VG Hamburg

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Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 05.11.2009 - 4 K 2847/07 [= ASYLMAGAZIN 2010, S. 39 ff.] - asyl.net: M16314
https://www.asyl.net/rsdb/M16314
Leitsatz:

Ausweisung wegen falscher Angaben bei einer Sicherheitsbefragung vor Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis (§ 54 Nr. 6 AufenthG). Die Entscheidung enthält eine ausführliche Prüfung der ausländer- und datenschutzrechtlichen Ermächtigungsgrundlage und Voraussetzungen von Sicherheitsbefragungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen.

Schlagwörter: Ausweisung, Sicherheitsbefragung, falsche Angaben, Ausweisungsgrund, Sicherheitsüberprüfung, Datenschutz
Normen: AufenthG § 86, AufenthG § 54 Nr. 6, AufenthG § 5 Abs. 4, AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2, AufenthG § 73 Abs. 2, HmbDSG § 12a Abs. 1 Satz 2, BDSG § 3 Abs. 9
Auszüge:

[...]

1. Die sicherheitsrechtlichen Befragungen sowohl in Schleswig-Holstein als auch in Hamburg sind fehlerfrei erfolgt. Sie beruhen auf einer hinreichenden Ermächtigungsgrundlage (dazu unter a) und b)) und sind nicht mit einem Verfahrensfehler behaftet (dazu unter c) und d)).

a) Ermächtigungsgrundlage für die sicherheitsrechtlichen Befragungen ist § 86 AufenthG i.V. mit § 54 Nr. 6 AufenthG. Gemäß § 86 AufenthG dürfen die mit der Ausführung des Aufenthaltsgesetzes betrauten Behörden zum Zwecke der Ausführung des Gesetzes und ausländerrechtlicher Bestimmungen in anderen Gesetzen personenbezogene Daten erheben, sofern dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen erforderlich ist. Dabei dürfen gemäß § 86 Satz 2 AufenthG auch besondere Arten personenbezogener Daten gemäß § 3 Abs. 9 BDSG (Bundesdatenschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 14.01.2003, BGBl. I, S. 66 mit nachfolgenden Änderungen) erhoben werden; dazu zählen Angaben über politische Meinungen und religiöse oder philosophische Überzeugungen. Die Erhebung darf erfolgen, soweit dies im Einzelfall zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist. Davon ist hier auszugehen. Zu den Aufgaben der Ausländerbehörden gehört es – dies ergibt sich unter anderem aus § 5 Abs. 4 AufenthG sowie aus den §§ 54 Nr. 5 und 6 AufenthG –, vor der Erteilung eines Aufenthaltstitels mögliche sicherheitsrechtliche Bedenken auszuschließen. Zu diesem Zweck setzt § 54 Nr. 6 AufenthG explizit voraus, dass eine Befragung, die der Klärung von Sicherheitsbedenken gegen den weiteren Aufenthalt dient, erfolgen kann.

§ 86 AufenthG i.V. mit § 54 Nr. 6 AufenthG genügt den Anforderungen, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an eine Ermächtigungsgrundlage zur Datenerhebung aufgrund des damit verbundenen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG zu stellen sind. Die Ermächtigung muss danach insbesondere den rechtsstaatlichen Anforderungen der Bestimmtheit und Klarheit genügen (vgl. zuletzt BVerfG, Urt. v. 11.03.2008 – 1 BvR 2074/05, BVerfGE 120, 378 [407]). Das ist der Fall. § 54 Nr. 6 AufenthG bestimmt in hinreichend deutlicher Weise den Gegenstand und den Zweck der Befragung. Die Vorschrift legt fest, dass sich die Befragung auf Verbindungen zu Personen oder Organisationen beziehen kann, die der Unterstützung des Terrorismus verdächtig sind, und zieht damit zugleich dem Umfang der Datenerhebung Grenzen. Ferner sieht § 54 Nr. 6 AufenthG umfangreiche Aufklärungs- und Hinweispflichten vor, um sicherzustellen, dass sich der Befragte den potenziell erheblichen Konsequenzen einer falschen Antwort bewusst ist. Damit hat der Gesetzgeber die wesentlichen Grundentscheidungen selbst getroffen und ermöglicht es zugleich dem Betroffenen, sich auf die Maßnahme einzustellen und ihre Tragweite zu überblicken.

