VG Göttingen

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Zitieren als:
VG Göttingen, Urteil vom 24.11.2009 - 4 A 42/09 [= ASYLMAGAZIN 2010, S. 15 f.] - asyl.net: M16250
https://www.asyl.net/rsdb/M16250
Leitsatz:

Bleiberecht: Unzumutbarkeit der Passbeschaffung eines Geduldeten (aus dem Kosovo) im Heimatland, da dies eine Unterbrechung des "ununterbrochenen geduldeten Aufenthalts" und vorliegend eine Gefährdung des Arbeitsplatzes bedeuten würde. Verurteilung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf Probe gemäß § 104 a Abs. 1 AufenthG in einem Ausweisersatz.

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Anmerkung der Redaktion: Ein Berufungszulassungsantrag der Beklagten wurde vom OVG Niedersachsen mit Beschluss vom 28.10.2010 (asyl.net, M17792) abgelehnt.

Schlagwörter: Bleiberecht, Aufenthaltserlaubnis auf Probe, Ausweisersatz, Kosovo, Licna Karta, Pass
Normen: AufenthG § 104a Abs. 1, AufenthG § 48 Abs. 2, AufentV § 55 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Soweit der Beklagte die beantragte Aufenthaltserlaubnis auch mit der Begründung versagt hat, die Identität des Klägers sei nicht geklärt und er besitze keinen Pass, obwohl er einen solchen in zumutbarer Weise erlangen könne, so kann dem nicht gefolgt werden. Die Identität des Klägers ist zur Überzeugung des Gerichts durch seinen jugoslawischen Personalausweis unzweifelhaft. Die Argumentation des Beklagten im streitbefangenen Bescheid ist insoweit nicht überzeugend und nicht tragfähig. Die derzeitige Passlosigkeit des Klägers steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen, da die Erlangung eines Passes für den Kläger derzeit unzumutbar ist und die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Ausweisersatzes nach den §§ 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthV, 48 Abs. 2 AufenthG gegeben sind. Für den Kläger ist die Erlangung eines kosovarischen oder serbischen Passes derzeit unzumutbar. Zunächst hat der Kläger überzeugend dargelegt und nachgewiesen, dass er sich seit Jahren erfolglos zunächst um die Ausstellung eines serbischen Passes und nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo auch um einen kosovarischen Pass bemüht hat. Dies entspricht der derzeitigen Erkenntnislage, wonach die kosovarischen Auslandsvertretungen in der Bundesrepublik Deutschland noch keine Pässe ausstellen. Im Übrigen kann der Kläger nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo auch nicht mehr an die serbischen Auslandsvertretungen verwiesen werden, weil es sich insoweit um die Vertretung eines fremden Staates handelt (vgl. hierzu bereits Urteil des erkennenden Gerichts vom 21.05.2008 - 1 A 390/07 -). Der Kläger kann entgegen der Ansicht des Beklagten auch nicht auf eine Passbeschaffung im Kosovo verwiesen werden. Soweit der Beklagte hier auf der Grundlage des Erlasses des Nds. Ministeriums für Inneres, Sport und Integration vom 10.09.2008 die Bereitschaft bekundet hat, dem Kläger einen vorläufigen Reiseausweis für Ausländer zur Ausreise in den Kosovo zum Zwecke der Passbeschaffung sowie eine Vorabzustimmung für ein Wiedereinreisevisum zu erteilen, vermag dies eine Unzumutbarkeit der Passbeschaffung für den Kläger auch im Kosovo nicht zu beseitigen. Zunächst besteht auch zur Überzeugung des Gerichts die hohe Gefahr, dass der Kläger bei einem Verlassen der Bundesrepublik Deutschland auf einer solchen Grundlage und einer zeitlich nicht genau bestimmbaren und unsicheren Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland seinen derzeitigen Arbeitsplatz verlieren könnte. Kein Unternehmen wird eine solche zeitliche Ungewissheit - vor allem bei einem Beschäftigten mit Leitungsfunktion wie dem Kläger als Vorarbeiter - bei der derzeitigen Wirtschaftslage hinnehmen können. Dem Kläger ein solches Risiko des Verlustes seines Arbeitsplatzes und damit auch des Verlustes der Anspruchsvoraussetzung eines gesicherten Lebensunterhaltes aufzubürden, ist schlicht inakzeptabel und unzumutbar.

Selbsttragend folgt die derzeitige Unzumutbarkeit einer Passbeschaffung auch daraus, dass der Kläger im Fall einer Rückkehr in das Kosovo nach den Modalitäten des Beklagten die weitere Anspruchsvoraussetzung des § 104 a Abs. 1 AufenthG, nämlich einen ununterbrochenen geduldeten Aufenthalt, ebenfalls verlieren würde. Denn mit der Ausreise würde die ihm erteilte Duldung nach § 60 a Abs. 5 AufenthG erlöschen und damit diese Anspruchsvoraussetzung vernichtet. Von daher gestaltet sich die Frage einer Passbeschaffung im Kosovo, wozu der Kläger bereit ist, anders nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bzw. deren Verlängerung nach dem 01.01.2010, da in diesem Fall solch gravierende und unzumutbare Rechtsnachteile bzw. -verluste nicht eintreten bzw. zu befürchten sind.

Nach alledem ist der Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die begehrte Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a Abs. 1 AufenthG und zugleich einen Ausweisersatz nach den §§ 55 Abs. 1 AufentV, 48 Abs. 2 AufenthG zu erteilen. [...]