OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 08.10.2009 - 11 LA 189/09 - asyl.net: M16269
https://www.asyl.net/rsdb/M16269
Leitsatz:

§ 55 Abs. 3 AsylVfG ist auch auf die Fiktion eines rechtmäßigen Aufenthalts nach § 81 Abs. 3 AufenthG (§ 69 Abs. 3 AuslG) anwendbar. Für das fiktive Aufenthaltsrecht ist die Zeit der Aufenthaltsgestattung daher nur nach unanfechtbarer Anerkennung als Asylberechtigter anrechnungsfähig.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Aufenthaltserlaubnis, eigenständiges Aufenthaltsrecht, rechtmäßiger Aufenthalt, Anrechnung, Fiktionswirkung, Fortgeltungsfiktion, Asylverfahren, Ausweisung,
Normen: AsylVfG § 55 Abs. 3, AufenthG § 81 Abs. 3, AufenthG § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, AufenthG § 81 Abs. 4, AsylVfG § 43 Abs. 2, AsylVfG § 55 Abs. 2, AufenthG § 11 Abs. 1
Auszüge:

[...]

1. Die dagegen vom Kläger geltend gemachten Gründe sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO aufzuzeigen.

Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG wird im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens zwei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat und der Ausländer bis dahin im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis war. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, bezieht sich der Begriff "rechtmäßig" auf den Aufenthalt beider Ehegatten in Deutschland und nicht auf die Ehe, deren Rechtsgültigkeit vorausgesetzt wird. Der Aufenthalt muss daher während der Mindestbestandszeit der Ehe durch eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Erlaubnis- oder Fortgeltungsfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 4 AufenthG (bzw. bis zum 31.12.2004 einer Fiktion nach § 69 Abs. 2 oder Abs. 3 AuslG) gesichert gewesen sein (vgl. Marx, in: GK-AufenthG; Stand: Juni 2009, § 31 Rn. 86, 88 m.w.N.).

Soweit der Kläger geltend gemacht hat, zu den Zeiten des rechtmäßigen Aufenthalts seien wegen der durch seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ausgelösten Fiktionswirkung bereits die Zeiten ab Antragstellung am 8. Dezember 2004 zu zählen, so dass, da die Trennung von seiner Ehefrau am 13. Dezember 2006 erfolgt sei, von einem zweijährigen rechtmäßigen Aufenthalt auszugehen sei, führt dies nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Antrag des Klägers vom 8. Dezember 2004, wie das Verwaltungsgericht meint, die fiktiven Wirkungen nach den zum damaligen Zeitpunkt geltenden Regelungen des § 69 Abs. 2 und Abs. 3 AuslG schon gar nicht auslösen konnte, weil der Kläger bis zur Rücknahme seiner Asylklage am 4. Januar 2005 die Rechtsstellung eines Asylbewerbers innehatte. Dafür, dass ein während des laufenden Asylverfahrens gestellter erstmaliger Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 4 AufenthG bzw. nach § 69 Abs. 2 oder Abs. 3 AuslG nicht auslöst, könnten Sinn und Zweck des § 55 Abs. 2 AsylVfG und der systematische Zusammenhang mit § 43 Abs. 2 AsylVfG sprechen. Nach § 55 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG erlöschen mit der Stellung eines Asylantrages eine Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels und ein Aufenthaltstitel mit einer Gesamtgeltungsdauer bis zu sechs Monaten sowie die Fiktionswirkungen nach § 81 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG. § 81 Abs. 4 AufenthG bleibt unberührt, wenn der Ausländer einen Aufenthaltstitel mit einer Gesamtgeltungsdauer von mehr als sechs Monaten besessen und dessen Verlängerung beantragt hat (§ 55 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG). Wenn der Ausländer erst nach Stellung des Asylantrages erstmalig eine Aufenthaltserlaubnis beantragt, könnte aus § 55 Abs. 2 AsylVfG geschlossen werden, dass dann die mit einer aufenthaltsrechtlichen Antragstellung verbundenen Fiktionswirkungen gleichfalls nicht eintreten sollen. Dies ergibt sich auch aus dem Zusammenhang mit § 43 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG, wonach Ausländern nach erfolglosem Asylverfahren für die Dauer eines auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels gerichteten Verfahrens kein fiktives Bleiberecht nach § 81 Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG zusteht. Mit diesen Regelungen soll grundsätzlich verhindert werden, dass erfolglose Asylbewerber nach Abschluss ihres Asylverfahrens ihren Aufenthalt in Deutschland durch ein Verfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels verlängern. Vor diesem Hintergrund wäre es nicht verständlich, wenn lediglich im Zeitpunkt der Asylantragstellung bestehende Fiktionswirkungen erlöschen würden, einem danach gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aber eine Fiktionswirkung zukäme (Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand: Juni 2009, § 43 Rn. 11; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 17.3.2009 - 18 E 311/09 -; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 26.11.2007 - 9 L 1115/07 -; a.A. Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 81 Rn. 26). Diese Frage kann im vorliegenden Fall jedoch offen bleiben, weil die Aufenthaltsdauer während des Asylverfahrens bereits aus anderen Gründen nicht auf die Ehebestandszeit angerechnet werden kann.

