VG Hamburg

Merkliste
Zitieren als:
VG Hamburg, Urteil vom 22.12.2009 - 8 K 1938/09 - asyl.net: M16459
https://www.asyl.net/rsdb/M16459
Leitsatz:

In der Regel dürfte § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG nicht für im Ausland berufsqualifizierende Ausbildungsabschlüsse gelten, die Ausländer im Herkunftsland erworben haben, bevor sie in Deutschland als Asylberechtigte, Flüchtlinge oder in entsprechender Anwendung des Kontingentflüchtlingsgesetzes Aufnahme gefunden haben. Doch ist im Einzelfall zu prüfen, ob die betroffene Person vor der Aufnahme in Deutschland die Möglichkeit hatte, eine Ausbildung im Inland zu wählen (im Einzelfall bejaht).

Die in § 7 Abs. 2 Satz 2 BAföG vorausgesetzten besonderen Umstände für die Förderung einer weiteren Ausbildung können darin begründet sein, dass der Kläger das Angebot der Bundesrepublik Deutschland angenommen hat, entsprechend dem Kontingentflüchtlingsgesetz Aufnahme zu finden (im Einzelfall bejaht).

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: berufsqualifizierender Ausbildungsabschluss, Ausbildung, Ausbildungsförderung, Ausbildung im Inland, Aufnahme als Kontingentflüchtling, Kontingentflüchtling, Erstausbildung, Juden, ehemalige Sowjetunion, Sowjetunion, jüdische Emigranten, Aufnahmezusage, jüdische Zuwanderer, Kontingentflüchtlingsgesetz, Studium,
Normen: BAFöG § 7 Abs. 1 S. 2, BAFöG § 7 Abs. 2 S. 2,
Auszüge:

[...]

2. Hingegen ist der Bescheid vom 23. Juni 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juni 2009 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit darin ein Vorabantrag für das B.-Studium der S. an der Universität H. als andere Ausbildung abgelehnt wird. Die Sache ist auch spruchreif, da der Kläger die begehrte Feststellung nach § 46 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 BAföG beanspruchen kann. Das in Rede stehende Studium ist als weitere Ausbildung nach dem Auffangtatbestand des § 7 Abs. 2 Satz 2 BAföG förderungsfähig. Nach dieser Vorschrift wird Ausbildungsförderung für eine einzige weitere Ausbildung nur geleistet, wenn die besonderen Umstände des Einzelfalles, insbesondere das angestrebte Ausbildungsziel, dies erfordern. Zwar erfordert das angestrebte Ausbildungsziel eine weitere Ausbildung vorliegend nicht; dies wäre nur dann der Fall, wenn das erstrebte Ausbildungsziel des Klägers über den erfolgreichen Abschluss einer Erstausbildung hinaus den berufsqualifizierenden Abschluss einer zusätzlichen Ausbildung voraussetzen würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Januar 1983 – 5 C 97.80 –, DVBl. 1983, 845). Doch liegen sonstige, eine Ausbildungsförderung erfordernde besondere Umstände, angesichts der mangelnden Nutzbarkeit der russischen Berufsqualifikation in Deutschland vor. Derartige besondere Umstände können gegeben sein, wenn sich der Auszubildende eine bereits abgeschlossene Berufsausbildung aus besonderen Gründen nicht mehr zu Nutze machen kann (BVerwG, Urteil vom 13. Januar 1983, a.a.O.; vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 10. Oktober 1986 – Bf I 21/85 –, DÖV 1987, 699). Der Kläger kann sich die erworbene ausländische Berufsqualifikation im Inland nicht zunutze machen. Er muss sich in Prüfung des § 7 Abs. 2 BAföG auch nicht die fortbestehende Nutzbarkeit seiner Berufsqualifikation in Russland entgegenhalten lassen. Die vorausgesetzten besonderen Umstände sind darin begründet, dass der Kläger das Angebot der Bundesrepublik Deutschland angenommen hat, entsprechend dem Kontingentflüchtlingsgesetz Aufnahme zu finden. Die in § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG niedergelegte Wertentscheidung des Gesetzgebers, grundsätzlich auch eine (nur) im Ausland zur Berufsausübung befähigende Ausbildung anspruchshindernd zu berücksichtigen, steht nicht entgegen. Allerdings ist, soweit der Normzweck des § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG nicht trägt, dem betroffenen Personenkreis nach den vorstehenden Ausführungen (s.o. 1.) ungeachtet der ausländischen Berufsqualifikation vorrangig bereits ein Grundanspruch auf Förderung einer Erstausbildung zuzubilligen (vgl. Ramsauer/Stallbaum/Sternal, Kommentar zum Bundesausbildungsförderungsgesetz, 4. Auflage, § 2 Rn 43 a.E.). Indessen hat der Kläger durch seine Übersiedlung nach Deutschland im Jahr 2005 nach Wertungsgesichtspunkten nicht freiwillig davon Abstand genommen, seine russische Berufsqualifikation zu nutzen. Vielmehr soll der Kläger nach dem politischen Willen, der der Aufnahme entsprechend dem Kontingentflüchtlingsgesetz zugrunde liegt, wie ein Flüchtling behandelt werden, d. h. seine Ausreise als erzwungen gelten. Wenn der Kläger auch von diesem politischen Angebot zu spät Gebrauch gemacht hat, um noch in den Genuss der Grundförderung zu kommen (s. o. 1.), so ist ihm doch nunmehr nicht zuzumuten, auf seine entsprechend dem Kontingentflüchtlingsgesetz erworbenen Rechte zu verzichten. [...]