1. Der Rücknahme einer rechtskräftig bestätigten Ausweisung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG steht die Rechtskraftbindung des § 121 VwGO entgegen.
2. Weder die Klärung einer gemeinschaftsrechtlichen Frage durch den EuGH und eine hierauf beruhende Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch die zwischenzeitliche Konkretisierung der Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung in der Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts stellen nach § 51 Abs. 1 LVwVfG einen zwingenden Grund für das Wiederaufgreifen eines Ausweisungsverfahrens dar.
3. Liegt kein zwingender Wiederaufnahmegrund vor, kann die Behörde das Verfahren nach § 51 Abs. 5 LVwVfG i.V.m. §§ 48, 49 LVwVfG im Ermessenswege wiederaufgreifen (sog. Wiederaufgreifen im weiteren Sinne). In diesem Fall verdichtet sich das (Wiederaufgreifens-)Ermessen zu einem Anspruch des Betroffenen, wenn die Aufrechterhaltung der Ausweisung, etwa wegen offensichtlicher Fehlerhaftigkeit des sie bestätigenden gerichtlichen Urteils, schlechthin unerträglich wäre oder wenn die Überprüfung der Ausweisungsverfügung nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gemeinschaftsrechtlich geboten ist.
(Amtliche Leitsätze)
[...]
Der Verwaltungsgerichtshof hat zutreffend unter Heranziehung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dargelegt, dass die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung im vorangegangenen Anfechtungsprozess an der - unter Berücksichtigung der Urteilsgründe zu ermittelnden - Bindungswirkung des klageabweisenden Urteils teilhat und diese für den Anspruch auf Rücknahme der Ausweisung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG, der gerade die Rechtswidrigkeit der Ausweisung voraussetzt, vorgreiflich ist. Er hat weiter zutreffend ausgeführt, dass die materielle Bindungswirkung nach § 121 VwGO unabhängig davon eintritt, ob das rechtskräftige Urteil die Sach- und Rechtslage zutreffend gewürdigt hat. Diese Auslegung entspricht der Bedeutung der Rechtskraft zur Gewährleistung von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Danach würde der Sinn der Rechtskraft als Ausfluss des verfassungsrechtlich geschützten Prinzips der Rechtssicherheit in einer Art. 20 Abs. 3 GG verletzenden Weise verfehlt und die vom Gesetzgeber in § 121 VwGO zugunsten des Prinzips der Rechtssicherheit getroffene Regelung teilweise außer Kraft gesetzt, wenn man die Exekutive allein aus allgemeinen verwaltungsrechtlichen Erwägungen heraus und damit ohne gesetzliche Grundlage zu einer uneingeschränkten erneuten Entscheidung für befugt erachtete (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1988 - 2 BvR 260/88 - NVwZ 1989, 141). Die Rechtskraftbindung des § 121 VwGO kann daher nur auf gesetzlicher Grundlage überwunden werden. Dies ist der Fall, wenn der Betroffene nach § 51 LVwVfG einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens hat oder die Behörde das Verfahren im Ermessenswege wieder aufgreift (vgl. nachfolgend 2.2 und 2.3). Solange diese Voraussetzungen nicht vorliegen, steht § 121 VwGO einer Rücknahme der Ausweisung entgegen.
2.2 Mit Recht ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 LVwVfG für einen gesetzlichen Anspruch auf Wiederaufgreifen des (Ausweisungs-) Verfahrens nicht vorliegen.
