VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Beschluss vom 18.12.2009 - 12 L 4093/09.F.A - asyl.net: M16416
https://www.asyl.net/rsdb/M16416
Leitsatz:

Vorbeugender Rechtsschutz zur Vermeidung einer Überstellung nach Griechenland, da nach der Verwaltungspraxis Dublin-Bescheide erst unmittelbar vor einer Abschiebung zugestellt werden.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Refoulement, Griechenland
Normen: AsylVfG § 34a Abs. 2, AsylVfG § 27a, VwGO § 123, EG VO Nr. 343/2003 Art. 10 Abs. 1, EMRK Art. 6
Auszüge:

[...]

Der Antragsteller kann beanspruchen, vorläufig nicht nach Griechenland zur Durchführung seines Asylverfahrens überstellt zu werden. Nach der Regelung des Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO ist Griechenland zwar für die Prüfung des Asylantrages des Antragstellers zuständig. Das Gericht hält diese Vorschrift jedoch, soweit sie Griechenland betrifft, für mit höherrangigem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar. Sie findet ihre Grundlage in Art. 63 Nr. 1 a EG-Vertrag. Dieser setzt voraus, dass die zuverlässige Einhaltung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention) sowie der Europäischen Menschenrechtskommission in allen Mitgliedstaaten gesichert ist (vgl. auch VG Würzburg, Urteil vom 10. März 2009, Az.: W 4 K 08.30122). Das Gericht hat ernstliche Zweifel, ob diese Voraussetzungen in Griechenland derzeit erfüllt werden. Die Genfer Flüchtlingskonvention verbietet, einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten auszuweisen oder zurückzuweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde (Art. 33 Abs. 1 GK). Dies gebietet einen effektiven Zugang zum Asylverfahren wie auch eine hinreichende Prüfung des Asylgesuchs. Beides ist in Griechenland gegenwärtig nicht gewährleistet. Insoweit hält das erkennende Gericht an seiner bisher vertretenen Auffassung (s. u.a. 12 L 587/08.F.A (V), Beschluss vom 18. März 2008; Urteil vom 25. Februar 2009, Az.: 12 K 616/08.F.A (1)) derzeit nicht fest. [...]

Die derzeitige Ausgestaltung des Asylverfahrens in Griechenland dürfte auch gegen die Rechtsschutzgarantie, die sich aus Art. 6 EMRK sowie aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt, verstoßen. Griechenland trägt nach Einschätzung des Gerichtes nicht hinreichend Sorge dafür, dass die Entscheidungen über die Asylanträge den Asylsuchenden tatsächlich zur Kenntnis gegeben werden. Dies liegt unter anderem darin begründet, dass die größte Zahl von Asylsuchenden in Griechenland obdachlos ist, so dass ihnen die Entscheidungen nicht zugestellt werden können, sondern öffentlich bekannt gemacht werden. Nach der Auskunft des UNHCR an das VG Frankfurt am Main vom 10.01.2008 hat Griechenland keine Kapazitäten, eine größere Anzahl von Asylsuchenden in Aufnahmezentren aufzunehmen, die vom Staat oder von nichtstaatlichen Akteuren geleitet werden. Es stehen nicht genügend Plätze zur Unterbringung aller Asylsuchenden, die eine solche benötigen, zur Verfügung. Die Chancen für neu ankommende Asylsuchende, eine Unterkunft bereitgestellt zu bekommen, sind daher extrem beschränkt. Die Rechtsschutzgarantie wird darüber hinaus dadurch berührt, dass durch das Präsidialdekret Nr. 81 v. 30.06.2009, welches am 31.07.2009 in Kraft tritt, die zweite Instanz bei der Überprüfung von Asylanträgen abgeschafft wird (UNHCR vom 15.05.2009). [...]