BVerfG

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Zitieren als:
BVerfG, Beschluss vom 28.10.2009 - 2 BvR 783/09 - asyl.net: M16365
https://www.asyl.net/rsdb/M16365
Leitsatz:

Nichtannahmebeschluss, da der Rechtsweg nicht ausgeschöpft ist. Das Verwaltungsgericht hatte die Klage auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet, die Klage auf Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und zur Feststellung von Abschiebungsverboten dagegen als schlicht unbegründet abgewiesen. Dennoch hatte es das Urteil als insgesamt unanfechtbar bezeichnet.

Schlagwörter: Offensichtlichkeitsurteil, Unanfechtbarkeit, Entscheidungsfolgenausspruch
Normen: AsylVfG § 78 Abs. 1
Auszüge:

[...]

1. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen ein asylrechtliches Urteil, mit dem das Verwaltungsgericht die Klage auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet abwies und die Klage im Übrigen abwies. Das Verwaltungsgericht führte aus, das Urteil sei insgesamt unanfechtbar (vgl. § 78 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt; die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 25 f.>). Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht entgegen, dass der Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht erschöpft ist. Die Beschreitung des Rechtswegs ist grundsätzlich auch dann zumutbar, wenn die Zulässigkeit eines Rechtsmittels unterschiedlich beurteilt werden kann (vgl. BVerfGE 91, 93 106>).

Es ist nicht offensichtlich ausgeschlossen, dass das Oberverwaltungsgericht den Antrag auf Zulassung der Berufung gemäß § 78 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG als statthaft ansehen wird.

a) Das gilt zunächst hinsichtlich der Streitgegenstände der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, der Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG sowie der Feststellung eines Abschiebungsverbots § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auch diejenigen Stimmen in Rechtsprechung und Literatur, die es als grundsätzlich zulässig ansehen, die auf den Asylantrag bezogene Klage hinsichtlich der Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet und hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als (schlicht) unbegründet abzuweisen, halten in dieser Situation § 78 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ebenso für unanwendbar wie § 78 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG hinsichtlich der weiteren Klagebegehren (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 9. November 1995 - A 12 S 2419/94 -, juris; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 78 AsylVfG Rn. 48 ff.).

Dass das Verwaltungsgericht das Urteil als unanfechtbar bezeichnet hat, ändert daran nichts. Rechtlich bedeutsam kann der Hinweis allein im Rahmen des § 58 VwGO sein.

b) Die Statthaftigkeit des Berufungszulassungsantrags ist auch hinsichtlich des auf Art. 16a Abs. 1 GG gestützten Klagebegehrens nicht offensichtlich ausgeschlossen.

Allerdings prüft das Oberverwaltungsgericht die materielle Richtigkeit der Offensichtlichkeitsentscheidung nicht nach (vgl. Berlit, in: GK-AsylVfG, § 78 Rn. 36 <April 1998>; Marx, AsylVfG, 7. Aufl. 2009, § 78 Rn. 8). Es hat aber eine Prüfung dahingehend zu erfolgen, ob das Verwaltungsgericht sich eines im Gesetz nicht vorgesehenen Entscheidungsfolgenausspruchs bedient hat (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 2000 - 2 BvR 1295/98 -, InfAuslR 2000, S. 261 262 f.>). Das kommt hier in Betracht. Wenn das Oberverwaltungsgericht annehmen sollte, dass das Offensichtlichkeitsurteil hinsichtlich Asyl- und Flüchtlingsschutzbegehren nur einheitlich getroffen werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. September 2001 - 2 BvR 1392/00 -, InfAuslR 2002, S. 146 148> m.w.N., a.A. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 9. November. 1995 - A 12 S 2419/94 -, juris; Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, .§ 78 AsylVfG. Rn. 50), ergäbe sich bereits aus dem Tenor des angegriffenen Urteils, dass das Verwaltungsgericht dagegen verstoßen hätte. In diesem Fall hätte das Oberverwaltungsgericht zu entscheiden, ob die Unzulässigkeit der von dem Verwaltungsgericht gewählten Tenorierung dazu führt, dass die Unanfechtbarkeit des Urteils gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG entfällt. Für die Unanwendbarkeit des § 78 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auch auf das auf Art. 16a Abs. 1 GG gestützte Begehren in dieser Konstellation könnte sprechen, dass die vom Gesetz bezweckte Verfahrensbeschleunigung ohnehin kaum zu erwarten ist, wenn verfolgungsbezogene Berufungszulassungsgründe im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG betreffenden Streitgegenstandes geltend gemacht werden können.

Diese Frage ist nicht abschließend geklärt. Das Bundesverfassungsgericht hat darauf hingewiesen, dass sich eine Auslegung des § 78 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG begründen ließe, die die Unanfechtbarkeit eines Urteils nach § 78 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG davon abhängig mache, dass das Verwaltungsgericht die Klage im Hinblick auf beide "asylrechtlichen" Streitgegenstände einheitlich als offensichtlich unbegründet beurteile (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. August 1994 - 2 BvR 1581/94 -, InfAuslR 1995, S. 18 19>). Diese Auslegung hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in demselben Verfahren nachgehend nicht zugrunde gelegt, sondern das Urteil insoweit als unanfechtbar angesehen, als das Verwaltungsgericht die Klage auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet abgewiesen hatte; eine einheitliche Entscheidung über die "asylrechtlichen" Streitgegenstände müsse nicht zwangsläufig erfolgen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 9. November 1995 - A 12 S 2419/94 -, juris). Eine Literaturansicht folgt dem (vgl. Berlit, in: GK-AsylVfG, § 78 Rn. 45 <April 1998>; im Ergebnis auch Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 78 AsylVfG Rn. 51), eine andere widerspricht (vgl. Marx, AsylVfG, 7. Aufl. 2009, § 78 Rn. 19). [...]