a) Ohne Erfolg beruft sich der Kläger auf eine Änderung der Rechtsprechung hinsichtlich der sich aus dem Gemeinschaftsrecht und aus Art. 8 EMRK ergebenden Anforderungen an die Ausweisung eines in Deutschland geborenen und aufgewachsenen assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen und damit zumindest sinngemäß auf den Wiederaufgreifensgrund einer Änderung der Rechtslage nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG. Sowohl die nachträgliche Klärung einer gemeinschaftsrechtlichen Frage durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und eine hierauf beruhende Änderung der höchstrichterlichen nationalen Rechtsprechung als auch die zwischenzeitliche Konkretisierung der Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung nach Art. 8 EMRK in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Bundesverfassungsgerichts haben nicht zu einer Änderung der Rechtslage geführt. Eine solche erfordert Änderungen im Bereich des materiellen Rechts, dem eine allgemein verbindliche Außenwirkung zukommt. Eine Änderung der Rechtsprechung führt eine Änderung der Rechtslage grundsätzlich nicht herbei. Vielmehr bleibt die gerichtliche Entscheidungsfindung grundsätzlich eine rechtliche Würdigung des Sachverhalts am Maßstab der vorgegebenen Rechtsordnung (vgl. Urteil vom 27. Januar 1994 - BVerwG 2 C 12.92 - BVerwGE 95, 86 89>). Das ist nicht nur für die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, sondern auch für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte anerkannt (vgl. Beschluss vom 24. Mai 1995 - BVerwG 1 B 60.95 - Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 32), gilt aber auch für Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, dessen Rechtsprechung in Vorabentscheidungsverfahren nach dem eigenen Selbstverständnis nicht konstitutiver, sondern rein deklaratorischer Natur ist (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Februar 2008 - Rs. C-2/06, Kempter - Slg. 2008, I-00411 Rn. 35).
b) Der Kläger erfüllt auch nicht die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 3 LVwVfG. Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO liegen nicht vor. Soweit nach § 580 Nr. 8 ZPO die Restitutionsklage stattfindet, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht, setzt dies nach dem Wortlaut der Vorschrift und der Begründung des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks 16/3038 S. 38 ff.) voraus, dass sich die Feststellung der Konventionsverletzung auf den konkreten Fall bezieht. Hieran fehlt es. Im Übrigen findet dieser Restitutionsgrund nach der Überleitungsvorschrift zum 2. Justizmodernisierungsgesetz in § 35 EGZPO ohnehin keine Anwendung auf Verfahren, die vor dem 31. Dezember 2006 rechtskräftig abgeschlossen worden sind.
c) Zu Recht ist das Berufungsgericht mit Blick auf den grundsätzlich abschließenden Charakter der gesetzlichen Wiederaufgreifensgründe des § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 LVwVfG davon ausgegangen, dass die Behörde im Falle der nachträglichen Klärung einer gemeinschaftsrechtlichen Frage auch nicht verpflichtet ist, das Verfahren in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift wiederaufzugreifen. Gemeinschaftsrechtlich kann sich eine Verpflichtung zur Überprüfung eines bestandskräftig abgeschlossenen Verfahrens nur aus dem in Art. 10 EG verankerten Grundsatz der Zusammenarbeit ergeben. Der Europäische Gerichtshof hat in der "Kühne & Heitz"-Entscheidung vom 13. Januar 2004 (Rs. C-453/00 - Slg. 2004, I-00837) eine Verpflichtung der nationalen Behörden und Gerichte zur Überprüfung einer nach innerstaatlicher Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftig gewordenen Verwaltungsentscheidung, um hierdurch einer später von ihm vorgenommenen Auslegung einer einschlägigen Bestimmung des Gemeinschaftsrechts Rechnung zu tragen, aber (u.a.) davon abhängig gemacht, dass die Behörde befugt ist, diese Entscheidung zurückzunehmen (vgl. Urteil vom 13. Januar 2004 - Rs. C-453/00 - a.a.O.). Welche Bedeutung dieser Voraussetzung zukommt, insbesondere ob mit der Pflicht zur Überprüfung zugleich eine Pflicht zur Aufhebung einer gemeinschaftswidrigen Entscheidung verbunden ist und ob die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, in ihrem nationalen Verfahrensrecht einen entsprechenden Anspruch vorzusehen, kann hier offen bleiben. Denn das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Behörden nach nationalem Recht auch außerhalb der in § 51 Abs. 1 LVwVfG geregelten zwingenden Wiederaufgreifensgründe die Möglichkeit haben, ein nach innerstaatlicher Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftig abgeschlossenes Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen (vgl. nachfolgend 2.3). Hierdurch kann einer vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung einer einschlägigen Bestimmung des Gemeinschaftsrechts auch in abgeschlossenen Verwaltungsverfahren Rechnung getragen werden, ohne dass es einer erweiternden Auslegung des § 51 Abs. 1 LVwVfG bedarf.
