OLG Celle

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Zitieren als:
OLG Celle, Beschluss vom 05.08.2009 - 22 W 29/09 - asyl.net: M16137
https://www.asyl.net/rsdb/M16137
Leitsatz:

1. Verletzung des rechtlichen Gehörs, da dem Bevollmächtigten vor der Entscheidung nicht umfassende Akteneinsicht gewährt wurde (nicht heilbarer Verfahrensmangel).

2. Verstoß gegen Beschleunigungsgebot.

3. In Abschiebungshaftsachen ist es im allgemeinen nicht erlaubt, den Betroffenen durch einen ersuchten Richter anzuhören.

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Verfahrensfehler, rechtliches Gehör, Akteneinsicht, Beschleunigungsgebot, Anhörung, ersuchter Richter
Normen: GG Art. 103 Abs. 1, FreihEntzG § 5
Auszüge:

[...]

1. Die Entscheidung leidet an einem im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht heilbaren Verfahrensmangel. Denn dadurch, dass die Kammer Tatsachen, auf die sie ihre Entscheidung stützt, dem Betroffenen vor ihrer Entscheidung nicht zur Kenntnis gegeben hat, hat sie den Anspruch der Betroffenen auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Dieser Grundsatz ist auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu beachten (vgl. BVerfGE 89, 381). Danach darf das Gericht seiner Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zum Nachteil eines Verfahrensbeteiligten zugrunde legen, zu denen sich dieser vorher äußern konnte (vgl. BVerfGE 6, 12; 60, 175; 64, 135; 86, 133). Es verletzt daher die Betroffene in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn die Kammer dem Prozessbevollmächtigten der Betroffenen die von diesem angeforderte Verfahrensakte mit dem Hinweis überlässt, dass Anhörungsprotokoll und Ausländerakte nach Eintreffen bei der Kammer nachgereicht werden, die erbetenen Unterlagen am 18. Mai 2009 erhält und noch am selben Tag auf der Grundlage der sich daraus neu ergebenden Erkenntnisse über die sofortige Beschwerde entscheidet, ohne diese zuvor dem Prozessbevollmächtigten der Betroffenen zur Kenntnis zu geben. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruht. Denn die Betroffene teilt mit der weiteren Beschwerde auch die Einwendungen mit, die sie im Falle ihrer rechtzeitigen Anhörung erhoben hätte. Hiernach ist nicht auszuschließen, dass die Kammer in Kenntnis dieser Einwendungen anders entschieden hätte. Die Betroffene weist insbesondere zutreffend darauf hin, dass die von der Kammer als für eine absehbare Abschiebung im Sinne des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG entscheidend gewertete nunmehr vorliegende Kopie des Reisepasses der Betroffenen bereits im Jahr 2006 vorgelegen hat, mithin eine wesentliche Veränderung der Umstände, die bereits einmal zur Aufhebung von Abschiebungshaft mangels absehbarer Abschiebung geführt hatten, nicht eingetreten war.

2. Die Darstellung im angefochtenen Beschluss ist darüber hinaus lückenhaft, weil sie den Senat nicht in die Lage versetzt, die Einhaltung des in Haftsachen geltenden besonderen Beschleunigungsgrundsatzes zu überprüfen. Die Betroffene ist nach den Feststellungen am 14. April 2009 an die deutschen Behörden überstellt worden. Gleichwohl ergibt sich aus dem angefochtenen Beschluss, dass erst am 5. Mai 2009 die Verlegung der Betroffenen von der JVA Langenhagen in die JVA Neuß beantragt und sodann am 11. Mai 2009 vorgenommen worden ist. Erst am 14. Mai 2009 ist sodann eine Ausstellung eines Passersatzpapieres erneut beantragt worden. Warum diese nicht bereits zum Zeitpunkt der Inhaftierung der Betroffenen in der JVA Langenhagen eingeleitet werden konnte bzw. warum - wenn dies hierfür erforderlich gewesen ist - die Verlegung nicht unmittelbar nach der Inhaftierung erfolgte, ist nicht erkennbar. Insoweit wird die Kammer aufzuklären haben, welche konkreten Maßnahmen von Seiten der Betroffenen in der maßgeblichen Zeit vorgenommen worden sind, um den Haftzeitraum auf das Nötigste zu beschränken.

3. Schließlich weist der Senat darauf hin, dass die von der Kammer veranlasste Anhörung der Betroffenen durch einen ersuchten Richter beim AG Neuß rechtlich bedenklich war. Um sich einen persönlichen Eindruck von der Betroffenen entsprechend § 5 Abs. 1 FreihEntzG zu verschaffen, ist es in Abschiebungshaftsachen im allgemeinen nicht erlaubt, den Betroffenen durch einen ersuchten Richter anzuhören (vgl. OLG Frankfurt FGPrax, 1995, 167; Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, § 5 FreihEntzG Rn. 2). Eine der Konstellation ähnliche Sachlage, wie sie der Senat in seinem Beschluss vom 28. April 2009 (Az.: 22 W 14/09) zu beurteilen hatte (Verschubung in eine vom Gericht entfernt belegene, grenznahe Vollzugsanstalt zum Zweck der kurz bevorstehenden Abschiebung), lag hier nicht vor. Es ist nicht ersichtlich, dass die Betroffene zur Durchführung ihrer persönlichen Anhörung durch die Kammer nicht dieser vorgeführt hätte werden können, ohne dass es dadurch zu einer Verzögerung des weiteren Verfahrens gekommen wäre. [...]