Für dieses Verfahren offen bleiben kann, ob eine sicherheitsrechtliche Befragung im Einzelfall auch ohne jeden konkreten Verdacht erfolgen kann (zweifelnd VG Münster, Urt. v. 08.10.2009 – 8 K 1498/08, noch unveröffentlicht). Denn gegen den Kläger bestanden bereits vor den beiden Befragungen hinreichende Verdachtsmomente, unter anderem aufgrund des vorliegenden Gruppenfotos.

b) Die konkreten Befragungen halten sich jedenfalls hinsichtlich der für dieses Verfahren allein maßgeblichen Frage Nr. 5 in dem von § 86 AufenthG i.V.m. § 54 Nr. 6 AufenthG gesteckten Rahmen. Zwar wird in der Fragestellung der Begriff der Verbindungen des § 54 Nr. 6 AufenthG durch den Begriff des Kontaktes ersetzt, der über den Begriff der Verbindung hinaus nach seinem Wortsinn auch ganz kurzzeitige oder zufällige Kontakte in Form von Begegnungen umfassen kann. Außerdem bezieht sich die Fragestellung auch auf in der Vergangenheit liegende Strafverfolgungsmaßnahmen, selbst wenn jeder Verdacht gegen den Betroffenen ausgeräumt worden ist. § 54 Nr. 6 AufenthG setzt demgegenüber einen zum Zeitpunkt der Befragung bestehenden Verdacht voraus. Beides führt jedoch nicht zur Unzulässigkeit der Fragestellung. Der Ausländerbehörde ist es gestattet, den Gesetzestext in leicht verständliche und der Alltagssprache entsprechende Formulierungen zu übertragen. Eine Ausweisung auf der Basis des § 54 Nr. 6 AufenthG kommt allerdings nur in Betracht, wenn falsche oder unvollständige Angaben zu Verbindungen zu aktuell verdächtigen Personen oder Organisationen gemacht wurden.

Die Fragestellung für sich genommen ist auch nicht missverständlich oder irreführend. Bei dem Begriff des Kontaktes handelt es sich um einen einfachen Begriff, der auf Französisch und Englisch nahezu identisch lautet ("contact") und keine besonderen juristischen oder anderweitigen deutschen Sprachkenntnisse voraussetzt. [...]

d) Beide Befragungen genügen den allgemeinen datenschutzrechtlichen Anforderungen.

Für die Befragung durch die Hamburger Behörden ergeben sich diese Anforderungen aus dem Hamburgischen Datenschutzgesetz (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 7 i.V. mit § 12 Abs. 2 Nr. 1 BDSG). Gemäß § 12a Abs. 1 Satz 2 HmbDSG (Hamburgisches Datenschutzgesetz vom 05.07.1990 mit nachfolgenden Änderungen, HmbGVBl. 1990, S. 133) ist der Betroffene insbesondere in geeigneter Weise über eine Rechtsvorschrift aufzuklären, auf deren Grundlage personenbezogene Daten erhoben werden. Die Aufklärungspflicht hat zum Ziel, dem Betroffenen seine rechtliche Situation vor Augen zu führen und ihm Umfang und Grenzen der Auskunftspflicht aufzuzeigen (vgl. Sokol, in: Simitis, BDSG, 5. Aufl. 2003, § 4, Rn. 46). Dies gewährleistet der gegebene Hinweis, auch wenn § 86 AufenthG nicht ausdrücklich genannt wird. Dem Kläger sind seine Mitwirkungspflicht sowie Zweck und Umfang der Befragung in deutlicher Form erläutert worden. Ein expliziter Hinweis auf die einschlägigen Rechtsvorschriften – hier insbesondere § 86 AufenthG – als solche ist nicht erforderlich (anders für das nordrhein-westfälische Recht VG Münster, Urt. v. 08.10.2009 – 8 K 1498/08, noch unveröffentlicht). Nach dem Wortlaut des § 12a Abs. 1 Satz 2 HmbDSG, der von einer Aufklärung in geeigneter Weise spricht, genügt es, wenn der Inhalt der Rechtsvorschrift sinngemäß vermittelt wird. § 86 AufenthG begründet lediglich die Mitwirkungspflicht als solche. Dass eine entsprechende Mitwirkungspflicht besteht, ist der gegebenen Belehrung in aller Deutlichkeit zu entnehmen (vgl. Ziffer 2 und 3 der Belehrung).

