LG Berlin

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Zitieren als:
LG Berlin, Beschluss vom 15.01.2002 - 84 T 278/01 u.a. - asyl.net: M1629
https://www.asyl.net/rsdb/M1629
Leitsatz:

Die Einleitung einer Rasterfahndung ist jedenfalls nicht schon deshalb gerechtfertigt, weil sich nicht definitiv ausschließen läßt, daß sich in Deutschland sogenannte Schläfer aufhalten. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: D (A), Ausländer, Studenten, Übermittlung personenbezogener Daten, Rasterfahndung, Terrorismusbekämpfung, Informationelle Selbstbestimmung, Gefahrenabwehr, Gegenwärtige Gefahr, Auslegung, Beschwerdebefugnis
Normen: ASOG § 47 Abs. 1 S. 1
Auszüge:

Die Beschwerden der Beteiligten zu 1) bis 3) und 5) sind auch begründet. Die gesetzlichen Voraussetzungen der beantragten Maßnahmen sind nicht erfüllt. Nach § 47 Abs. 1 Satz 1

ASOG kann die Polizei die Übermittlung personenbezogener Daten zum Zweck des Abgleichs mit anderen Datenbeständen nur verlangen, wenn sie eine gegenwärtige Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Leib oder Freiheit einer Person abzuwehren hat. Eine gegenwärtige Gefahr ist jedoch weder vom Antragsteller dargelegt noch sonst ersichtlich.

Eine Gefahr ist nur dann gegenwärtig, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses auf das betroffene Schutzgut entweder bereits begonnen hat oder wenn diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Es kann dahinstehen, ob sich der Begriff der gegenwärtigen Gefahr mit dem in den Notwehrvorschriften der §§ 32 Abs. 2 StGB, 227 BGB verwendeten Begriff des gegenwärtigen Angriffs deckt. Selbst wenn es nicht wie in diesen Vorschriften allein auf die zeitliche Nähe des schädigenden Ereignisses ankommen soll, wäre für eine gegenwärtige Gefahr mindestens zu fordern, daß ein sofortiges Einschreiten der Polizei unerläßlich erscheint, um den Schaden für das Schutzgut effektiv abwenden zu können (Berg/Knape/Kiworr, ASOG BIn, 8. Aufl., § 17 Teil 2 IV B Id). Dafür bestehen hier keine ausreichenden Anhaltspunkte.

Die Bundesregierung hat in ihren Presseerklärungen seit Ende September 2001 stets darauf hingewiesen, es seien keine Anzeichen dafür ersichtlich, daß die Verübung terroristischer Gewalttaten in Deutschland bevorsteht. Der Antragsteller hat trotz entsprechender Aufforderung durch das Beschwerdegericht keine tragfähigen Gründe dafür benennen können, dass gleichwohl eine gegenwärtige Gefahr im Sinne des § 47 Abs. 1 ASOG anzunehmen sei. Er hat insbesondere nicht erklärt, daß die Einschätzung der Bundesregierung wesentliche Gesichtspunkte verschweige oder sonst unzutreffend sei. Die Einleitung einer Rasterfahndung ist jedenfalls nicht schon deshalb gerechtfertigt, weil sich nicht definitiv ausschließen läßt, daß sich in Deutschland sogenannte Schläfer aufhalten. Nicht die bloße Möglichkeit, daß es zu terroristischem Handeln kommen könnte, sondern nur eine Gefahr, die zu sofortigem Einschreiten nötigt, um konkret drohende Schäden zu vermeiden, ist nach § 47 ASOG erheblich. Da der Datenabgleich stets den Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht polizeilich nicht Verantwortlicher einschließt, will der Gesetzgeber der Polizei den Zugriff auf fremde Datenbestände nicht ohne dringenden Anlaß erlauben. Solange keine Anhaltspunkte für fortgeschrittene Planungen konkreter Anschläge erkennbar sind, könnte eine gegenwärtige Gefahr für die in § 47 ASOG genannten Schutzgüter allenfalls dann bestehen, wenn sich bereits ein schlagkräftiges terroristisches Netzwerk gebildet hätte, das jederzeit bereit und in der Lage wäre, auf entsprechenden Befehl in kurzer Frist Attentate verüben. Für die Existenz eines solchen Netzwerks spricht bisher aber nichts. Die Berufung auf nicht näher überprüfte Angaben geheimdienstlicher Quellen genügt dazu nicht. Das eigene Vorbringen des Antragstellers geht insoweit trotz monatelanger intensiver Fahndung über Mutmaßungen nicht hinaus. Offenkundig ist nicht einmal die in Berlin vermutete Zelle der Al Qaida bisher Ziel präventiv-polizeilichen HandeIns gewesen.

Für eine Anordnung der Kostenerstattung nach der an sich zwingenden Vorschrift des § 13 a Abs. 1 S. 2 FGG besteht kein Anlass, weil nicht ersichtlich ist, dass dem Antragsteller durch die erfolglosen Beschwerden der Beteiligten erstattungsfähige Kosten entstanden wären. Eine Kostenerstattung nach § 13 a Abs. 1 S. 1 FGG findet nicht statt, weil die dazu erforderlichen besonderen Billigkeitsgründe nicht vorliegen.