VG Aachen

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Zitieren als:
VG Aachen, Urteil vom 08.10.2009 - 2 K 465/05.A - asyl.net: M16290
https://www.asyl.net/rsdb/M16290
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung wegen SDF-Mitgliedschaft, da der Kläger durch seine Aktivitäten für die Partei in den Blick der Regierungs- und staatlichen Sicherheitskräfte Kameruns getreten ist. Glaubwürdigkeit des Klägers; die Auskunft des Auswärtigen Amtes ist nicht nachvollziehbar, gefolgt wird vielmehr gegenteiligen Auskünften der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und Amnesty Internationals.

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Kamerun, SDF, Auswärtiges Amt, Auskünfte
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, AsylVfG § 3 Abs. 4, AsylVfG § 3 Abs. 1
Auszüge:

[...] Das Gericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger Kamerun auf der Flucht vor bereits erlittener bzw. unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat. Dabei geht die Kammer im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

Der Kläger ist in seinem Heimatland für die SDF, in der Ortsgruppe U., u.a. als juristischer Berater und Redner politisch aktiv gewesen und hervorgetreten. Wegen dieser Tätigkeit für die SDF wurde er (mindestens) dreimal festgenommen. Das erste Mal wurde er im Januar 2001 wegen der Teilnahme an einer Demonstration der SDF anlässlich des Gipfeltreffens Frankreich/Afrika festgenommen und nach einigen Tagen wieder freigelassen. Eine zweite Festnahme erfolgte im Juni 2002 im Zusammenhang mit den Kommunalwahlen durch den traditionellen König des Dorfes ... und Präsidenten der örtlichen RPCD. Zu den Präsidentschaftswahlen vom 11. Oktober 2004 ist der Kläger als Wahlhelfer von seiner Partei entsandt worden. Er erhielt im September und Oktober 2004 Vorladungen der Gendarmerie - zuletzt für den 14. Oktober 2004 -, denen er nicht gefolgt ist. Bereits während der Wahl erfuhr der Kläger im Wahlbüro von seinen Angestellten, dass seine Plantage in Brand gesetzt und seine Kaffeefabrik sabotiert worden war. Der Kläger ist am 14. Oktober 2004 aus U. geflohen und am 16. Oktober 2004 auf seiner Flucht in den Tschad bei der Grenzkontrolle festgenommen. Er wurde inhaftiert, nach Z. überführt und während der Haft körperlich misshandelt. Während eines Krankenhausaufenthaltes ist ihm die Flucht gelungen.

Dieser Sachverhalt steht zur Überzeugung des Gerichts auf Grund des Akteninhaltes, der Anhörung des Klägers und der eingeholten Auskünfte der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und von amnesty international fest. Ausschlaggebend für die Überzeugungsbildung ist zunächst der persönliche Eindruck, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung von dem Kläger und seinem Asylvorbringen gewonnen hat. Der Kläger hat bei seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung sein Verfolgungsschicksal anschaulich, nachvollziehbar und im Kern widerspruchsfrei vorgetragen. Er konnte seine bereits vor dem Bundesamt ausführlich dargelegten Verfolgungsgründe in der mündlichen Verhandlung nicht nur erneut umfassend, zusammenhängend und überzeugend vortragen, sondern auch auf Nachfrage des Gerichts nachvollziehbar und ohne Steigerungen vertiefen und erläutern. [...]

Die Angaben des Klägers werden im Wesentlichen durch die von dem Gericht eingeholte Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 1. September 2008 bestätigt. Danach ist der Kläger in U. als aktives Mitglied der SDF - und zwar als Redner und juristischer Berater - bekannt und eine Zusammenarbeit mit den von dem Kläger genannten Personen konnte in großen Teilen bestätigt werden. Ebenfalls wurden die vorgelegten Unterlagen des Klägers (Mitgliedsausweise und "Fiche d'accrédetation") als echt und die Vorladungen als ordnungsgemäß gegen den Kläger ausgestellt angesehen und zwar wegen "Gewaltanwendung" und "Beteiligung bei subversiven Aktivitäten". Auch wenn restliche Zweifel im Hinblick auf die Aushändigung von Vorladungen/Haftbefehlen, die Fälschung und den Verkauf von Dokumenten als verbreitetes Phänomen in Kamerun nicht gänzlich ausgeräumt werden können, so weist jedoch die Schweizerische Flüchtlingshilfe darauf hin, dass die von ihr eingesetzte Kontaktperson zuverlässige Informationen hat, dass der Kläger immer noch in Kamerun gesucht wird. Die Kontaktperson hat danach diese Information von einem Grenzpolizisten erhalten, der bestätigte, dass der Name des Klägers noch auf einer sog. "schwarzen Liste", in der Personen verzeichnet sind, die von der Regierung gesucht werden, steht.

