OVG Rheinland-Pfalz

Merkliste
Zitieren als:
OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 08.10.2009 - 7 A 10165/09.OVG - asyl.net: M16251
https://www.asyl.net/rsdb/M16251
Leitsatz:

Zur Ausweisung wegen des Vorwurfs der Unterstützung der Tablighi Jamaat bei Ausweisungsschutz wegen Niederlassungserlaubnis.

Schlagwörter: Ausweisung, schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, Niederlassungserlaubnis, Tablighi Jamaat, terroristische Vereinigung, Unterstützung, besonderer Ausweisungsschutz, Ermessensausweisung, freiheitliche demokratische Grundordnung,
Normen: AufenthG § 54 Nr. 5, AufenthG § 54 Nr. 5a, AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 8a, AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 8b, AufenthG § 56 Abs. 1 S. 2
Auszüge:

[...]

Das Verwaltungsgericht hätte den Bescheid vom 12. Oktober 2007 aufheben müssen, denn dieser erweist sich als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Voraussetzungen für eine Ausweisung des Klägers auf der Grundlage der Ausweisungstatbestände des § 54 Nr. 5 und Nr. 5a AufenthG sind nicht gegeben. Auch die Ermessenausweisungstatbestände nach § 55 Abs. 2 Nr. 8a und Nr. 8b AufenthG werden nach Auffassung des Senats vom Verhalten des Klägers wohl kaum erfüllt; jedenfalls stellen sie sich hier nicht als schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG dar, die in der Lage wären, den Ausweisungsschutz, den der Kläger als Inhaber einer Niederlassungserlaubnis genießt, zu überwinden. Schließlich vermögen insofern die Ermessenserwägungen der Behörde für die Ausweisung einer gerichtlichen Überprüfung nicht standzuhalten, weil sie maßgeblich von der Annahme getragen sind, der Kläger habe zudem die Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5 und Nr. 5a AufenthG erfüllt.

1. Die Ausweisung des Klägers kann nicht auf § 54 Nr. 5 AufenthG gestützt werden. Danach wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört und angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, oder eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat. Der Vorwurf, der Kläger gehöre der Tablighi Jamaat (TJ) an und diese sei eine Vereinigung, die den Terrorismus unterstütze, kann die Ausweisung nicht tragen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger dieser Vereinigung angehört oder sie unterstützt oder unterstützt hat. Die TJ stellt sich nämlich nicht als eine Vereinigung dar, die den Terrorismus unterstützt. Dabei erkennt auch der Beklagte nach der Einlassung des Mitarbeiters des Ministeriums des Innern und für Sport in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat an, dass die TJ als eine religiöse Großorganisation mit nach Millionen zählenden Anhängern als solche nicht als eine Vereinigung bezeichnet werden kann, die den Terrorismus unterstützt. Für die Annahme der Terrorismusunterstützung reicht es zur Zurechnung nicht aus, dass bei einer Vielzahl von terroristischen Anschlägen in aller Welt (vgl. insoweit im Einzelnen die vom Beklagten in Bezug genommene Aufzählung in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 15. Januar 2008 AN 19 K 05.02681, S. 16 - 19 = Bl. 337 - 339 d. GA) insoweit eine Verbindung zur TJ hergestellt werden konnte, als sich bei den Ermittlungen herausstellte, dass die Täter häufig sämtlich oder zu Teilen Anhänger (auch) der TJ waren. Es ergeben sich keine genügenden Anhaltspunkte aus den vom Beklagten herangezogenen Erkenntnissen, dass die TJ als solche auf die Begehung der Taten abgezielt, sie wissentlich unterstützt bzw. sie auch nur - um ihre Unterstützungsfunktion wissend - billigend in Kauf genommen hätte. Eine entsprechende mangelnde Feststellbarkeit geht zu Lasten des Beklagten, der insoweit die Beweislast trägt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob gewisse Beweiserleichterungen, die der Gesetzgeber im Hinblick auf den Nachweis der Zugehörigkeit oder Anhängerschaft des Betreffenden mit der Formulierung eingeräumt hat, dass bloß "Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen" müssen, auch für die Frage gelten, ob die Vereinigung den Terrorismus unterstützt, oder ob für letztere Frage strengere Beweisanforderungen gelten, die Umstände mit anderen Worten "feststehen" müssen (vgl. u.U. in diesem Sinne BVerwG, Urteil vom 15. März 2005, 1 C 26.03 = BVerwGE 123, 114, 129; BayVGH, Beschluss vom 19. Februar 2009, 19 CS 08.1175; juris Rn. 56; anderer Ansicht Discher, GK-AufenthG, § 54 AufenthG Rn. 533 f.). Denn es gibt auch keine hinreichenden Tatsachen, die den hier fraglichen Schluss rechtfertigen könnten. Der Senat kann sich wegen des Charakters der Organisation auf die Ausführungen von Reetz (Redefassung der Rede bei der Konferenz "Islam in Europa", Diplomatische Akademie Wien, 23. März 2007), wie sie auch vom Beklagten in das vorliegende Verfahren eingeführt worden sind, Bezug nehmen. Diese Ausführungen werden im Übrigen in den Grundzügen auch vom Beklagten selbst nicht in Abrede gestellt. [...] Auch wird danach festgestellt, nur von einem sehr kleinen Teil der Anhänger sei bekannt, dass sie an terroristischen Handlungen beteiligt gewesen seien, und nur einzelne radikalisierte TJ-Angehörige schlössen sich terroristischen Netzwerken an (vgl. BayVGH, a.a.O., Rn. 71 unter Bezugnahme auf eine Ausarbeitung des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Stand Juni 2007).

