VG Stuttgart

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Zitieren als:
VG Stuttgart, Urteil vom 09.06.2009 - A 5 K 3156/08 - asyl.net: M16445
https://www.asyl.net/rsdb/M16445
Leitsatz:

Kein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung wegen weiterhin bestehender Verfolgungsgefahr für Mitglieder von Oppositionsparteien (wie etwa der UFC) in Togo.

Schlagwörter: Togo, Flüchtlingsanerkennung, Asylanerkennung, Widerruf, Änderung der Sachlage, Wegfall der Umstände, Opposition, UFC, Union des Forces du Changement, Bindungswirkung,
Normen: AsylVfG § 73 Abs. 1 S. 1, AufenthG § 60 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheids ist § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG in der in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AsylVfG) zugrunde zu legenden Fassung durch Art. 3 Nr. 46 a) des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1969). Hiernach ist die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies trifft hier nicht zu. Die widerrufene Feststellung in Nr. 2 des Bescheids des Bundesamts vom 06.11.2001 wurde bestandskräftig. Hiermit setzt sich der angefochtene Bescheid des Bundesamts nicht auseinander. Er erschöpft sich weitgehend in allgemeinen Ausführungen zur Voraussetzung für einen Widerruf sowie zur Entwicklung der politischen Lage in Togo in den letzten Jahren. Die Art und Weise der Begründung des Bescheids unter Nr. 1 (S. 3 bis 7) vermitteln weitgehend den Eindruck, es gehe um die Frage, ob der Kläger auf Grund der heutigen politischen Gegebenheiten in Togo erneut einen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots (jetzt: Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft) nach § 60 Abs. 1 AufenthG hätte. Die in Bestandskraft erwachsene tragende Feststellung im Bescheid des Bundesamts vom 06.11.2001 - Begegnung des Klägers mit zwei Männern des togolesischen Geheimdienstes und die Weigerung des Klägers, bei dem geplanten Attentat auf den Oppositionspolitiker Masseme mitzuwirken - finden in dem angefochtenen Bescheid nur insoweit Anklang, als dem Bundesamt keine Erkenntnisse dazu vorlägen, dass der togolesische Geheimdienst seit dem Scheitern des Anschlags im Jahre 2001 anschließend erneut versucht habe, Masseme zu beseitigen, weswegen auch davon auszugehen sei, dass eine Verfolgung des Klägers wegen der Weigerung, sich an dem geplanten Anschlag zu beteiligen, bei einer Rückkehr des Klägers in sein Heimatland kaum anzunehmen sei. Diese Begründung ist nicht ausreichend, um die Bestandskraft zu durchbrechen. Das Bundesamt hätte der Frage nachgehen müssen, ob unabhängig von einem nach wie vor bestehenden oder inzwischen nicht mehr bestehenden Interesse des togolesischen Geheimdienstes, ein Attentat auf Masseme durchzuführen, ein einmal durch seine Weigerung der Zusammenarbeit mit dem togolesischen Regime als Regimegegner in den Blick der togolesischen Sicherheitsbehörden geratener togolesischer Staatsangehöriger wie der Kläger bei den dortigen Behörden registriert ist und im Falle der Rückkehr nach Togo bei einer Einreisekontrolle durch die togolesischen Behörden auffällt und ihm daher nach wie vor die Gefahr politischer Verfolgung droht. Die Darlegung der allgemeinen politischen Lage in Togo und die unzureichende Auseinandersetzung mit dem individuellen Verfolgungsschicksal des Klägers genügt daher nicht den Anforderungen, die an eine Widerrufsentscheidung unter Berücksichtigung der Bestandskraft des Bescheids vom 06.11.2001 - auch unter Berücksichtigung seiner Rechtsfrieden und Rechtssicherheit stiftenden Funktion (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.09.2001 - 1 C 7.01 -, DÖV 2002, 301 = NVwZ 2002, 345) - zu stellen sind. Eine von dieser Bindungswirkung befreiende entscheidungserhebliche Änderung der Sachlage ist im angefochtenen Bescheid nicht ausreichend festgestellt. Bei einem belastenden Verwaltungsakt, der wie der hier im Streit stehende Widerrufsbescheid in Rechtspositionen des Betroffenen eingreift, obliegt es jedoch der Behörde, die Umstände konkret darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, welche aus ihrer Sicht den Eingriffsakt rechtfertigen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl., § 24 RdNr. 42).

Im Übrigen entspricht es der Rechtsprechung der erkennenden Kammer, dass in Togo noch keine nachträgliche erhebliche, nicht nur vorübergehende Änderung der für die Asylanerkennung und der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft maßgebenden politischen Verhältnisse eingetreten ist (vgl. Urteil vom 16.09.2008 - A 5 K 3975/07, Urteil vom 20.01.2009 - A 5 K 2427/08 -). Bezüglich des Widerrufs der Asylanerkennung hatte der Gesetzgeber beim Erlass des § 16 Abs. 1 AsylVfG 1982, der insoweit im Wesentlichen gleichlautenden Vorgängervorschrift des heutigen § 73 Abs. 1 AsylVfG, vor allem den Fall als Widerrufsgrund vor Augen, dass "in dem Verfolgungsland ein Wechsel des politischen Systems eingetreten ist, so dass eine weitere Verfolgung nicht mehr zu befürchten ist" (BT-Drs. 9/875, S. 18, zu § 11 des Gesetzentwurfs). Auch der in der Gesetzesbegründung weiter enthaltene Verweis auf Art. 1 C Nrn. 5 und 6 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.07.1951 (BGBl. 1953 II S. 560 - Genfer Flüchtlingskonvention) bestätigt diese Zielrichtung. Denn nach den in Bezug genommenen Bestimmungen der Konvention fällt eine Person nicht mehr unter das Abkommen, wenn - neben anderen Voraussetzungen - die Umstände weggefallen sind, auf Grund derer sie als Flüchtling anerkannt wurde (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.09.2000 - 9 C 12.00 -, BVerwGE 112, 80 = NVwZ 2001, 335; vgl. auch Beschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, AuAS 2008, 118). Eine derartige Veränderung lässt sich auch in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht feststellen. Die politischen Verhältnisse in Togo sind weiterhin von gravierenden Menschenrechtsverletzungen, Folter und Missbrauch von Gefangenen, lebensbedrohlichen Gefängnisbedingungen und willkürlichen Verhaftungen gekennzeichnet. Nicht in der Öffentlichkeit stehende Mitglieder von Oppositionsparteien, etwa der Union des Forces du Changement (UFC), sind nach wie vor von heimlicher Verhaftung und Folter bedroht (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Togo: Mitgliedschaft bei der Union des Forces du Changement - UFC -, vom 18.05.2009). [...]