LG Wiesbaden

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Zitieren als:
LG Wiesbaden, Beschluss vom 06.02.2002 - 4 T 707/01 - asyl.net: M1627
https://www.asyl.net/rsdb/M1627
Leitsatz:

Die Übermittlung personenbezogener Daten nach § 26 Abs. 1 S. 1 HSOG ist rechtswidrig, wenn lediglich Vermutungen bzgl. einer drohenden Gefahr vorliegen.

(Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Ausländer, Sudanesen, Übermittlung personenbezogener Daten, Rasterfahndung, Terrorismusbekämpfung, Informationelle Selbstbestimmung, Gefahrenabwehr, Gegenwärtige Gefahr, Auslegung
Normen: HSOG § 26 Abs. 1 S. 1
Auszüge:

Die Beschwerde ist auch begründet. Die gesetzlichen Voraussetzungen der von dem Beteiligten zu 1) beantragten Maßnahmen sind nicht erfüllt. Nach § 26 Abs. 1 S. 1 HSOG können die Polizeibehörden von öffentlichen Stellen oder Stellen ausserhalb des öffentlichen Bereichs zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit eine Person die Übermittlung von personenbezogenen Daten bestimmter Personengruppen aus Dateien zum Zwecke des Abgleichs mit anderen Datenbeständen verlangen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dies zur Abwehr der Gefahr erforderlich ist. Damit hat das Gesetz, weil bei der Rasterfahndung eine Vielzahl von Unbeteiligten betroffen wird, diese nur unter engen tatbestandlichen Voraussetzungen zugelassen (Rasch, Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG), 5. Aufl., § 26 Anm. 1.2; Hornmann, Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG), § 26 RZ 5; Bernet/Groß, Polizeirecht in Hessen, 56. Erg.Lfg., § 26 RZ 1). Zu der Strenge der Abwendungsvoraussetzungen gehört, dass das Gesetz eine gegenwärtige Gefahr für die genannten Schutzgüter verlangt. Bei diesem vom Gesetz verwendeten Gefahrenbegriff handelt es sich um die höchste Steigerungsform des Gefahrenbegriffs. Bei einer gegenwärtigen Gefahr muss die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen haben oder die Einwirkung muss unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorstehen. (Meixner, Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, HSOG, 4. Aufl., § 1 RZ 14). Zur Verdeutlichung sei auf das Fallbeispiel bei Meixner, a. a. O., § 26 RZ 4 verwiesen, in dem der Verdacht besteht, dass Angehörige einer verdeckt arbeitenden Organisation mehrere Personen gekidnappt haben und in der Stadt X als Geiseln gefangen halten, um den Schuldenerlass für ein Land der Dritten Welt zu erpressen.

Für das Bestehen einer so verstandenen gegenwärtigen Gefahr gibt es vorliegend keine tatsächlichen Anhaltspunkte. Die Antragsbegründung ist auf Vermutungen gestützt. Trotz monatelanger intensiver Fahndungen ist der Antragsteller mit seinem Vorbringen über das Stadium von Mutmaßungen nicht hinausgekommen. Diese aber reichen im Verfahren des § 26 Abs. 1 HSOG nicht aus (Hornmann, a. a. O., RZ 8). Auch die erkennende Kammer muss den Antragsteller, ebenso wie das LG Berlin in seinem Beschluss vom 15. 01. 2002 - 84 T 278/01 - auf die Einschätzung der Bundesregierung in deren einschlägigen Presseerklärungen verweisen, wonach keine Anzeichen dafür ersichtlich sind, dass die Verübung terroristischer Anschläge in der Bundesrepublik Deutschland bevorsteht. Bei dieser Einschätzung ist die Bundesregierung auch nach der Entscheidung des Bundestags über die Bereitstellung von Militärkräften für einen Einsatz in Afghanistan geblieben. Eine Gefahr, die zum sofortigen Einschreiten nötigt, um konkret drohende Schäden im Sinne des § 26 Abs. 1 HSOG abzuwenden, besteht danach nicht.