Die Erkenntnisse der Ermittlungsbehörden aus Anlass einzelner Attentate aus dem Umfeld von TJ-Anhängern, dass sich diese etwa bei Aufenthalten in Pakistan der Infrastruktur der TJ-Zentralen bedient und objektiv eine logistische Hilfe bei der Verwirklichung ihrer militanten Planungen gefunden haben (vgl. etwa die mitgeteilten Erkenntnisse aus dem sogenannten Al Qaida-Verfahren gegen den Angeklagten K. vor dem 6. Strafsenat des OLG Düsseldorf - Bl. 82 GA; ebenso die in der schriftlichen Urteilsbegründung des OLG Düsseldorf in diesem Verfahren vom 5. Dezember 2007 zitierten Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung - Bl. 135 f. GA), belegen keine irgendwie geartete Veranlassung, Förderung oder Befürwortung im Sinne des Unterstützungsbegriffs nach § 54 Nr. 5 AufenthG, sondern lediglich, dass sich die radikalen islamischen Kräfte der genannten Organisation bedient haben. Eine solche Handlungsweise ist seitens der "Vereinigung" nicht auf die Unterstützung der Terroristen "gerichtet" (vgl. zu diesem tatbestandlichen Erfordernis Discher, GK-AufenthG, § 54 AufenthG Rn. 463). Für eine Zurechnung im hier erforderlichen Sinne kann es - anders als das Verwaltungsgericht annehmen will - nicht ausreichen, dass die Terrorverdächtigen die objektiv gegebenen Hilfsmöglichkeiten im Rahmen der TJ-Zentren bloß genutzt haben, weil sich für die TJ als (Groß-)Organisation vor dem Hintergrund ihrer Lehre - die auf Gewaltlosigkeit ausgerichtet ist - und den Verlautbarungen ihrer Führer, aus denen sich Aufrufe zur Militanz nicht erschließen lassen, keine Garantenpflicht gleichsam dahin ableiten lässt, alles dafür zu tun, dass eine solche "Benutzung" ihres Organisationsrahmens nicht stattfindet. Da die Tablighis - wohl abgesehen von einem engeren Führungskern - auf nichtformalen Strukturen beruhen und keine Mitgliederlisten oder ähnliches bestehen, wäre es für sie dem Charakter als religiöser Bewegung entsprechend kaum zumutbar, insoweit - nur um eine Zurechnung des Verhaltens einiger militanter Kräfte zu vermeiden - bestimmte Vorkehrungen zu treffen, um im Einzelfall die logistische Unterstützung wie in den Beispielsfällen zu verhindern. Soweit die Verfassungsschutzbehörden annehmen, durch die gemeinsame ideologische Basis mit militanten Gruppierungen (Anmerkung: gemeint ist wohl der Rückgriff auf traditionelle islamische Überzeugungen) bestehe die Gefahr, dass die weltweiten Strukturen der Bewegung von terroristischen Netzwerken genutzt werden, geht die Initiative nicht von der TJ aus, sondern von eindeutig dem terroristischen Spektrum zuzurechnenden Organisationen, und ist die TJ selbst nur mittelbar betroffen. Der Senat schließt sich insoweit der Würdigung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in seinem Beschluss vom 19. Februar 2009 an (a.a.O., Rn. 80). In diesem Sinne kann nicht davon die Rede sein, die TJ unterstütze als solche den Terrorismus, indem sie es terroristischen Organisationen "ermögliche", aus ihren Reihen ideologisierte "Kämpfer" zu gewinnen, wenn auch die bisherigen Erkenntnisse für das operative Handeln der Sicherheitsbehörden bei einer Beobachtung im Vorfeld einen sinnvollen Ansatz für ein Raster zur Ermittlung von Gefahrenstufen bieten.

