BVerwG

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Zitieren als:
BVerwG, Urteil vom 05.05.2009 - 10 C 19.08 - asyl.net: M16369
https://www.asyl.net/rsdb/M16369
Leitsatz:

Die Verweisung der vorverfolgten Kläger aus Tschetschenien auf die Möglichkeit internen Schutzes in der Russischen Förderation hält der revisionsgerichtlichen Prüfung stand.

Schlagwörter: Revision, Asylverfahren, Tschetschenien, Russische Föderation, Gruppenverfolgung, interner Schutz, Registrierung
Normen: AsylVfG § 3 Abs. 1, AsylVfG § 3 Abs. 4, AufenthG § 60 Abs. 1, RL 2004/83/EG Art. 4 Abs. 4, RL 2004/83/EG Art. 8
Auszüge:

[...]

Der Verwaltungsgerichtshof hat den Klägern das von ihnen vorgetragene individuelle Verfolgungsschicksal nicht geglaubt. An diese Tatsachenfeststellung, die die Kläger nicht mit Verfahrensrügen angegriffen haben, ist der Senat gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO). Das Berufungsgericht hat die Kläger jedoch wegen einer Gruppenverfolgung der aus Tschetschenien stammenden Kaukasier als vorverfolgt angesehen. Ob die Begründung dafür den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäben für eine Gruppenverfolgung, an denen auch unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG festzuhalten ist, insbesondere mit Blick auf die gebotenen Feststellungen zur Verfolgungsdichte genügt (vgl. dazu Urteil vom 21. April 2009 BVerwG 10 C 11.08 juris Rn. 13 ff. und Urteil vom 1. Februar, 2007 BVerwG 1 C 24.06 Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 30 Rn. 7 ff.), kann dahinstehen. Selbst wenn man zugunsten der Kläger unterstellt, dass sie ihr Herkunftsland vorverfolgt verlassen haben und die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2004/83/EG greift, steht ihnen ein Anspruch auf Flüchtlingsankerkennung nicht zu. Denn das Berufungsgericht hat sie auf die Möglichkeit internen Schutzes innerhalb der Russischen Föderation verwiesen. Das hält der revisionsgerichtlichen Prüfung stand.

Der Verwaltungsgerichtshof ist davon ausgegangen, dass für die Kläger jedenfalls in den Gebieten Krasnodar, Stawropol und Rostow am Don keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (BA S. 35). Dagegen wendet sich die Revision nicht. Sie rügt vielmehr der Sache nach, dass von den Klägern vernünftigerweise nicht erwartet werden könne, sich am Ort des internen Schutzes aufzuhalten (Art. 8 Abs. 1 Richtlinie 2004/83/EG). Dazu führen die Kläger aus, dass sie den auch vom Verwaltungsgerichtshof für die Registrierung grundsätzlich als notwendig erachteten Inlandspass nur erhalten könnten, wenn sie sich was ihnen nicht zuzumuten sei nach Tschetschenien begäben. Auf Korruption oder die vermutete Hilfestellung Dritter bei der Registrierung könnten die Kläger nicht verwiesen werden. Diese Rügen greifen nicht durch.

Das Vorbringen der Kläger wird durch die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht gestützt. Dieses ist davon ausgegangen, dass die Kläger nicht gezwungen sind, zur Ausstellung bzw. Verlängerung ihrer Inlandspässe nach Tschetschenien zurückzukehren, sondern sich ggf. unter Rückgriff auf Hilfestellungen anderer armenischer Volkszugehöriger auch mit anderen, ihre Identität nachweisenden Dokumenten registrieren lassen können. Dazu zählten auch die von den russischen Auslandsvertretungen nach vorheriger Identitätsprüfung durch die Innenbehörden ausgestellten Rückreisedokumente (BA S. 35 und 37 f.). Da die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden sind, hat das Revisionsgericht den festgestellten Sachverhalt seiner Prüfung zugrunde zu legen (§ 137 Abs. 2 VwGO). Warum den Klägern ggf. die Inanspruchnahme von Hilfe seitens ihrer in der armenischen Diaspora bereits etablierten Landsleute beim Umgang mit den Behörden unzumutbar sein sollte, wird von der Revision nicht dargelegt und ist auch nicht ersichtlich. Im Übrigen ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass angesichts des beträchtlichen Anteils von nicht registrierten Binnenmigranten in der Praxis eine Registrierung für einen Aufenthalt zumal in ländlichen Kommunen nicht notwendig ist. Die Gewährung eines förmlichen Aufenthaltsrechts ist nach der bisherigen Rechtsprechung zur inländischen Fluchtalternative unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten nicht zwingend erforderlich (vgl. Urteil vom 1. Februar 2007, BVerwG 1 C 24.06 a.a.O. Rn. 12).

Am Ort des internen Schutzes muss unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des Betroffenen jedenfalls das Existenzminimum gewährleistet sein (Urteil vom 29. Mai 2008, BVerwG 10 C 11.07, BVerwGE 131, 186 197 Rn. 35>). In der angefochtenen Entscheidung wird die individuelle Situation der Kläger insoweit ausführlich gewürdigt (BA S. 35 f.). Das Berufungsgericht ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass es den Klägern möglich ist, am Ort des internen Schutzes "beruflich wieder Fuß zu fassen". Diese Würdigung, zu der die Revision sich nicht einlässt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. [...]