Für die Befragung durch die Ausländerbehörde der Stadt Flensburg gilt das Landesrecht Schleswig-Holsteins. Da es sich bei der Ausländerbehörde um eine Gefahrenabwehrbehörde handelt, gelten gemäß den §§ 162 Abs. 4, 164 Abs. 1 Nr. 2, 173 Abs. 2 LVerwG Schleswig-Holstein (Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein in der Fassung der Bekanntmachung vom 02.06.1992 mit nachfolgenden Änderungen, GVOBl. 1992, S. 243, 534) die besonderen datenschutzrechtlichen Regelungen der §§ 177 ff. LVerwG Schleswig-Holstein. Gemäß § 178 Abs. 3 LVerwG Schleswig-Holstein ist der Betroffene bei der Erhebung von personenbezogenen Daten nur auf Verlangen auf die Rechtsgrundlage für die Erhebung hinzuweisen. Eine Pflicht zur Nennung der Rechtsgrundlage besteht damit nicht von Amts wegen. Die insofern strengere Vorschrift des § 26 Abs. 1 DSG Schleswig-Holstein (Schleswig-Holsteinisches Gesetz zum Schutz personenbezogener Informationen vom 09.02.2000 mit nachfolgenden Änderungen, GVOBl. 2000, S. 169), die eine Aufklärung über die Rechtsgrundlage verlangt, ist gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 4 DSG Schleswig-Holstein auf Datenerhebungen der Gefahrenabwehrbehörden nicht anwendbar. [...]

b) Zu den vorgenannten nachweislichen Verbindungen hat der Kläger bei der Beantwortung der Frage Nr. 5 in wesentlichen Punkten falsche Angaben gemacht, indem er Kontakte zu diesen Personen nicht angegeben hat.

aa) Ob eine Angabe falsch oder unvollständig ist, richtet sich dabei nach dem Erkenntnis- und Verständnishorizont des befragten Ausländers, so dass bloß objektiv falsche Angaben nicht tatbestandsmäßig sind. Denn die Annahme eines die Ausweisung rechtfertigenden spezial- oder generalpräventiven Ausweisungsinteresses setzt voraus, dass der Ausländer selbst vollständige Kenntnis von dem wahren Sachverhalt hat und diesen Sachverhalt bewusst falsch oder unvollständig wiedergibt. Nur bewusst falsche oder unvollständige Angaben zu sicherheitsrelevanten Sachverhalten können den Verdacht begründen, der Ausländer wolle aus unlauteren, sicherheitsrelevanten Motiven heraus etwas verbergen. Von Bedeutung ist der Verständnishorizont des Ausländers auch insoweit, als bestimmte Begriffe mehreren Interpretationen zugänglich sind, so dass die Frage vom Ausländer anders verstanden werden kann als vom Befrager gemeint und umgekehrt (vgl. BayVGH, Beschl. v. 19.02.2009 – 19 CS 08.1175, juris; Discher, in: GK-AufenthG, § 54, Rn. 742, Stand der Bearbeitung: August 2009; anders Hailbronner, AuslR, § 54, Rn. 46, Stand der Bearbeitung: Februar 2009, der bereits objektiv falsche oder unvollständige Angaben genügen lassen möchte). Diese subjektiven Anforderungen sind erfüllt. [...]

Daran ändert es nichts, dass die relevanten Verbindungen bei der Befragung im Jahr 2006 bereits etwa sieben Jahre zurücklagen. Die Befragungen des Klägers durch das Bundeskriminalamt in den Jahren 2003 und 2004, bei denen das Foto, die Kontakte zu ... und die Hochzeitsfeier zentrale Themen darstellten, haben dem Kläger die sicherheitsrechtliche Bedeutung dieser Gesichtspunkte deutlich vor Augen geführt. Ein Irrtum über die Relevanz oder über die Richtigkeit seiner Angaben erscheint deshalb fernliegend. Dem Kläger kann aufgrund der umfangreichen Medienberichterstattung während des Prozesses und auch danach ferner nicht entgangen sein, dass der Freispruch von ... allein auf einem Mangel an Beweisen beruht und gerade nicht zu einer Widerlegung der gegen ihn gerichteten Tatvorwürfe geführt hat. Der Verdacht war mithin offensichtlich gerade nicht widerlegt, sodass auch ein dahingehendes Missverständnis des Klägers – zumal auch angesichts der ausdrücklich auf vergangene Strafverfolgungsmaßnahmen bezogenen Fragestellung – ausgeschlossen erscheint. [...]