Der fehlende Nachweis, dass die TJ als Großorganisation eine Vereinigung nach § 54 Nr. 5 AufenthG ist, lässt sich - anders als der Beklagte in der mündlichen Verhandlung darzulegen versucht hat - nicht dadurch ausgleichen, dass der Kläger einem gefährlichen Kreis innerhalb der TJ-Anhänger deshalb zugerechnet werden soll, weil er anhand weiterer individueller Merkmale - hier der ihm nachgesagten Predigtinhalte - gezeigt haben soll, dass er die Militanz, gegebenenfalls in Form auch terroristischer Anschläge, befürworte. Eine solche Qualifikation würde im Blick auf den Begriff der "Vereinigung" den Tatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG gleichsam auflösen. Vereinigung in diesem Sinne ist nämlich nur ein organisatorischer Zusammenschluss von Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Ziele verfolgen und untereinander derart in Beziehung stehen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlen (vgl. dazu Hailbronner, Ausländerrecht, § 54 AufenthG Rn. 27). Dieses engere Verständnis des Begriffs einer Vereinigung gehört zum Kern des Tatbestandes, weil das Absehen von einer konkreten Gefährlichkeit des einzelnen Betroffenen und die Verlagerung des Ausweisungstatbestandes in das Vorfeld nur dadurch gerechtfertigt sind, dass schon die bloße Unterstützungshandlung geeignet ist, das von der Vereinigung ausgehende latente Gefährdungsrisiko potentiell zu erhöhen (vgl. BVerwGE, 123, 114, 129). Diese Elemente der Gefahrenvorsorge knüpfen indessen an die Gefährlichkeit der besonderen Organisationsform an, die nur bei einer festeren Struktur der Vereinigung gegeben ist, nicht aber bei einer bloßen Kategorisierung anhand gemeinsamer Merkmale - wie hier des Zusammentreffens einer "an sich ungefährlichen" Anhängerschaft zur TJ als solcher und einer im individuellen Fall gegebenen radikalen Gesinnung. Die vom Beklagten behaupteten Predigtinhalte sind deshalb nicht geeignet, die Zugehörigkeit des Klägers zu einer "gefährlichen" Vereinigung zu belegen. Die Feststellung, es gebe gleichsam einen "militanten" Arm der TJ als selbständige Organisation, hat auch der Beklagte nicht getroffen.

Dass der Kläger einer engeren Zelle einer terroristischen Vereinigung in Deutschland oder einer entsprechenden ausländischen Vereinigung als Netzwerkverbindung angehören würde, die aus TJ-Mitgliedern besteht, hat der Beklagte nicht dargetan.

Davon abgesehen setzt die tatbestandliche Erfüllung der Unterstützungshandlung auch voraus, dass der Betreffende - für ihn erkennbar - die innere Organisation und den Zusammenhalt der Organisation fördert, die den Terrorismus unterstützt. Die organisatorische Unterstützung der TJ selbst kann dazu nicht zählen, wenn sie als solche nicht erkennbar eine Organisation zur Unterstützung terroristischer Bestrebungen darstellt. Die dem Kläger unterstellten radikalen Predigtinhalte selbst, auch wenn sie einen Aufruf zum bewaffneten Jihad darstellten, haben wiederum keinen Bezug zu irgendeiner Organisation und sind nicht - zumal der Zuhörerkreis nicht entsprechend zusammengesetzt war - auf die Militarisierung einer bestimmten Personengruppe ausgerichtet.

2. Das Verhalten des Klägers erfüllt auch nicht den Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5a AufenthG. Danach wird ein Ausländer unter anderem in der Regel ausgewiesen, wenn er die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. In beiden Tatbestandsalternativen muss der Ausländer persönlich und konkret eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit des Staates darstellen; eine Zugehörigkeit zu einer verbotenen Vereinigung als solche reicht nicht, soweit sich nicht der Verbotsgrund und die damit bekämpfte Gefahr in der Tätigkeit der Person selbst konkretisiert haben (vgl. BVerwGE 62, 36).

