VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Beschluss vom 07.10.2009 - 1 L 2543/09.F - asyl.net: M16304
https://www.asyl.net/rsdb/M16304
Leitsatz:

Keine ordnungsgemäße Beschäftigung im Sinne von Art. 6 ARB 1/80, da die Klägerin die Trennung von ihrem Ehemann verschwiegen hat (Rechtsmissbrauch).

Schlagwörter: vorläufiger Rechtsschutz, Assoziationsratsbeschluss EWG/Türkei, Arbeitserlaubnis, ordnungsgemäße Beschäftigung, Aufenthaltserlaubnis, Rechtsmissbrauch, Treu und Glauben
Normen: VwGO § 80 Abs. 5, AufenthG § 81 Abs. 4, ARB 1/80 Art. 6, AufenthG § 4 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 4 Abs. 5 S. 2
Auszüge:

[...]

Es besteht kein Anspruch der Antragstellerin auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis bzw. Neuerteilung aus Art. 6 des Assoziationsratsbeschlusses 1/80 (ARB 1/80).

Nach Art. 6 Abs. 1, erster Spiegelstrich hat ein türkischer Arbeitnehmer, der den regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates angehört, nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung, Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften hat Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften unmittelbare Wirkung und begründet subjektive Rechte des türkischen Arbeitnehmers, der die Voraussetzung der Vorschrift erfüllt. Aus dem Anspruch auf Verlängerung der Arbeitserlaubnis folgt zugleich ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, sofern nach dem Recht des Mitgliedstaates die Aufenthaltserlaubnis Voraussetzung für den weiteren Aufenthalt in dem Mitgliedstaat zum Zwecke der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass der türkische Arbeitnehmer sich auf Beschäftigungszeiten berufen kann, die ordnungsgemäß sind. Nur wenn diese Voraussetzungen vorliegt, besteht im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 1 AufenthG ein Aufenthaltsrecht, und nach § 4 Abs. 5 S. 2 AufenthG ein Anspruch auf Ausstellung einer (deklaratorischen) Aufenthaltserlaubnis. Die Ordnungsmäßigkeit einer Beschäftigung setzt eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem deutschen Arbeitsrecht und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrecht voraus. Eine derartige Position ist vorliegend nicht gegeben.

Zwar verfügte die Antragstellerin während ihrer Beschäftigung ab dem 01.11.2007 (als Haushälterin und Kinderfrau) bis zum 22.05.2009 über eine Aufenthaltserlaubnis, so dass ihr Aufenthalt während dieser Zeit nach Maßgabe des deutschen Ausländerrechts rechtmäßig war. Nach der ständigen Rechtsprechung zahlreicher Obergerichte wie auch des Bundesverwaltungsgerichts ist der Begriff der Ordnungsmäßigkeit im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 jedoch nicht mit dem Begriff der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts im Sinne des deutschen Ausländerrechts identisch. Während die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts allein durch die formale Voraussetzung des Vorhandenseins einer Aufenthaltserlaubnis vermittelt wird, kommt es für die Ordnungsgemäßheit der Beschäftigung auch auf die Frage der missbräuchlichen Berufung auf eine durch Ehe vermittelte Rechtsstellung an. Ein derartiger Rechtsmissbrauch ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der türkische Arbeitgeber den Aufenthaltstitel durch Vortäuschung einer ehelichen Lebensgemeinschaft erwirkt hat, die in Wirklichkeit nicht bestand (EuGH, Urt. v. 05.06.1997, Rs. C – 285/95 Sammlung 1997, I-3069, Kol; BVerwG, Urt. v. 12.04.2005, Az.: 1 C 9/04, Juris; HessVGH, Urt. v. 22.09.2003, Az.: 12 UE 1255/03, Juris). Ein Verstoß gegen Treu und Glauben ist jedoch auch dann anzunehmen, wenn eine (eventuell) rechtmäßig erworbene Rechtsstellung rechtsmissbräuchlich ausgenutzt wird und die Ausübung der Beschäftigung – in Ansehung dessen – kein berechtigtes Vertrauen auf den Erwerb einer Position nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 schaffen kann. Dies ist vorliegend anzunehmen. Die Antragstellerin hat im Zusammenhang mit ihrem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter dem 23.05.2006 klar erklärt, dass sie jede Veränderung der ehelichen Gemeinschaft (z.B. Trennung über einen längeren Zeitraum, Wohnungswechsel oder ähnliche Umstände) der Ausländerbehörde unverzüglich mitteilt. Dieser Verpflichtung ist die Antragstellerin dann aber nicht nachgekommen. Sie hat die Trennung von ihrem Ehemann spätestens am 01.02.2007 nicht mitgeteilt. Hiermit hat sie der Ausländerbehörde die Möglichkeit genommen, auf den Wegfall der ehelichen Lebensgemeinschaft zu reagieren, etwa durch eine nachträgliche Befristung der der Antragstellerin zum Zwecke der Familienzusammenführung erteilten Aufenthaltserlaubnis. Insoweit ist es auch unerheblich, dass die der Antragstellerin am 23.05.2006 erteilte Aufenthaltserlaubnis nicht etwa eine auflösende Bedingung für den Fall der Beendigung der ehelichen Lebensgemeinschaft aufweist oder eine Auflage über die Pflicht zu deren Mitteilung. Für die Frage des Vorliegens von Rechtsmissbrauch kommt es vielmehr darauf an, ob der Betreffende die Aufenthaltserlaubnis durch Täuschung, d.h. durch Abgabe bewusst unrichtiger Angaben oder durch Verschweigen maßgeblicher Umstände erwirkt oder gesichert hat. Beide Möglichkeiten stellen ein in gleichem Maße verwerfliches Verhalten dar, auf das sich ein Anspruch nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 nicht begründen kann. Auf die Frage, ob nicht etwa von Anfang an eine Scheinehe vorlag, kommt es insofern nicht an. Auch die Abschiebungsandrohung erweist sich als rechtmäßig. Sie beruht auf §§ 59 Abs. 1, 2, 58 AufenthG. [...]