OVG Rheinland-Pfalz

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Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05.11.2009 - 10 A 10817/09.OVG [= ASYLMAGAZIN 2010, S. 25 f.] - asyl.net: M16214
https://www.asyl.net/rsdb/M16214
Leitsatz:

Das Widerrufsverfahren ist kein "Super-Revisionsverfahren", d.h. seine Funktion besteht nicht darin, rechtskräftige frühere Entscheidungen kritisch zu hinterfragen und heute im Abstand von einigen Jahren zu fragen, was die damals richtige oder vermeintlich richtige Entscheidung gewesen wäre. Aufhebung eines Widerrufsbescheids wegen exponierter exilpolitischer Aktivitäten für die ENRK/PKK.

Schlagwörter: Widerrufsverfahren, ENRK, subjektive Nachfluchtgründe, PKK, Türkei
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1
Auszüge:

[...] Es haben sich nämlich seit dem Erlass des Urteils des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 15. Mai 2001 (7 A 131/97 As) die maßgeblichen Verhältnisse nachträglich nicht so erheblich verändert, dass dem Kläger nunmehr zugemutet werden kann, in die Türkei zurückzukehren. Erforderlich ist für diese Beurteilung ein Vergleich der Situation, wie sie für den Kläger zum Zeitpunkt seiner Anerkennung als politischer Flüchtling im Mai 2001 bestand und wie sie sich nunmehr zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Beratung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) im November 2009 darstellt.

Dabei teilt das Gericht nicht den vom Bundesamt und ihm folgend auch vom Verwaltungsgericht angenommenen Ausgangspunkt, es sei heute nochmals zu prüfen, welche exilpolitischen Aktivitäten der Kläger bis Mai 2001 in der Bundesrepublik Deutschland (und ggf. der Schweiz) gezeigt habe, wie diese zu bewerten seien und ob deswegen und mit Blick auf die zwischenzeitliche Entwicklung in der Türkei mit einer Verfolgung des Klägers bei einer Rückkehr dorthin zu rechnen sei.

Das Widerrufsverfahren ist kein "Super-Revisionsverfahren". Seine Funktion besteht nicht darin, rechtskräftige frühere Entscheidungen kritisch zu hinterfragen, die ihnen zugrunde liegenden Verfahren neu aufzurollen und heute im Abstand von einigen Jahren zu fragen, was die damals richtige oder vermeintlich richtige Entscheidung gewesen wäre. Vielmehr ist die seinerzeit ergangene und rechtskräftig gewordene Entscheidung mit ihren tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen so wie sie ergangen ist als Ausgangspunkt für die Frage eines Widerrufs zugrunde zu legen. [...]

Nach alledem ist der Kläger als herausgehobener Aktivist für die kurdische Sache und die PKK vom Verwaltungsgericht Schwerin als politischer Flüchtling anerkannt worden - und nicht etwa als "Mitläufer" oder prokurdischer Anhänger "niedrigen Profils". Deshalb gehen die Versuche, die Aktivitäten und die Bekanntheit des Klägers zu verkleinern und ein Interesse der türkischen Sicherheitskräfte, ihn unter asylrelevanten Bedingungen zu verhören, zu verneinen, fehl. Ganz deutlich wird dies etwa auch an der Einschätzung in dem angefochtenen Bescheid, die Aktivitäten des Klägers dürften den türkischen Behörden schon gar nicht bekannt geworden sein (vgl. Bescheid S. 5 unten). Genau das Gegenteil hatte das Verwaltungsgericht Schwerin aber festgestellt. [...]