Zwar kann eine solche Gefährdung in der Unterstützung ausländischer Terrorhelfer liegen, wenn solche terroristischen Bestrebungen die Fähigkeit des Staates beeinträchtigen, sich gegen Angriffe und Störungen zur Wehr zu setzen. Indessen lassen sich - wie angeführt - die dem Kläger unterstellten Predigtinhalte nicht in einem organisatorischen Zusammenhang mit der Bestärkung bestimmter terroristischer Organisationen sehen, so dass der angeführte Bereich der Sicherheit des Staates im engeren Sinne nicht als betroffen angesehen werden kann (vgl. zur engen Auslegung des Begriffes BVerwGE 96, 86, 91 f.).

Die freiheitliche demokratische Grundordnung ihrerseits erfasst die grundlegenden Verfassungsprinzipien wie die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit der politischen Parteien (BVerfGE 5, 85, 195). Eine Gefährdung kann nur angenommen werden, wenn die Handlungen einen konkreten Bezug zur Beseitigung dieser Prinzipien beinhalten. Bei Äußerungen im Rahmen einer Religionsgemeinschaft - wie hier bei den Predigten - ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 102, 370, 394; 2. Kammer des 1. Senats, Beschluss vom 2. Oktober 2003, 1 BvR 536/03 = NJW 2004, 47, 48; siehe auch OVG RP, AS 34, 342, 352), dass die bloße Überzeugung, Gottes Gebote gingen dem staatlichen Gesetz vor, keine Eingriffsmaßnahmen rechtfertigen; maßgeblich ist ausschließlich das äußere tatsächliche, nach weltlichen Kriterien zu beurteilende Verhalten der Akteure, nicht aber deren religiöse oder weltanschauliche Überzeugung, die zu bewerten dem Staat aufgrund seiner Verpflichtung zur weltanschaulichen Neutralität verwehrt ist. Aufgrund dessen vermögen zwar sämtliche vom Beklagten zitierten Predigtinhalte des Klägers dessen Zugehörigkeit zu einem orthodoxen Islamverständnis zu belegen, zum Teil weisen sie auch militante fundamentalistische Inhalte auf. Außer den Äußerungen vom 16. Juli 2004 in T. und vom 19. November 2004 in T. verbleiben sie indessen inhaltlich im Rahmen der Darlegung religiöser Inhalte oder bloßer politischer Meinungsäußerungen. [...]

Soweit unterstellt wird, dass der Kläger sich am 16. Juli 2004 in einer Predigt vor ca. 60 Gläubigen in der Moschee in T. dahin geäußert hat, dass "der Jihad im Islam als einzig wahre Bedeutung den Krieg beinhaltet - dies bedeutet ohne Wenn und Aber -. Die Ungläubigen müsse man vernichten, wo man sie antreffe. Alle anderen Auslegungen durch bezahlte Scheichs seien falsch und die Verräter interpretierten den Koran im Sinne der Ungläubigen, um deren Wohlwollen zu erlangen", würde damit, sollte dieses "Programm" in der Bundesrepublik Deutschland umgesetzt werden, die freiheitliche demokratische Grundordnung abgeschafft, weil der Staat auf die unumschränkte Herrschaft des Islam im Sinne einer göttlichen und weltlichen Herrschaft hinauslaufen würde. Die Äußerung kann nach den aufgezeigten Grundsätzen indessen nur dann als konkrete Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung angesehen werden, wenn sie auf einen konkreten Aufruf zum Handeln - insbesondere mit Blick auf entsprechende gewaltbereite Zirkel in der Bundesrepublik Deutschland - hinauslaufen würden. Eine solche Gefährdung könnte zwar naheliegen, wenn man wie der Beklagte annehmen wollte, der Kläger habe Verbindung zu terroristischen Netzwerken und die Predigten dienten gezielt dem Aufruf dieser Kreise zu konkreten Aktivitäten. Ein solcher Zusammenhang lässt sich indessen aus der dem Kläger nachgesagten Zugehörigkeit zu TJ-Kreisen nicht herleiten. Vor allem ist nicht nachgewiesen, dass der Zuhörerkreis in der Moschee in T. geneigt gewesen wäre, für solche konkreten Bestrebungen eine fruchtbaren Boden zu bieten. Nur unter solchen Umständen aber könnten in der Predigt mit dem bezeichneten Inhalt die erforderlichen kämpferisch-aggressiven Elemente liegen, die für eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erforderlich sind (vgl. dazu im Hinblick auf ein Vereinsverbot BVerwG, Urteil vom 13. April 1999, 1 A 3/94 = DVBl. 1999, 1743). [...]

