OVG Sachsen

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Zitieren als:
OVG Sachsen, Beschluss vom 02.10.2009 - 3 B 482/09 - asyl.net: M16173
https://www.asyl.net/rsdb/M16173
Leitsatz:

Nach der Rechtsprechung des Senats kann die nichteheliche Vaterschaft eines Ausländers hinsichtlich des ungeborenen Kindes einer deutschen Staatsangehörigen einen Umstand darstellen, der unter den Gesichtspunkten des Schutzes der Familie nach Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG und der Pflicht des Staates, sich schützend und fördernd vor den nasciturus zu stellen, aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen entfalten.

Schlagwörter: vorläufiger Rechtsschutz, rechtliches Abschiebungshindernis, Vorwirkung, Geburt, Schutz der Familie
Normen: VwGO § 123, GG Art. 6 Abs. 1, GG Art. 6 Abs. 2, GG Art. 2 Abs. 2 Satz 1, GG Art. 1 Abs. 2 GG
Auszüge:

[...]

Nach der - vom Verwaltungsgericht zitierten - Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 25.1.2006, NVwZ 2006, 613) kann die nichteheliche Vaterschaft eines Ausländers hinsichtlich des ungeborenen Kindes einer deutschen Staatsangehörigen einen Umstand darstellen, der unter den Gesichtspunkten des Schutzes der Familie nach Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG und der Pflicht des Staates, sich gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG schützend und fördernd vor den nasciturus zu stellen, aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen entfaltet.

Hinsichtlich des Schutzes der Ehe sind Vorwirkungen aus Art. 1 Abs. 1 GG für den Fall des unmittelbaren Bevorstehens der Eheschließung allgemein anerkannt (vgl. dazu Senatsbeschl. v. 8.2.2005 - 3 BS 426/04 -). Entsprechende Vorwirkungen sind im Falle der bevorstehenden Familiengründung regelmäßig dann anzunehmen, wenn der nichteheliche Vater durch die vorgeburtliche Anerkennung der Vaterschaft und des gemeinsamen Sorgerechts zu erkennen gegeben hat, dass er die elterliche Verantwortung übernehmen wird, und zudem der Entbindungszeitpunkt so nahe bevorsteht, dass bis zur Geburt ein Familiennachzug unter Einhaltung der Einreisevorschriften nach behördlicher Erfahrung oder - in Ermangelung einer solchen - nach dem Ergebnis behördlicher Ermittlung bei der zuständigen Auslandsvertretung und ggf. der zuständigen Ausländerbehörde nicht mehr in Betracht kommt. Dabei knüpft der vorwirkende Schutz durch Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG deshalb an die Geburt als Grenze des für einen geordneten Familiennachzug ausreichenden Zeitraums an, weil der spezifische Betreuungsbeitrag des Vaters nicht durch die Betreuung durch die Mutter entbehrlich wird, der Aufbau und die Kontinuität emotionaler Bindungen zu Vater und Mutter in aller Regel der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dient und das Kind beide Eltern braucht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.12.2005, FamRZ 2006, 187 u. v. 23.1.2006, NVwZ 2006, 682; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 30.3.2009 - 12 S 28.09 -, zitiert nach juris; OVG Hamburg, Beschl. v. 14.8.2008, NVwZ-RR 2009, 133 m.w.N.).

Diese Schutzverpflichtungen aus Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG können zunächst dann in Betracht kommen, wenn eine Risikoschwangerschaft und der darauf beruhende Bedarf an Unterstützung der Schwangeren glaubhaft gemacht wird (vgl. Beschl. des Senats v. 25.1.2006 a.a.O.). Sie werden aber auch - bei fehlenden Hinweisen auf eine Risikoschwangerschaft - in Betracht kommen, wenn aus anderen Gründen eine besondere Hilfsbedürftigkeit der schwangeren Mutter gegeben ist. Hiervon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn der Ausländer gegenüber den zuständigen Behörden mit Zustimmung der Mutter seine Vaterschaft anerkannt hat und beide bereits in Verhältnissen leben, die die gemeinsame Erziehung und Betreuung des Kindes als sicher erwarten lassen. Zudem muss grundsätzlich auch in einer solchen Konstellation die vorübergehende Ausreise des Kindesvaters unzumutbar sein, wovon regelmäßig nur dann ausgegangen werden kann, wenn mit seiner rechtzeitigen Rückkehr zum Geburtstermin nicht gerechnet werden kann (so auch OVG Hamburg, Beschl. v. 14.8.2008 a.a.O.). [...]

Soweit von der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 14.8.2008 a.a.O.) als weitere Voraussetzungen für vorgeburtliche Schutzwirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG verlangt wird, dass die Betroffenen in Verhältnissen leben, die die Übernahme der elterlichen Verantwortung und eine gemeinsame Erziehung und Betreuung der Kinder sicher erwarten lassen, muss bei der Konkretisierung dieser Anforderungen den Umständen des Einzelfalls Rechnung getragen werden. Diese sind vorliegend dadurch gekennzeichnet, dass sich der Antragsteller seit dem 30.6.2009 in Sicherungshaft befindet und dadurch naturgemäß seit diesem Zeitpunkt nicht mit der Kindesmutter zusammenleben konnte. [...]