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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 09.10.2009 - 2 BvR 2115/09 - asyl.net: M16174
https://www.asyl.net/rsdb/M16174
Leitsatz:

Verfassungsbeschwerde gegen die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen aufgrund eines Europäischen Haftbefehls an die Republik Griechenlannd zum Zwecke der Strafverfolgung.

Schlagwörter: Griechenland, Europäischer Haftbefehl, Begründung richterlicher Entscheidungen
Normen: GG Art. 16 Abs. 2, GG Art. 3 GG, GG Art. 19 Abs. 4, IRG § 10 Abs. 2
Auszüge:

[...]

Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Erklärung der Zulässigkeit der Auslieferung richtet, ist sie zulässig und begründet. Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 7. September 2009 verstößt gegen Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG.

Der verfassungsrechtliche Maßstab des Willkürverbots, an dem sich auch jede Gerichtsentscheidung messen lassen muss (vgl. BVerfGE 50, 287 289>), verlangt mit Rücksicht auf die verfassungsrechtliche Gebundenheit des Richters an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) - neben anderem - die Begründung einer Entscheidung jedenfalls dann und insoweit, als von dem eindeutigen Wortlaut einer Rechtsnorm abgewichen werden soll und der Grund hierfür sich nicht schon eindeutig aus den den Beteiligten bekannten oder für sie ohne weiteres erkennbaren Besonderheiten des Falles ergibt (vgl. BVerfGE 71, 122 135 f.>; 81, 97 106>).

Begründungserfordernisse und Vorgaben für richterliche Sorgfalt folgen im Auslieferungsverfahrensrecht zudem unmittelbar aus Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG. Deutsche Staatsangehörige sind durch das Grundrecht aus Art. 16 Abs. 2 GG vor Auslieferung geschützt (BVerfGE 113, 273 292>). Das Verbot der Auslieferung (Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG) ist ebenso wie das damit in Zusammenhang stehende Verbot der Ausbürgerung (Art. 16 Abs. 1 GG) nicht nur Ausdruck staatlich beanspruchter Verantwortlichkeit für die eigenen Staatsangehörigen, sondern beide Verbote sind als Freiheitsrechte gewährleistet (BVerfGE 113, 273 293>). Diese Grundsätze haben alle Stellen deutscher Staatsgewalt zu beachten. Sie sind für die Rechtsprechung maßstäblich, wenn auf der Grundlage eines grundrechtseinschränkenden Gesetzes im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG in das Grundrecht aus Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG eingegriffen werden soll (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 3. September 2009 - 2 BvR 1826/09 -, juris).

Die sich daraus ergebenden Mindesterfordernisse an Art und Tiefe der Begründung richterlicher Entscheidungen im Auslieferungsverfahrensrecht sind vorliegend weder in rechtlicher - aa) - noch in tatsächlicher - bb) - Hinsicht erfüllt. Das Oberlandesgericht hat sich bei der verjährungsrechtlichen Prüfung des Tatvorwurfs nicht mit den einschlägigen innerstaatlichen Bestimmungen auseinandergesetzt, obwohl dies nach Lage des Falles geboten war. Überdies hat es als Darstellung im Europäischen Haftbefehl eine Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen worden sein soll (§ 83a Abs. 1 Nr. 5 IRG), hingenommen, die zu unpräzise war, als dass auf dieser Grundlage eine dem hohen Rang des Grundrechts aus Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG genügende gerichtliche Überprüfung möglich war. [...]