht die rechtlichen und tatsächlichen Bewertungen in der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung teilt und sich gleichsam zu eigen macht. Auch in einem solchen Fall hat die Tatsache der Abweichung keine Indizwirkung mehr, und eines Berufungsverfahrens zur Klärung bedarf es nicht.

So liegt der Fall hier.

Das Verwaltungsgericht hat seiner Einschätzung, derzufolge sich die Verhältnisse in Togo nach dem Tod des Diktators Gnassingbé Eyadémas und dem Übergang des Präsidentenamtes auf seinen Sohn Faure Gnassingbé im Jahre 2005 bis heute noch nicht erheblich und nachhaltig im dargestellten rechtlich erheblichen Sinne verändert haben, eine umfängliche Würdigung der vorhandenen Erkenntnismittel zu Grunde gelegt (vgl. im Einzelnen UA S. 9 - 16). Es hat sich dabei zum einen eines umfänglichen Spektrums verschiedener Erkenntnisquellen - wie bereits oben dargelegt - bedient und nicht ausschließlich - wie der Bayerische VGH mit einer Ausnahme in seiner Kurzbegründung a.a.O. - der letzten Lageberichte des Auswärtigen Amtes. Zum anderem hat das Verwaltungsgericht die breite Palette seiner Erkenntnismittel erschöpfend ausgewertet und zu einer Gesamtbetrachtung zusammengeführt, statt sie nur selektiv nach Einzelaspekten zu betrachten und zu verwerten. Auf dieser wesentlich breiter angelegten Grundlage konnte und musste das Verwaltungsgericht auch nach Überzeugung des erkennenden Senats zu dem Ergebnis einer derzeit doch nicht hinreichend verfestigten positiven Entwicklung Togos gelangen, die eine (abermalige) politische Verfolgung der Klägerin mit hinreichender Sicherheit ausschließen könnte. So bleibt zum Beispiel der Verlauf der in der zweiten Februarhälfte 2010 anstehenden Präsidentenwahlen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 02.06.2009, S. 5) als ein Merkmal einer stabilisierten Lage abzuwarten, nachdem es noch bei den letzten stattgefundenen Präsidentenwahlen im Jahr 2005 nach Manipulationen, der Flucht des Innenministers und erheblichen Unruhen im ganzen Land zu brutalen Unterdrückungsmaßnahmen durch die Sicherheitskräfte und der RPT nahestehende Schlägertrupps mit hunderten getöteten und tausenden verletzten Personen und ca. 44.000 in die Nachbarstaaten Geflohenen gekommen war (vgl. u.a. Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 92.06.2009 a.a.O., S. 4). Auch die Feststellung des Auswärtigen Amtes in diesem jüngstem, vom Verwaltungsgericht noch nicht berücksichtigten Lagebericht, demzufolge sich die Lage "seit dem Amtsantritt Faure Gnassingbés zunehmend und inzwischen deutlich sichtbar gebessert" hat, vermag eine rechtlich erhebliche Verfestigung und Stabilisierung der politischen Lage in Togo noch nicht zu begründen, zumal vor dem Hintergrund der weiterhin zu konstatierenden "allgemeinen institutionellen Schwäche" der staatlichen Institutionen "infolge langjähriger Diktatur" (AA Lagebericht v. 02.06.2009, S. 6). Der Senat folgt damit auch der entsprechenden Lageeinschätzung durch die aktuelle Rechtsprechung des OVG Lüneburg, derzufolge die im Fluss befindliche Entwicklung der verfolgungsrelevanten Verhältnisse in dem von der Beklagten angestrebten Berufungsverfahren nur eure "Momentaufnahme" darstelle, die für künftige Verfahren jeweils einer neuen Prüfung unterzogen werden müsse und daher nur eine sehr begrenzte Aussagekraft hätte. Eine grundsätzliche Klärung von Tatsachen wäre mit der Durchführung eines Berufungsverfahrens deshalb kaum gegeben, Beschl. v. 22.06.2009 - 71 A 132/08 -).

Nach allem vermag auch die von der Beklagten zitierte Entscheidung des Bayerischen VGH eine Zulassung der Berufung wegen Bedeutung der Rechtssache ebenso wenig zu begründen wie ihr Hinweis auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 02. Juni 2009. [...]