BVerwG

Merkliste
Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 29.10.2009 - 7 C 21.08 - asyl.net: M16316
https://www.asyl.net/rsdb/M16316
Leitsatz:

Ob der Kläger nach dem Informationsfreiheitsgesetz einen Anspruch auf Zugang zu dem Leitfaden Sprachnachweis des Goethe-Instituts hat (Grundlage des Deutschtests für Visa zur Familienzusammenführung), hängt davon ab, ob die materiellen Voraussetzungen für eine Einstufung des Leitfadens als Verschlusssache vorliegen.

Schlagwörter: Informationsfreiheitsgesetz, Verschlusssache, Leitfaden Sprachnachweis, Goethe-Institut, Vorbehalt des Gesetzes, dynamische Verweisung, Visum, Familienzusammenführung, deutsche Sprache,
Normen: IFG § 3 Nr. 4, AufenthG § 6 Abs. 4 Satz 2, AufenthG § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2,
Auszüge:

1. § 3 Nr. 4 IFG verstößt nicht gegen den Vorbehalt des Gesetzes. Die Vorschrift enthält keine verfassungsrechtlich bedenkliche dynamische Verweisung auf eine Verwaltungsvorschrift.

2. Der Anspruch auf Zugang zu einer Information ist nicht allein deshalb nach § 3 Nr. 4 IFG ausgeschlossen, weil die Information formal als Verschlusssache eingestuft ist. Vielmehr kommt es darauf an, ob die materiellen Gründe für eine solche Einstufung vorliegen.

(Amtliche Leitsätze)

[...]

Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die Klage unter Verstoß gegen § 3 Nr. 4 IFG mit der Begründung abgewiesen, schon die formale Einstufung einer Information als Verschlusssache schließe den Anspruch auf Informationszugang aus (1.). Der Senat kann nicht zu Gunsten des Klägers in der Sache selbst entscheiden (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO). § 3 Nr. 4 IFG ist nicht verfassungswidrig und kann deshalb grundsätzlich zu Lasten des Klägers angewandt werden (2.). Dies setzt aber voraus, dass die streitige Information zu Recht als Verschlusssache eingestuft ist. Die für diese Beurteilung erforderlichen tatsächlichen Feststellungen hat das Verwaltungsgericht von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig nicht getroffen (3.). Zu ihrer Nachholung ist die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). [...]

3. Ob der Kläger einen Anspruch auf Zugang zu dem Leitfaden Sprachnachweis des Goethe-Instituts hat, hängt danach davon ab, ob die materiellen Voraussetzungen für eine Einstufung des Leitfadens als Verschlusssache vorliegen.

Nach § 3 Nr. 4 VSA i.V.m. § 4 Abs. 2 SÜG ist eine Information als Verschlusssache mit dem Geheimhaltungsgrad "VS - Nur für den Dienstgebrauch" einzustufen, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder nachteilig sein kann.

Es entspricht den Interessen der Bundesrepublik Deutschland, dass Ausländer nur unter den in § 30 AufenthG geregelten Voraussetzungen ein Visum, und damit einen Aufenthaltstitel für ihre Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zum Zwecke des Familiennachzugs erhalten. Den Interessen der Bundesrepublik Deutschland nachteilig im Sinne des § 3 Nr. 4 VSA wäre es, wenn das Bekanntwerden des Leitfadens es einem Antragsteller ermöglichte, die Anforderungen an die Erteilung eines Visums zu umgehen, indem er die erforderliche Feststellung seiner Sprachfähigkeiten zu seinen Gunsten manipulieren könnte, wenn also bei Bekanntgabe des Leitfadens die Sprachprüfung ihren Zweck nicht mehr erfüllen könnte. Die Beklagte behauptet dies, ohne ihre Behauptung durch konkrete Darlegungen zum Inhalt des Leitfadens nachvollziehbar zu machen. Ob ihre Behauptung zutrifft, hängt deshalb davon ab, welchen Inhalt der Leitfaden tatsächlich hat und ob sein Bekanntwerden geeignet ist, die von der Beklagten heraufbeschworene Gefahr herbeizuführen. Dies wird das Verwaltungsgericht nur dann nachprüfen können, wenn es den Leitfaden als entscheidungserhebliche Unterlage zur näheren Nachprüfung seiner materiell zutreffenden Einstufung als Verschlusssache beizieht. [...]