Nach § 55 Abs. 3 AsylVfG wird, soweit der Erwerb oder die Ausübung eines Rechts oder einer Begünstigung von der Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet abhängig ist, die Zeit eines Aufenthalts nach § 55 Abs. 1 AsylVfG nur angerechnet, wenn der Ausländer unanfechtbar als Asylberechtigter anerkannt oder ihm unanfechtbar die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist. Diese Regelung erfasst alle Sachbereiche, bei denen es auf eine bestimmte Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet ankommt und damit auch § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Der Kläger war während der Durchführung seines Asylverfahrens bis zur Rücknahme der Asylklage am 4. Januar 2005 (lediglich) im Besitz einer Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylVfG. Eine asylverfahrensunabhängige Aufenthaltserlaubnis besaß er in der fraglichen Zeit noch nicht. Da er nicht als Asylberechtigter anerkannt worden ist, kann die Aufenthaltsdauer während des Asylverfahrens nicht im Rahmen des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG Berücksichtigung finden. Dies gilt gleichermaßen für den Aufenthalt ab Stellung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 8. Dezember 2004. Da § 55 Abs. 3 AsylVfG auch die Ausübung von Begünstigungen erfasst, für die es auf eine bestimmte Dauer des Aufenthalts ankommt, ist die Vorschrift auf die Fiktion eines rechtmäßigen Aufenthalts nach § 69 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AuslG ebenfalls anwendbar. Auch für das fiktive Aufenthaltsrecht nach § 69 Abs. 3 AuslG bzw. § 81 Abs. 3 AufenthG ist die Zeit der Aufenthaltsgestattung daher nur nach unanfechtbarer Anerkennung als Asylberechtigter anrechnungsfähig (Hailbronner, a.a.O., § 55 AsylVfG Rn. 38, § 81 AufenthG Rn. 12; Renner, a.a.O., § 55 AsylVfG Rn. 18; OVG Sachsen, Beschl. v. 18.11.2003 - 3 BS 430/02 -, AuAS 2004, 108).

Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht seine Auffassung, dass dem Kläger kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zustehe, selbständig tragend auch darauf gestützt, dass dem der Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 AufenthG entgegen stehe, wonach einem ausgewiesenen Ausländer auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach dem AufenthG kein Aufenthaltstitel gewährt wird. Soweit der Kläger geltend gemacht hat, es sei nicht zutreffend, dass ein Ausweisungsgrund vorliege, weil bei Erlass des angefochtenen Bescheides das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen gewesen sei und das Verwaltungsgericht keine eigenen Feststellungen getroffen habe, führt dies nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung. [...]