VG Chemnitz

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Zitieren als:
VG Chemnitz, Urteil vom 17.12.2009 - A 4 K 1453/08 - asyl.net: M16467
https://www.asyl.net/rsdb/M16467
Leitsatz:

Abschiebungsverbot für eine junge (homosexuelle) Frau aus Tunesien wegen konkreter Gefährdung durch die muslimisch-traditionell geprägte Familie.

Schlagwörter: Tunesien, homosexuell, geschlechtsspezifische Verfolgung, offensichtlich unbegründet, Abschiebungsverbot, Familienehre, nichtstaatliche Verfolgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7,
Auszüge:

[...]

Allerdings drohen ihr nach Auffassung des Gerichts im Falle einer Rückkehr erhebliche konkrete Gefahren für Leib, Leben und ihre Gesundheit i.S.v. § 60 Abs. 7 AufenthG durch Sanktionen der beteiligten muslimisch-traditionell geprägten Familien und des weiteren dortigen gesellschaftlichen Umfelds mit seinen abweichenden Ehrbegriffen, nachdem sie sich, gänzlich unabhängig von einer homo- oder heterosexuellen Orientierung, als junge Frau eigenständig zumindest für die Fortsetzung ihres Inlandsaufenthalts unter Wahrnehmung der dort gebotenen Möglichkeiten eines ungebundenen Lebensstils in der Großstadt mit vielen Kontakten zu Anderen entschieden und eine entsprechend freie Selbstbestimmung ihres Lebens in Anspruch genommen hat. Wie real die Gefahr selbst von schweren Misshandlungen jedenfalls im hier gegebenen Einzelfall für die Klägerin gerade in ihrem Umfeld ist, unterstreicht eindrucksvoll insbesondere der im Bescheid selbst - als bestätigt - aufgeführte Mord an dem davon betroffenen weiblichen Opfer, das durch diese Tat schlicht vom freien und selbstbestimmten Menschen (Art. 1 und 2 GG) zum Objekt degradiert wurde.

Eine weitere Bestätigung für eine zumindest in diese Richtung tendierende Werteorientierung ihres Umfeldes, womöglich hin zum vermeintlichen Schutz einer gesellschaftsbezogenen "Familienehre", ergibt sich gerade hier auch aus den vielfach aktenkundig gewordenen Versuchen, auf den Ausgang des behördlichen Handelns und noch der gerichtlichen Verfahren durch (belastende) Stellungnahmen Außenstehender und Bewertungen Einfluss zu nehmen und Druck auszuüben. Damit ist auch die erlassene Abschiebungsandrohung in Bezug auf den genannten Zielstaat aufzuheben. [...]