Insbesondere Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte führen nicht zu einem anderen Ergebnis. Bei einer Ausweisung nach § 54 Nr. 6 AufenthG handelt es sich nicht um eine Verdachtsausweisung, an die besonders strenge Anforderungen gestellt werden, sondern die Ausweisung beruht allein darauf, dass der Kläger seine Mitwirkungspflichten im Rahmen der sicherheitsrechtlichen Befragung verletzt hat. Ohne Relevanz ist es in diesem Zusammenhang, dass die Sicherheitsbehörden nach den Befragungen durch das Bundeskriminalamt bereits Kenntnis von den Verbindungen hatten. Denn der weitere Sinn und Zweck des § 54 Nr. 6 AufenthG besteht darin, den Aufenthalt von Ausländern zu beenden, deren Aufenthalt ein erhebliches Sicherheitsrisiko bedeutet. Falsche oder unvollständige Angaben im Rahmen einer Befragung deuten nach Auffassung des Gesetzgebers auf ein solches Sicherheitsrisiko hin (vgl. BT-Drucks. 14/7386, S. 56; ebenso Discher, in: GK-AufenthG, § 54, Rn. 708, Stand der Bearbeitung: August 2009). Mit anderen Worten dient die Befragung auch der Kontrolle, inwieweit der Ausländer freiwillig sicherheitsrelevante Dinge offenbart und so die eigene hinreichende Distanz zu sicherheitsgefährdenden Bestrebungen dokumentiert. Erfolgt eine solche Offenbarung nicht, rechtfertigt dies den – im vorliegenden Fall auch nicht durch das eigene Verhalten des Klägers etwa in Form umfassender freiwilliger Kooperation mit den Sicherheitsbehörden ausgeräumten – Verdacht, dass der Ausländer aus unlauteren und sicherheitsrelevanten Motiven etwas verschweigt. Das wiederum begründet einen Gefahrenverdacht gegen den Ausländer. Nach diesen Maßstäben kann es nicht darauf ankommen, ob die Erkenntnisse bei den Sicherheitsbehörden bereits vorhanden sind. Hinzu kommt, dass der Kläger im konkreten Fall nicht davon ausgehen konnte, dass gerade die entscheidende Ausländerbehörde über die Erkenntnisse des Bundeskriminalamts bereits verfügte. Tatsächlich war dies – wie die Ausländerakte zeigt – in wesentlichen Punkten zumindest bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens nicht der Fall.

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass gegen den Kläger selbst nicht wegen Terrorismusverdachts ermittelt worden ist. Die Ausweisung erfolgt allein aufgrund der falschen Angaben, ohne dass es des Nachweises der Beteiligung an terroristischen Aktivitäten oder eines weiter konkretisierten Verdachts bedarf.

Unerheblich ist schließlich, ob die Beklagte bei der Befragung auch im Sinn hatte, einen Ausweisungsgrund gegen den Kläger zu schaffen. Denn der Kläger hatte es allein in der Hand, im Rahmen der korrekt durchgeführten Befragungen die entscheidenden Tatsachen zu offenbaren und so jedem weiteren Handeln der Ausländerbehörde im Hinblick auf § 54 Nr. 6 AufenthG vorzubeugen. Dass der Kläger dies nicht getan hat, geht nach der eindeutigen Fassung des Gesetzes zu seinen Lasten. Eine Täuschung seitens der Ausländerbehörde ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist dem Kläger im Rahmen der Belehrung die Bedeutung der Befragung, die gerade auch in der Ausweisung münden kann, ausdrücklich und unmissverständlich vor Augen geführt worden. [...]