Demgegenüber ist die von dem Gericht zuerst eingeholte Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 6. Februar 2008, nach der die von dem Kläger gemachten Angaben nicht bestätigt werden konnten und die vorgelegten Unterlagen des Klägers im Wesentlichen als gefälscht bzw. nicht authentisch angesehen werden, nicht geeignet, die von dem Gericht gewonnene Überzeugung des Gerichts von der Tätigkeit des Klägers für die SDF und seiner Verfolgung zu erschüttern. Der Kläger hat kurze Zeit nach Erhalt der Auskunft des Auswärtigen Amtes u.a. mit den Vorsitzenden der SDF in U. Kontakt aufgenommen und eine Stellungnahme des Vorsitzenden und zweier Sekretäre der SDF in U. vorgelegt, wonach diese u.a. erklären, das niemand sie zur Person des Klägers befragt habe und das Vorbringen des Klägers im Wesentlichen bestätigen. Entgegen der Angaben des Auswärtigen Amtes wurde auch darauf hingewiesen, dass der von dem Kläger genannte ... weiterhin in der SDF als Sekretär tätig sei. Dies wurde ebenfalls in der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe bestätigt. Soweit das Auswärtige Amt nach Vorlage der von dem Kläger eingereichten Schreiben in einer weiteren Stellungnahme vom 20. August 2008 an seiner bisherigen Auskunft festhält und auf die Befragung der genannten Personen durch eine Vertrauensperson, die Identität der von dem Kläger und der Vertrauensperson genannten Telefonnummer sowie auf abweichende Unterschriften des Vorsitzenden der SDF hinweist, wird die durch die Angaben des Klägers und die Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe gewonnene Überzeugung des Gerichts nicht aufgehoben. Zunächst kann die von dem Auswärtigen Amt dargelegte Abweichung in den Unterschriften des Vorsitzenden der SDF nicht nachvollzogen werden. Ferner hat das Auswärtige Amt die vorgelegten Unterlagen nicht zum Anlass genommen, ihre Auskunftsperson erneut um eine konkrete Stellungnahme zu bitten. Für die Überzeugungsbildung des Gerichts ist insoweit ferner von Gewicht gewesen, dass die Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe Informationen über die in Anspruch genommene Auskunftsperson enthält und die Auskunft insgesamt aussagekräftiger als die Auskunft des Auswärtigen Amtes ist. Gegen die Aussagekraft der Auskunft des Auswärtigen Amtes spricht u.a. etwa der Umstand, dass die von dem Gericht gestellte Frage nach der von dem Kläger genannten Kirche in einem Stadtviertel von Z. verneint wird bzw. nicht bestätigt werden konnte, während sowohl von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe als auch von amnesty international deren Existenz bzw. ursprüngliche Existenz nach zwischenzeitlichem Abriss bestätigt werden konnte.

Schließlich steht der von dem Gericht gewonnenen Überzeugung nicht entgegen, dass die von dem Kläger vorgetragenen Fluchtumstände aus dem Militärkrankenhaus nicht eindeutig bestätigt werden konnten. Insoweit lässt sich allerdings den Auskünften der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und von amnesty international entnehmen, dass eine derartige Flucht wegen der weitverbreiteten Bestechlichkeit in Kamerun denkbar ist und Fälle, in denen Gefangene aus Krankenhäusern bzw. Militärkrankenhäusern geflohen sind - etwa durch Verkleiden -, bekannt sind, wie etwa die Flucht des Gefangenen ... im Jahr 2003. Wegen des von dem Kläger jedoch bereits in der mündlichen Verhandlung gewonnen glaubwürdigen Eindrucks in Bezug auf seine politische Tätigkeit für die SDF und der deswegen erfolgten Festnahmen misst das Gericht den insoweit verbliebenen Ungereimtheiten kein entscheidendes Gewicht zu.

Nach den vorstehenden Ausführungen geht das Gericht davon aus, dass der Kläger bereits vor seiner Ausreise Opfer von politischen Verfolgungsmaßnahmen war, weil diese ihn wegen seiner Zugehörigkeit und Aktivitäten für die Oppositionspartei der SDF trafen und an seine politische Überzeugung anknüpften. Der Kläger ist bei einer Rückkehr in seine Heimat ferner nicht vor einer Wiederholung der politischen Verfolgung hinreichend sicher.