2.3 Liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 LVwVfG nicht vor, kann die Behörde ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen zugunsten des Betroffenen wiederaufgreifen und eine neue - der gerichtlichen Überprüfung zugängliche - Sachentscheidung treffen (sog. Wiederaufgreifen im weiteren Sinne). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts geht der Senat davon aus, dass es sich bei dieser Möglichkeit des Wiederaufgreifens nicht um einen ungeschriebenen Rechtsgrundsatz des erwaltungsverfahrensrechts handelt, sondern sie nach Inkrafttreten der Verwaltungsverfahrensgesetze ihre Rechtsgrundlage in § 51 Abs. 5 LVwVfG i.V.m. §§ 48, 49 LVwVfG findet. In Fällen, in denen - wie hier - ein Verwaltungsakt gerichtlich bestätigt worden ist, bedarf es zur Überwindung der Rechtskraft einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1988 - 2 BvR 260/88 - NVwZ 1989, 141). Diese findet sich - außerhalb der in § 51 Abs. 1 bis 3 LVwVfG geregelten zwingenden Wiederaufgreifensgründe - in § 51 Abs. 5 LVwVfG. Die dort verankerte Ermächtigung der Behörden, ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren im Ermessenswege wieder aufzugreifen (vgl. Gesetzesbegründung zu § 47 Abs. 5 VwVfG-E <heute: § 51 Abs. 5 VwVfG> BTDrucks 7/910 S. 75), ermöglicht auch bei rechtskräftig bestätigten Verwaltungsakten die nachträgliche Korrektur inhaltlich unrichtiger Entscheidungen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. September 2007 - 2 BvR 1613/07 - InfAuslR 2008, 94; BVerwG, Urteil vom 7. September 1999 - BVerwG 1 C 6.99 - NVwZ 2000, 204 206>). Trifft die Behörde eine positive Entscheidung zum Wiederaufgreifen (Stufe 1), wird hierdurch die Rechtskraft durchbrochen und der Weg für eine erneute Sachentscheidung (Stufe 2) eröffnet (vgl. Senatsurteil vom selben Tag in der Sache BVerwG 1 C 15.08, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen). Mit der Befugnis der Behörde, ein rechtskräftig abgeschlossenes Verwaltungsverfahren im Ermessenswege wiederaufzugreifen, korrespondiert ein - gerichtlich einklagbarer (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) - Anspruch des Betroffenen auf fehlerfreie Ermessensausübung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. September 2007 a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 21. März 2000 - BVerwG 9 C 41.99 - BVerwGE 111, 77 82>).
Dabei handelt die Behörde im Falle einer rechtskräftig bestätigten Ausweisung grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie ein Wiederaufgreifen im Hinblick auf die rechtskräftige Bestätigung ihrer Entscheidung ablehnt. In diesen Fällen bedarf es regelmäßig keiner weiteren ins Einzelne gehenden Ermessenserwägungen der Behörde. Umstände, die ausnahmsweise eine erneute Sachentscheidung gebieten, das Ermessen der Behörde also zu Gunsten des Betroffenen verdichten, müssen von einer den in § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 LVwVfG geregelten zwingenden Wiederaufgreifensgründe vergleichbaren Bedeutung und Gewicht sein. Allein der Umstand, dass die Ausweisung - gemessen an den sich aus der aktuellen Rechtsprechung ergebenden Anforderungen - nicht rechtmäßig verfügt worden ist, genügt hierfür nicht. Von einer Ermessensverdichtung zugunsten des Betroffenen ist erst auszugehen, wenn die Aufrechterhaltung der rechtswidrigen Ausweisung schlechthin unerträglich wäre (vgl. Urteil vom 27. Januar 1994 - BVerwG 2 C 12.92 - BVerwGE 95, 86 92> m.w.N.). Selbst im Falle eines Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht gebietet Art. 10 EG nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht in jedem Fall eine Überprüfung durch die nationalen Behörden (vgl. EuGH, Urteil vom 13. Januar 2004 a.a.O., modifiziert durch Urteil vom 12. Februar 2008 a.a.O.).
