VGH Hessen

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Zitieren als:
VGH Hessen, Urteil vom 10.09.2009 - 3 A 127/07.A - asyl.net: M16161
https://www.asyl.net/rsdb/M16161
Leitsatz:

Bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan droht dem Kläger keine Verletzung des Kernbereichs des Rechts auf Religionsfreiheit; auch die sorgfältige Kontrolle der Einfuhr religiöser Literatur nach Aserbaidschan berührt nicht den Kernbereich des Rechts auf Religionsausübung.

Schlagwörter: religiöse Verfolgung, Konversion, Apostasie, Aserbaidschan
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1 Satz 5, QRL Art. 9 Abs. 1 Bst. a,
Auszüge:

[...]

Nach der Auskunft des Transkaukasus-Instituts an das VG Ansbach vom 17. März 2006 ist der Abfall vom muslimischen Glauben nach allen muslimischen Rechtsschulen ein schweres Verbrechen. Gemeinhin werde als Abfaller vom muslimischen Glauben auch eine Person angesehen, die selbst nie einen muslimischen Glauben hatte und sich einem anderen Glauben zuwandte, deren männliche Vorfahren aber einen muslimischen Glauben hatten. Dies werde etwa von Trägern muslimischer Namen und von aserbaidschanischen Volkszugehörigen regelmäßig angenommen. Den Tatbestand des Abfallens vom Glauben gebe es aber nicht in einem Gesetz der Republik Aserbaidschan. Wer einen solchen Tatbestand in einem Gesetz der Republik Aserbaidschan fordern wollte, würde alle Voraussicht nach von der Exekutive politisch als Islamist angesehen und verfolgt werden. Auch nach muslimischem Recht sei nur der Abfall vom muslimischen Glauben ein Verbrechen, nicht die Zuwendung zu einem anderen Glauben. [...]

Entgegen dem Vorbringen des Klägers kann sich seine Gefährdung bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan auch nicht daraus ergeben, dass er konvertierter ehemaliger Muslim sei. Dieses Vorbringen trifft nämlich nicht zu. Der noch zu Zeiten des Kommunismus geborene Kläger hat in seiner informatorischen Anhörung vor dem Bundesamt am 20. Februar 2002 angegeben, einer Familie, deren Mitglieder teilweise deutschstämmig und christlichen Glaubens waren, zu entstammen. Eine seiner Großmütter sei christlichen Glaubens gewesen und habe ihm aus der Kinderbibel vorgelesen. Seine Mutter sei ebenfalls Christin und Mitglied der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Baku gewesen. Er sei früher dem Glauben nicht nachgegangen, dann aber - 1994, also im Alter von 17 Jahren - in die evangelisch-lutherische Gemeinde gegangen und 1996 Mitglied geworden. Der Kläger war somit niemals muslimischen Glaubens. Nach der schon angeführten Auskunft des Transkaukasus-Instituts vom 17. März 2006 ist auch nach dem muslimischen Recht nur der Abfall vom muslimischen Glauben ein Verbrechen, nicht die Zuwendung zu einem anderen Glauben. Der Senat braucht deshalb der hilfsweisen Anregung des Klägers, darüber weitere Aufklärung vorzunehmen, inwieweit konvertierte Christen, die vom muslimischen zum christlichen Glauben übergetreten seien, durch staatliche Behörden wie auch muslimische Extremisten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien, nicht zu folgen, da der Kläger vor seiner Hinwendung zum Christentum nicht muslimischen Glaubens war.

Bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan droht dem Kläger auch keine Verletzung des Kernbereichs des Rechts auf Religionsfreiheit. Soweit in Aserbaidschan gesetzlich eine staatliche Registrierung von Religionsgemeinschaften vorgeschrieben ist, berührt dies nicht den Kernbereich der Religionsfreiheit. Im Übrigen ist die evangelisch-lutherische Gemeinde in Baku, der der Kläger bei einer Rückkehr nach Baku wieder angehören würde, staatlich registriert. Auch die sorgfältige Kontrolle der Einfuhr religiöser Literatur nach Aserbaidschan berührt nicht den Kernbereich des Rechts auf Religionsausübung. [...]