Zwar ist nach der Auskunftslage nicht davon auszugehen, dass ein kamerunischer Staatsangehöriger allein wegen seiner Mitgliedschaft bzw. Zugehörigkeit zur SDF in Kamerun mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung befürchten müsste. Die SDF (Social Democratic Front) ist seit ihrer Gründung (1990) die größte Oppositionspartei in Kamerun. Sie ist eine legale Partei, die politisch aktiv ist und stellte bzw. stellt in einigen Orten teilweise Bürgermeister. Die SDF verfügt nach den letzten Wahlen zur Nationalversammlung im Jahr 2007 noch über 16 von 180 Sitzen. In der Vergangenheit kam es zwar im Zusammenhang mit den Wahlen und dem von der Opposition erhobenen Vorwurf der Manipulation zu Gunsten der Regierungspartei (RDPC) in zahlreichen Fällen zu Demonstrationen und gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Kräften der Regierung und der Opposition, wobei auch Mitglieder der SDF verhaftet wurden. Von einer gezielten Verfolgung der politischen Opposition bzw. von Parteimitgliedern wegen der Zugehörigkeit zur SDF ist jedoch nach der Erkenntnislage jedoch nicht auszugehen, vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 10. April 2002 - 11 A 1226/00.A -, m.w.NW., juris; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. Februar 2000 - 12 A 11834/99 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Oktober 2002 - A 9 S 1038/99 -,VBlBW 2003,171 und juris; VG Oldenburg, Urteil vom 20. April 2000 - 2 A 1047/99 -, Kurztext in juris; sowie AA, Lagebericht Kamerun vom 23. Januar 2009, S. 6-8, Auskünfte an VG Hamburg vom 5. Mai 2002, an VG Oldenburg vom 28. September 2002 und an VG Frankfurt/Oder vom 26. Mai 2003; Bundesamt, Kamerun - 6. Parteien und Organisationen, November 2004; SFH, Auskunft an das VG Aachen vom 1. September 2008 und Kamerun, Update Oktober 2006.

Demgegenüber kann jedoch die Feststellung, dass SDF-Mitglieder, die wie der Kläger durch ihre Aktivitäten für die Partei in das Augenmerk der Regierungs- und staatlichen Sicherheitskräfte getreten sind, vor einer (erneuten) politisch motivierten Verfolgung in Kamerun hinreichend sicher wären, nicht getroffen werden. Nach der Erkenntnislage gab und gibt es immer wieder Übergriffe auf Veranstaltungen und Mitglieder von Oppositionsparteien - auch der SDF - bzw. Fälle, in denen Mitglieder der SDF oder anderer Oppositionsparteien von den Sicherheitsbehörden oder Vertreter der Regierung festgenommen, vorübergehend in Gewahrsam genommen, belästigt oder bedroht werden. Insbesondere jüngere Mitglieder der SDF sind häufig Belästigungen und Einschüchterungen ausgesetzt und werden teilweise daran gehindert, Geschäfte zu eröffnen oder überhaupt Arbeit zu finden. Schutz seitens der kamerunischen Behörden gibt es für solche betroffenen SDF-Mitglieder nicht, weil gerade diese für die Bedrohungen und Einschüchterungen verantwortlich sind (vgl. OVG NRW, Urteil vom 10. April 2002 - 11 A 1226/00.A -, m.w.NW. juris; SFH, Auskunft an das VG Aachen vom 1. September 2008 und Kamerun, Update Oktober 2006; ai, Report 2009, S. 236 - Kamerun sowie Jahresbericht 2000, S. 285, Auskunft vom 30. Dezember 1999 an das VG Hannover; AA, Lagebericht Kamerun vom 23. Januar 2009, S. 6-8; IAK, Auskunft an VG Stuttgart vom 28. August 2006, an VG Gelsenkirchen vom 19. März 2002, an VG Aachen vom 26. Mai 2000 und Jahrbuch 2001 S. 188 ff.).

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass nach er eingeholten Auskunft des Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 1. September 2008 der Kläger in Kamerun immer noch gesucht wird und nach Angaben der Kontaktperson der Name des Klägers noch auf einer sog. "schwarzen Liste" steht.

Dem Kläger stand und steht insoweit auch keine innerstaatliche Fluchtalternative, § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG, zur Verfügung. Eine hinreichende Sicherheit vor erneuter Verfolgung in anderen Landesteilen Kameruns ist nach den vorstehenden Ausführungen und nach der Erkenntnislage nicht gegeben. Nach der eingeholten Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe sei es im Übrigen einem von Bedrohungen und Einschüchterungen betroffenen Parteimitglied auch nicht möglich, sich der Gefährdung durch einen Wegzug in eine andere Gegend des Landes zu entziehen. [...]