a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung des Beklagten zur Überprüfung der nach innerstaatlicher Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftigen Ausweisung nicht vorliegen. Die vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in der Rechtssache "Kühne & Heitz" mit Urteil vom 13. Januar 2004 (a.a.O.) aufgestellten und in der Rechtssache "Kempter" mit Urteil vom 12. Februar 2008 (a.a.O.) weiter konkretisierten Voraussetzungen für die Überprüfung einer nach innerstaatlicher Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftigen, aber gemeinschaftswidrigen Verwaltungsentscheidung liegen nicht vor. Es fehlt jedenfalls an einer Verletzung der Verpflichtung zur Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs nach Art. 234 Abs. 3 EG. Denn ein Verstoß gegen die Verpflichtung der nationalen Gerichte zur Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof nach Art. 10 EG liegt nur dann vor, wenn der gemeinschaftsrechtliche Gesichtspunkt, dessen Auslegung sich in Anbetracht eines späteren Urteils des Gerichtshofs als unrichtig erwiesen hat, von dem in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gericht entweder geprüft wurde oder von Amts wegen hätte aufgegriffen werden können. Das Gemeinschaftsrecht gebietet den nationalen Gerichten nicht, von Amts wegen die Frage eines Verstoßes gegen gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen zu prüfen, wenn sie durch die Prüfung dieser Frage die von den Parteien bestimmten Grenzen des Rechtsstreits überschreiten müssten. Sie müssen die rechtlichen Gesichtspunkte, die sich aus einer zwingenden Gemeinschaftsvorschrift ergeben, aber von Amts wegen aufgreifen, wenn sie nach dem nationalen Recht verpflichtet oder berechtigt sind, dies im Falle einer zwingenden Vorschrift des nationalen Rechts zu tun (vgl. EuGH, Urteil vom 12. Februar 2008 a.a.O. Rn. 44 und 45).
Letztinstanzliches nationales Gericht bei der gerichtlichen Überprüfung der Ausweisungsverfügung war hier nicht das Verwaltungsgericht, sondern der Verwaltungsgerichtshof. Denn gegen das abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts gab es die Möglichkeit, einen Antrag auf Zulassung der Berufung zu stellen (im Ergebnis ebenso Beschluss vom 20. März 1986 - BVerwG 3 B 3.86 - NJW 1987, 601). Erst der die Zulassung der Berufung ablehnende Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs konnte nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden. Der Verwaltungsgerichtshof verstieß mit seiner damals getroffenen Entscheidung aber nicht gegen die Vorlagepflicht des Art. 234 Abs. 3 EG. Den Antrag auf Zulassung der Berufung hatte der Kläger zwar auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts gestützt, in diesem Zusammenhang aber keine gemeinschaftsrechtlichen Bedenken geltend gemacht. Mangels Darlegung eines auf das Gemeinschaftsrecht bezogenen Zulassungsgrundes prüfte der Verwaltungsgerichtshof daher bei seiner Entscheidung nicht die Vereinbarkeit der Ausweisung mit Gemeinschaftsrecht und war hierzu nach nationalem Prozessrecht auch weder berechtigt noch verpflichtet. Lässt das Verwaltungsgericht die Berufung nicht zu, hat der Antragsteller mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist, und darf der Verwaltungsgerichtshof nach § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO bei der Entscheidung über den Zulassungsantrag nur die Gründe berücksichtigen, die vom Antragsteller (fristgerecht) dargelegt worden sind. Diese der nationalen Verfahrensautonomie unterliegende Einschränkung des gerichtlichen Prüfungsprogramms im Zulassungsverfahren begegnet auch mit Blick auf das gemeinschaftsrechtliche Äquivalenz- und Effizienzgebot keinen Bedenken.
b) Nach nationalem Recht liegt ebenfalls kein Fall vor, in dem sich das (Wiederaufgreifens-) Ermessen so verdichtet hat, dass nur ein Wiederaufgreifen des Verfahrens ermessensfehlerfrei wäre. Insoweit ist das Berufungsgericht zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass die Aufrechterhaltung der Ausweisungsverfügung nicht schlechthin unerträglich wäre.
