VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 03.08.2009 - A 10 K 102/07 - asyl.net: M16443
https://www.asyl.net/rsdb/M16443
Leitsatz:

Asylanerkennung für syrischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit wegen aktiver Mitgliedschaft in der Yekiti-Partei (PYD) und Auftritte bei Roj-TV.

Schlagwörter: Flüchtlingsanerkennung, Asylverfahren, Syrien, Kurden, Yekiti (PYD), Roj-TV, Exilpolitik
Normen: AufenthG § 60 Abs. 1, GG Art. 16a Abs. 1
Auszüge:

[...]

Der Kläger ist politisch verfolgt im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG. Ein Anspruch des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter ist nicht gemäß Art. 16 a Abs. 2 GG i.V.m. § 26 a AsylVfG ausgeschlossen, denn der Kläger ist auf dem Luftweg nach Deutschland eingereist. [...]

Nach der Überzeugung des Gerichts steht fest, dass der Kläger seinen Heimatstaat wegen unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat und dass ihm bei seiner Wiedereinreise politische Verfolgung droht.

Der Kläger hat durch seinen Vortrag in der mündlichen Verhandlung glaubhaft gemacht, dass er in Syrien für die PYD - Partiya Yekiti ya Demokrat - aktiv gewesen ist. Zwar ist sein Vortrag nicht ganz frei von Ungereimtheiten. Ungeachtet dessen hat er aber zum Kerngeschehen seiner politischen Aktivitäten nachvollziehbare und konstante Angaben ohne wesentliche Steigerungen gemacht, die den Eindruck von Authentizität vermittelt und damit zur Überzeugungsbildung des Gerichts geführt haben. Zudem wurden seine Angaben bezüglich der Parteikongresse im Irak und der Reisemöglichkeiten dorthin sowie zur Verhaftung des ... durch die Ausführungen im Gutachten des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien bestätigt. Das Gericht nimmt dem Kläger auch ab, dass seine Aktivitäten für die PYD den Sicherheitskräften in Syrien bekannt geworden sind. Bei der PYD, einer Nachfolgepartei der PKK, handelt es sich um eine in Syrien verbotene Partei, deren Aktivitäten von den Sicherheitsbehörden überwacht und deren Mitglieder immer wieder Repressionen ausgesetzt sind (Auswärtiges Amt vom 18.02.2008 an VG Trier). Es dürfte daher nicht von der Hand zu weisen sein, dass die Sicherheitskräfte durch Nachfragen bei verschiedenen kurdischen Familien in Damaskus versucht haben, den Aufenthaltsort des Klägers zu ermitteln. Eine strafrechtliche Verfolgung des Klägers wegen seiner Tätigkeit für die PYD kann deshalb im Falle seiner Rückkehr nach Syrien nicht ausgeschlossen werden (Auswärtiges Amt. a.a.O.). Das Auswärtige Amt hat ferner auf die entsprechende Anfrage des Gerichts im vorliegenden Verfahren bestätigt, dass die PYD als Schwesterorganisation der PKK in Syrien seit mehreren Jahren verfolgt wird und dass aufgrund von Aktivitäten für diese Organisation mit staatlichen Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen ist (Stellungnahme vom 31.10.2008). Auch das Zentrum für Kurdische Studien hat in seinem Gutachten vom 17.03.2009 die Wahrscheinlichkeit, wegen der vom Kläger geltend gemachten Aktivitäten für die PYD mit Verfolgungsmaßnahmen rechnen zu müssen, als hoch eingeschätzt. Wenn dem syrischen Staat bekannt werde, dass der Betroffene als aktives Mitglied der PYD zentrale Aufgaben wie etwa den Aufbau der Partei wahrgenommen habe, werde er wegen dieser Tatsache vor Gericht gestellt, wobei eine mehrjährige Haftstrafe drohe. Die syrischen Sicherheitskräfte gingen gegen PYD-Mitglieder im Vergleich zu anderen syrisch-kurdischen Parteien mit besonderer Härte vor. Dies ergebe sich schon aus der Anzahl der berichteten Verhaftungen von PYD-Mitgliedern und Sympathisanten. Diese besondere Härte sei darauf zurückzuführen, dass es sich bei der PYD um eine PKK-Unterorganisation handele und sich der syrische Staat gegenüber der Türkei verpflichtet habe, keine PKK-Aktivitäten mehr zuzulassen.

Hinzu kommt beim Kläger, dass er sich durch seine Äußerungen beim Sender Roj-TV in exponierter Weise exilpolitisch betätigt hat und auch deshalb mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Syrien befürchten muss. Die Authentizität der Sendung, deren Mitschnitt der Kläger auf DVD vorgelegt hat, ist durch das eingeholte Gutachten des Europäischen Zentrums für Kurdische Studien bestätigt worden. Der Kläger hat diese herausgehobene Aktion exilpolitischer Betätigung damit nachgewiesen. Nach den Angaben der Gutachter hat es als sicher zu gelten, dass derartige Sendungen dem syrischen Geheimdienst bekannt werden. Der syrische Geheimdienst bedient sich eines ausgedehnten Netzes von Spitzeln und Informationsträgern in Europa, um Oppositionelle im Exil auszuspionieren (so auch VG Bayreuth, Urteil vom 12.06.2006 - B 6 K 04.30279 - und des VG des Saarlandes, Urteil vom 07.03.2007 - 10 K 7/07, jeweils juris). Nach dem Gutachten des Europäischen Zentrums für kurdische Studien führt insbesondere der Umstand, dass sich der Kläger in dem ausgestrahlten Interview als Mitglied der PYD zu erkennen gibt, zu der Gefahr, dass er im Falle seiner Rückkehr durch den syrischen Geheimdienst vorgeladen, inhaftiert und befragt würde. Auch die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens gegen den Kläger sei möglich. Vor diesem Hintergrund ist dem Kläger eine Rückkehr nach Syrien nicht zuzumuten. [...]