3. Ob die Predigtinhalte vom 16. Juli 2004 und vom 19. November 2004 die Ermessensausweisungstatbestände nach § 55 Abs. 2 Nr. 8a und Nr. 8b AufenthG erfüllen, ist fraglich, kann letztlich aber offen bleiben. Die Bestimmungen sollen nach den gesetzgeberischen Erwägungen eine Grundlage schaffen, sogenannte Hassprediger auszuweisen, und damit geistigen Brandstiftern das Handwerk zu legen, erfordern wegen der schwerwiegenden Folgen der Äußerung indessen in Bezug auf den komplexen Tatbestand belastbare Feststellungen und eine Aufarbeitung der tatbestandlichen Einzelelemente (vgl. BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats, Beschluss vom 13. Juni 2005, 2 BvR 485/05 - juris -).

Zwar kommt im Hinblick auf den wiedergegebenen Predigtinhalt vom 16. Juli 2004 in Betracht, dass im Sinne des Tatbestandes der Nr. 8a terroristische Taten oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit gebilligt werden bzw. dafür geworben wird, sollte der Inhalt der Worte so zu verstehen sein, dass im Hinblick auf die "Vernichtung der Ungläubigen, wo immer man sie antreffe", Pogrome und Vernichtungsmaßnahmen oder terroristische Anschläge gebilligt wurden oder gar dazu aufgerufen wurde. Es ist zu berücksichtigen, dass es sich um bedeutsame völkerstrafrechtliche Verbrechen handelt und terroristische Taten, die gebilligt würden oder für die geworben würde, von vergleichbarem Gewicht sein müssten. Das Verhalten muss jedenfalls geeignet sein, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören. Die Äußerung muss insoweit von den Anwesenden, an die sie gerichtet ist, ernst genommen werden und geeignet sein, Wirksamkeit zu entfalten (vgl. Alexy, HK-AuslR, § 55 AufenthG Rn. 45). Ob dafür angesichts des Teilnehmerkreises von nur etwa 60 Personen in der Moschee, der nicht näher beschrieben ist und der nicht mit militanten Islamisten gleichgesetzt werden kann, ausreichende Anhaltspunkte bestehen, kann offen bleiben.

Vergleichbar liegt dies im Hinblick auf die dem Kläger zugeschriebene Äußerung im Freitagsgebet vom 19. November 2004 in T., wo der Kläger gesagt haben soll, die Steinigung der Frau, wie sie im Islam nach einem Ehebruch vorgesehen sei, sei gerechtfertigt; "schlimmer als nach einem Ehebruch gesteinigt zu werden sei, wenn der Mann nach vielen Jahren erfahren müsse, dass man einen Bastard großgezogen habe." Darin könnten zwar Elemente des Tatbestandes des § 55 Abs. 2 Nr. 8b AufenthG verwirklicht sein, weil zum Hass gegen Teile der Bevölkerung, nämlich Frauen und nichteheliche Kinder, aufgestachelt sein könnte, was gegebenenfalls die Menschenwürde dieser Gruppen angriffe, indem sie verächtlich gemacht würden. Auch insoweit muss die Handlung aber in einer Weise erfolgen, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören.