(aa) Eine derartige Unerträglichkeit kann sich aus der offensichtlichen Fehlerhaftigkeit des die Ausweisung bestätigenden Urteils ergeben. In diesem Zusammenhang konnte das Berufungsgericht offen lassen, ob die Ausweisung aus den vom Kläger geltend gemachten Gründen tatsächlich (gemeinschafts-) rechtswidrig war. Denn es fehlt - bezogen auf den Zeitpunkt des die Ausweisung bestätigenden Urteils des Verwaltungsgerichts - jedenfalls an einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit der gerichtlichen Entscheidung.
Zwar dürfte davon auszugehen sein, dass der in Deutschland geborene und bei seinen Eltern aufgewachsene Kläger, der nach Abschluss einer Ausbildung bis zu seiner Ausreise - lediglich unterbrochen für die Dauer seiner Inhaftierung - einer unselbständigen Beschäftigung nachgegangen ist, sowohl nach Art. 6 als auch nach Art. 7 ARB 1/80 ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht erworben hat. Damit hätte das Verwaltungsgericht Art. 14 ARB 1/80 berücksichtigen und auf den Kläger die für die Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger entwickelten Grundsätze übertragen müssen (vgl. Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 316 320>).
Dies hatte in verfahrensrechtlicher Hinsicht zur Folge, dass der Kläger nur unter Beachtung des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG hätte ausgewiesen werden dürfen. Danach bedarf es bei Ausweisungen grundsätzlich der Einschaltung einer unabhängigen zweiten Stelle neben der Ausländerbehörde ("Vier-Augen-Prinzip", vgl. dazu Urteile vom 13. September 2005 - BVerwG 1 C 7.04 - BVerwGE 124, 217 221 ff.> und vom 9. August 2007 - BVerwG 1 C 47.06 - BVerwGE 129, 162 170 f.>). Dass dies nicht geschehen ist, begründet hier aber keine offensichtliche Fehlerhaftigkeit des die Ausweisung bestätigenden Urteils. Dabei kann dahinstehen, ob von einem dringenden Fall auszugehen war, in dem nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 64/221/EWG ausnahmsweise von der Einschaltung einer unabhängigen zweiten Stelle abgesehen werden kann (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 13. September 2005 a.a.O. S. 223). Denn die Konsequenzen der in Baden-Württemberg erfolgten Abschaffung des behördlichen Vorverfahrens mit Blick auf Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG waren bei Erlass des die Ausweisungsverfügung bestätigenden verwaltungsgerichtlichen Urteils jedenfalls nicht evident. Dass die verfahrensrechtlichen Mindestgarantien des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG über die von den Verwaltungsgerichten gewährleistete Prüfung aller Tat- und Rechtsfragen unter Einbeziehung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung hinaus eine "erschöpfende Prüfung ... einschließlich der Zweckmäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme" gewährleisten sollten, wurde erst mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 29. April 2004 in den Rechtssachen "Orfanopoulos und Oliveri" (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - Rs. C-482/01 und C-493/01 - Slg. 2004, I-05257, Rn. 103 ff.) deutlich (vgl. Urteil vom 20. März 2008 - BVerwG 1 C 33.07 - Buchholz 402.242 § 54 AufenthG Nr. 5).
Das die Rechtmäßigkeit der Ausweisung bestätigende Urteil ist auch in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht offensichtlich fehlerhaft. Assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige dürfen zwar nur bei einer von ihnen ausgehenden gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Ordnung aufgrund einer umfassenden Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Dabei ist für die gerichtliche Überprüfung der Ausweisung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung der Tatsachengerichte abzustellen. Auch diese gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben waren zum Zeitpunkt der Abweisung der vom Kläger gegen die Ausweisungsverfügung erhobenen Klage durch das Verwaltungsgericht nicht offensichtlich, sondern beruhen ebenfalls auf einer späteren Änderung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 318 ff.>) in Anlehnung an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in den Rechtssachen "Orfanopoulos und Oliveri" vom 29. April 2004 (a.a.O.). Im Übrigen hat die Behörde die Ausweisung des Klägers - wie vom Gemeinschaftsrecht gefordert - auf spezialpräventive Gründe gestützt und hilfsweise Ermessen ausgeübt. [...]