Selbst wenn die Voraussetzungen des Tatbestandes des § 55 Abs. 2 Nr. 8a und 8b AufenthG noch erfüllt sein sollten, können hier die Ausweisungsschranken nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht überwunden werden. Ein im Gesetz genannter Regelfall eines schwerwiegenden Grundes (§ 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) liegt hier nicht vor. Ob sonstige Gründe nur im Ausnahmefall schwerwiegend sein können, bedarf keiner Entscheidung, weil in general- wie in spezialpräventiver Hinsicht ein Ausweisungsgrund eines Ermessensausweisungstatbestandes nur dann schwerwiegend ist, wenn dem Ausweisungsanlass ein besonderes Gewicht zukommt. Dies ist hier - wie ausgeführt - bei der möglichen Verwirklichung der Tatbestände der § 55 Abs. 2 Nr. 8a und 8b schon wegen des äußeren Zusammenhangs und der kaum tauglichen Wirkung angesichts des Zuhörerkreises mit Blick auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht der Fall. In diesem Zusammenhang würdigt der Senat die Gefahrenlage anders als der angegriffene Bescheid, schon weil nicht davon auszugehen ist, dass solche Äußerungen einen engeren Zusammenhang mit Gruppierungen aufweisen, die geneigt sind, terroristische Bestrebungen zu unterstützen. Im Hinblick auf die Teilnehmer an den religiösen Veranstaltungen in T. hat die Behörde keinerlei spezifische Erkenntnisse in dieser Hinsicht dargetan. Auf die ansonsten dem Kläger vorgeworfenen Zusammenhänge mit einer Tätigkeit für die TJ kann aus den oben herausgestellten Gründen nicht verstärkend abgestellt werden.

Schließlich sind die Ermessenserwägungen der Behörde in diesem Zusammenhang schon deshalb defizitär und fehlerhaft, weil bei der Abwägung der öffentlichen Interessen mit den persönlichen Belangen des Klägers deren größeres Gewicht darin auszumachen ist, dass die familiären Kontakte des Klägers mit seinen in Deutschland seit ihrer Geburt lebenden minderjährigen Kindern, wie sie durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützt sind, auch nach der Scheidung von seiner Ehefrau die soeben gekennzeichneten öffentlichen Interessen überwiegen. Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass diese beiden Äußerungen angesichts des vergangenen Zeitraums von etwa fünf Jahren erheblich verblasst sind, die Ermessenserwägungen der Behörde mit Blick auf die Gefahrenlage sich indessen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung beziehen müssen. Nach den Erkenntnissen des Senats in der mündlichen Verhandlung werden die familiären Beziehungen des Klägers zu den Kindern auch nach der Scheidung von der Ehefrau regelmäßig "gelebt", etwa indem der Kläger die Kinder alle zwei Wochen abholt und bei sich an Wochenenden betreut, im Übrigen auch sonst bei Gelegenheit "einspringt". Dem Kläger wird im Übrigen auch durch die im Rahmen des familiengerichtlichen Verfahrens eingeholten Begutachtungen ein gutes Verhältnis zu den Kindern bescheinigt, selbst wenn im Einzelfall auch mit diesen Auseinandersetzungen stattgefunden haben. Das Verfahren wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil seiner Kinder hat lediglich mit einer Verwarnung geendet. Den Kindern, die in der Bundesrepublik Deutschland geboren und aufgewachsen sind, ist nicht zumutbar die familiären Beziehungen etwa in Ägypten fortzusetzen. Andererseits können telefonische und briefliche Kontakte das in Deutschland bestehende familiäre Zusammenleben selbstverständlich bei weitem nicht ersetzen.

Der Beklagte hat im Übrigen die öffentlichen Interessen an der Ausweisung mit einem Gewicht eingestellt, das ihnen nicht zukommt, weil er nämlich in diesem Zusammenhang davon ausgegangen ist, der Kläger habe zudem die Regelausweisungstatbestände des § 54 Nr. 5 und 5a AufenthG erfüllt. Da dies indessen lediglich wegen der weniger schwerwiegenden Ermessensausweisungstatbestände des § 55 Abs. 2 Nr. 8a und 8b der Fall sein könnte, ist die Ausweisung dem Kläger auch wegen seiner langen Dauer des Aufenthalts, seines Alters und der damit verbundenen Aufgabe seiner familiären Verbindungen mit Rücksicht auf seine Rechte aus Art. 8 EMRK nicht zumutbar. Diese Gewichtung wird auch nicht durch den Einwand der Behörde in Frage gestellt, der Kläger habe sich aus verfahrenstaktischen Gründen einer weiteren Betätigung, wie diese bis zum Jahre 2004 behauptet wird, enthalten. Für eine entsprechende Mäßigung des Verhaltens hätte er aufgrund des Vorgehens der Behörde erst ab dem Jahre 2006 Veranlassung gehabt, weil erst zu diesem Zeitpunkt eine Anhörung im Blick auf die Absicht der Ausweisung stattfand. Im Übrigen ist der Kläger zuvor schon im interreligiösen Dialog öffentlich in einer Weise in Erscheinung getreten, die nicht zu dem Bild des Hasspredigers passt. [...]